Herr Binninger, Sie sind seit 60 Jahren bei der Stadtmusik Tiengen. Was macht für Sie den anhaltenden Reiz an der Mitgliedschaft im Verein aus?

Ich würde sagen, da kommen verschiedene Dinge zusammen. Vor allem mache ich einfach gerne Musik, und zwar mit einem qualitativ hochwertigem Anspruch. Mir war aber auch immer die Kameradschaft wichtig, wie wir sie in der Stadtmusik Tiengen pflegen.

Ich habe im Lauf der Jahrzehnte viele schöne Erlebnisse gehabt, habe Freunde kennengelernt und es auch immer genossen, mit so vielen Menschen allen Alters etwas Gemeinsames auf die Beine zu stellen.

Das klingt nach Berufung. Wie kam es dazu?

Es ist ein Stück weit Familientradition. Schon mein Vater war Stadtmusiker und Ehrenmitglied. Er hat mich und meine beiden Brüder schon früh mitgenommen.

Irgendwann haben wir alle drei angefangen, aber ich bin als einziger dauerhaft dabei geblieben, und das richtig. Ich bin zum Beispiel auch während meines Ingenieurstudiums regelmäßig heimgekommen, um das Orchester als erster Flügelhornist zu unterstützen.

In Aktion: Seit 60 Jahren ist Hubert Binninger (rechts) bei der Stadtmusik Tiengen aktiv. Heute ist die Trompete das Instrument seiner Wahl.
In Aktion: Seit 60 Jahren ist Hubert Binninger (rechts) bei der Stadtmusik Tiengen aktiv. Heute ist die Trompete das Instrument seiner Wahl. | Bild: Hubert Binninger

Vielleicht liegt es an meiner Heimatverbundenheit. Aber natürlich wurden meine Beziehungen zur Stadtmusik auch dadurch intensiviert, dass ich auch schon frühzeitig in die Verantwortung genommen wurde.

Mit 19 wurde ich Beisitzer, dann Schriftführer und ab 1980 dann Vorsitzender, ein Amt, das ich mit kurzer Unterbrechung 25 Jahre lang innehatte. Die Verbundenheit war jedenfalls so groß, dass es sich bis in mein Berufsleben ausgewirkt hat.

Man kann sagen, dass die Stadtmusik Tiengen mit dazu beigetragen hat, dass ich letztlich auch 40 Jahre im städtischen Bauamt gearbeitet habe, obwohl sich auch andere berufliche Optionen geboten hätten.

Umbrüche begannen bereits wenige Jahre nach Beginn der Laufbahn

Wenn Sie an Ihre Anfangsjahre zurückdenken, was hat sich aus Ihrer Sicht am gravierendsten im Vereinsleben verändert?

Als ich 1962 angefangen habe, gab es noch keine Frauen im Verein. Das hat sich erst einige Jahre später geändert. Heute wäre auch bei der Stadtmusik Tiengen wie bei vielen Musikvereinen in der Region das Vereinsleben ohne Frauen gar nicht mehr denkbar. Nicht nur als Musikerinnen, sondern auch bei den Ämtern in der Vereinsführung leisten sie unverzichtbare Arbeit.

Auch die Instrumentierung hat sich zusehends erweitert. Seit den 60er Jahren kamen zum Beispiel die Saxophone hinzu, ebenso weitere Instrumente – gerade im Holzblasbereich. Aber auch die Schlagzeugabteilung ist nicht mehr mit früher vergleichbar.

Viele Vereine haben ja inzwischen gerade im Bereich Nachwuchsfindung große Schwierigkeiten. Welche Erfahrungen haben Sie diesbezüglich gemacht?

Als ich 2006 als Vorsitzender abgetreten bin, habe ich mir die Mitgliederlisten aus meiner Amtszeit angeschaut. Darauf standen über 500 Namen. Das war beeindruckend, denn im Orchester sind normalerweise um die 50 Musiker aktiv.

