Herr Hilpert, Sie studierten noch, als Sie 1983 zur Musikschule Südschwarzwald in Tiengen kamen – wie kam es dazu?

Ich wollte eigentlich nach dem Studium weiter weg arbeiten. Aber als ich 1983 in den Sommerferien zuhause auf einer Veranstaltung im Pfarrsaal war, hat mich der damalige Musikschulleiter Horst Schunke angesprochen und gefragt, ob ich nicht parallel zum Studium, ein Mal die Woche, Klavier an der Musikschule unterrichten möchte, ein Klavierlehrer hätte ihm kurzfristig abgesagt.

Ich habe mich breit schlagen lassen. Nach Abschluss meines Studiums hat er mir gleich eine volle Stelle angeboten. Ich hatte da schon meine ersten Schüler lieb gewonnen, und so blieb ich. Eine Tür war aufgegangen, ich bin hindurch gegangen und habe das nie bereut.

In 40 Jahren verändert sich viel, fangen wir mal mit den Lehrern und Schülern an, was unterscheidet die damaligen von den heutigen?

In den 80er Jahren hatten wir viele Musiklehrer an Grundschulen, die nebenher an der Musikschule ein Instrument unterrichtet haben. Im Laufe der Jahre wurden die studierten Musikschullehrer immer mehr. Irgendwann studierten so viele, dass es für sie schwierig war, einen Job zu bekommen. Das hat sich grundlegend geändert. Musikschullehrer sind heute gesuchte Fachkräfte.

Die Schüler damals und heute kann man nicht vergleichen. Der Erziehungsstil war vor 40 Jahren völlig anders. Ich trauere dem nicht nach. Was damals nicht war, ist der digitale Firlefanz, der die Kinder heute überall in den Bann zieht. Es ist für Eltern schwierig, ihre Kinder an den sinnvollen Gebrauch der Medien heranzuführen, damit sie nicht zu viel im Digitalen leben und das richtige Leben nicht zu kurz kommt. Auf der anderen Seite hat das Digitale im Unterricht neue Möglichkeiten eröffnet und geholfen, Corona zu überstehen.

Bevor wir zu Corona kommen – Instrumente unterliegen auch dem Zeitgeist, was hat sich da geändert?

Die Musik generell hat sich verändert. Rock- und Popmusik sind viel wichtiger als früher, die klassische Musik steht weniger im Mittelpunkt, und die Auswahl an Unterrichtsliteratur ist viel größer geworden. Bei den Instrumenten ist die Entwicklung beim Schlagzeug am deutlichsten. Früher hatten wir zehn bis 15 Schlagzeugschüler, jetzt um die 100. Wir haben heute auch viel mehr Hörner, Posaunen und Tenorhörner, früher waren sie Mangelware.

Begünstigt wurden diese Veränderungen durch Kooperationen mit Musikvereinen, Schulen und auch Kindergärten, die sich seit 25 Jahren als roter Faden durch die Geschichte der Musikschule Südschwarzwald ziehen und mir sehr wichtig sind. Früher herrschte eher Konkurrenzdenken, heute haben wir alleine rund 40 Vereinskooperationen und ziehen gemeinsam an einem Strang. Das nützt uns allen.

Was war Ihnen sonst noch wichtig, um die Musikschule Südschwarzwald weiter voran zu bringen?

Bis vor etwa 15 Jahren gab es eine Schulleitung und rund 60 Lehrkräfte ohne irgendwelche Strukturen dazwischen. Wir haben damals Lehrerteams gebildet, die viel Einfluss haben, selbstständig arbeiten und damit auch die Schulleitung entlasten. Diese Veränderung der inneren Strukturen sieht man von außen nicht, aber ich halte sie für das Entscheidende, was in meiner Zeit hier verändert wurde.

Jetzt zurück zum Digitalen – wie hat es Einzug ins Leben der Musikschule gehalten?

Es gibt viele digitale Dinge, die den Unterricht vielseitiger machen. Man kann zum Beispiel Aufnahmen machen und die Schüler sehen und hören sich dann selbst, was eine gute Kontrolle ist. Oder sie können mit eingespielter Begleitmusik üben. Theorie online zu vermitteln macht viel Sinn, gerade bei unserem großen Einzugsgebiet, wenn lange Fahrwege entfallen.