Es zeigt sich also, dass wir uns generell über einen großen Zuspruch freuen konnten, aber es gibt eben viele Faktoren, die dazu führen, dass eine gewisse Fluktuation da ist. Das kann fehlendes Interesse sein, häufiger sind es aber Ausbildung, berufliche und private Gründe, die die Leute zum Aufhören bewegen.

Als Verein muss man sich also kontinuierlich um Nachwuchs bemühen. Aber es gibt auch immer wieder Leute, die irgendwann wieder zurückkommen. Unser Vorsitzender Thomas Dörflinger ist so ein Fall, und wir sind froh, dass er sich entschlossen hat und auch gleich dieses wichtige Amt übernommen hat.

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Wie schwer ist es, Mitglieder für Vorstandsämter zu begeistern?

Das wichtigste ist die rechtzeitige Ansprache geeigneter Kandidaten. Es gehört nämlich schon eine gewisse Überzeugungsarbeit dazu, wenn jemand ein Vorstandsamt übernehmen soll, und auch eine gewisse Einführung in die Aufgaben. Eine wichtige Devise lautet auf jeden Fall, dass man nie ohne gründliche Vorbereitung in die Wahl bei einer Hauptversammlung gehen sollte.

Corona-Zeit hat die Stadtmusik Tiengen gut verkraftet

Welche Folgen hatte die lange Corona-Zwangspause für die Stadtmusik Tiengen?

Wir standen am Anfang vor dem gewaltigen Problem, dass unser Dirigent Matthias Beno Ende 2019 unerwartet verstorben war, und wir gerade mitten in der Nachfolgersuche steckten, als Corona zum Problem wurde.

Unser Vordirigieren der Bewerber war für den Tag angesetzt, als Zusammenkünfte verboten wurden. Unseren neuen Dirigenten Andreas Dangel haben wir letztlich ohne Vordirigat eingestellt.

Bis jetzt hatte er aber abgesehen vom realisierbaren Pflichtprogramm noch keine Möglichkeit, der Öffentlichkeit seine Qualitäten zu zeigen. Das war natürlich für alle Beteiligten eine schwere Zeit.

Hat die Pandemie auch an der Moral der Mitglieder gezehrt?

Eigentlich nicht. Wir haben uns sehr darum bemüht, im Rahmen des Möglichen das Vereinsleben am Laufen zu halten, etwa durch Corona-konforme Proben im Freien.

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Es ging dabei vorwiegend darum, Kontakte zu pflegen und ein gewisses musikalischen Grundniveau zu halten. Das hat sich bewährt. Wir hatten während Corona so gut wie keine Austritte zu verzeichnen.

Sie sind ja inzwischen Ehrenvorsitzender der Stadtmusik Tiengen. Wie schwer fiel Ihnen der Abschied von der Führungsarbeit?

Zunächst habe ich mich wirklich komplett von allen außermusikalischen Aufgaben verabschiedet. Aber ich wurde durchaus immer wieder um Rat gefragt. Ich gehe in neuerer Zeit auch gelegentlich wieder zu Verwaltungsratssitzungen.

Außerdem kann ich für unsere Wunschkonzerte, nach wie vor die wichtigste Einnahmequelle des Vereins, mein persönliches Netzwerk als Sponsoren motivieren. Aber natürlich bin ich gerne bereit mich da jedes Jahr aufs Neue einzubringen.

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Neudeutsch spricht man gerne von einer „Exit-Strategie“, gewissermaßen eine Planung für einen guten Abgang. Gibt es so etwas auch für Sie bei der Stadtmusik Tiengen?

Ich mag dieses Wort ehrlich gesagt nicht besonders. Aber bei uns Blasmusikern, vor allem bei den Trompetern, gilt die Devise: „Ich kann so lange weiter machen, wie die Zähne halten“. Aber ich hoffe, dass es noch eine ganze Weile dauert, bis es so weit ist.

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