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Corona hat der Digitalisierung auch bei uns einen Schub gegeben. Als kein Präsenzunterricht mehr möglich war, haben die Kollegen sich umgestellt und Online unterrichtet. Smartphones, Computer, alles was möglich war, wurde genutzt. Und wir haben die Musikschul-App eingeführt, die die Verwaltung und die Lehrkräfte und Nutzer vernetzt.

Wie gut hat die Musikschule Südschwarzwald die monatelange Einstellung des Präsenzunterrichts im Zuge der Pandemie überstanden?

Corona war eine heftige Herausforderung. Mit den Schulschließungen ist etwas passiert, was wir vorher für undenkbar gehalten hatten. Es war schwer, ständig wechselnde kurzfristige Verordnungen zu koordinieren und zu kommunizieren. Manche waren auch unlogisch, zum Beispiel durften wir irgendwann wieder in unseren Musikschulräumen unterrichten, nicht aber in den Schulräumen in unseren Außenstellen.

Die standen zu den Zeiten, in denen wir sie gebraucht hätten, leer. Wir durften sie aber trotzdem nicht nutzen, das war nicht nachvollziehbar. Der Online- Unterricht war für Lehrer und Schüler belastend, aber alle waren froh, dass der Musikunterricht überhaupt weiterging. Seit etwa Anfang 2022 läuft der Unterricht wieder normal, aber wir spüren immer noch Nachwirkungen.

Was für Nachwirkungen? Hat Corona auch sichtbare Spuren im Leistungsstand der Schüler hinterlassen?

Alle unsere Ensembles haben durch Corona gelitten und müssen erst wieder aufgebaut werden. Das kann noch Jahre dauern. Unsere Kooperationen mit Kindergärten im Rahmen des Förderprogramms „Singen, Bewegen, Sprechen“ haben sich halbiert und bis jetzt nicht wieder gefangen. Das liegt unter anderem auch an der dünnen Personaldecke in den Kindergärten.

Was den Leistungstand der Schüler betrifft, ist das sehr unterschiedlich. Bei einigen hat der Online-Unterricht sogar leistungssteigernd gewirkt, weil die Eltern in dieser Zeit mehr davon mitbekommen haben. Aber allen ist klar geworden, dass Musik vom Miteinander, von der Begegnung lebt. Das gilt für den Unterricht genauso wie für die Ensembleproben. Musizieren ist vor allem soziale Interaktion.

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Kann Musik Ihrer Erfahrung nach helfen, negative Nachwirkungen von Corona bei Kindern zu mindern?

Während Corona sind in den Schulen viele Kinder unter den Tisch gefallen und müssen jetzt unterstützt werden. Musik kann vieles auffangen. Wenn ein Kind ein Instrument lernt, sich anstrengt, Erfolg hat und Anerkennung und Bestätigung bekommt, gibt ihm das was. Mit Musik kann man Emotionen leben – wenn man Musik hört, aber mehr noch, wenn man Musik macht. Emotionen auszudrücken hilft immer. Erst vor kurzem habe ich einen Anruf bekommen, der mir das wieder gezeigt hat.

Möchten Sie uns davon erzählen?

Eine ehemalige Schülerin, die jetzt so Mitte 40 ist, hat mich angerufen. Sie hat ein schwieriges Leben gehabt und hatte viel mit sich zu kämpfen. Sie hat mir erzählt, dass sie wieder Klavier spielen würde, über das Instrument ihre Mitte wiedergefunden und die Kurve bekommen hätte. Sie tritt jetzt sogar am Klavier auf. Das hat mich sehr gefreut.

Fast 40 Jahre an der Musikschule Südschwarzwald liegen hinter Ihnen, einige wenige bis zum Ruhestand noch vor Ihnen, welche Ziele haben Sie noch?

Zunächst hoffe ich, dass alles, was coronabedingt verschoben wurde oder noch im Argen liegt, wieder ins richtige Gleis kommt. Wir werden alles dafür tun. In den nächsten Jahren möchte ich die Musikschule noch für die studienvorbereitende Ausbildung zertifizieren lassen. Diese Möglichkeit gab es erstmals im Herbst 2022. Das möchte ich noch aufgleisen. Außerdem möchte ich den Übergang für meine Nachfolge gut hinbekommen, er oder sie soll gute Strukturen vorfinden.

Was kommt 2023, worauf freuen Sie sich?

Ich freue mich, dass der Trend bei den Anmeldungen nach oben geht und unsere coronabedingt zurückgegangene Schülerzahl wieder steigt. Und ich freue mich auf viele Veranstaltungen. Am 4. Februar ist Jugend musiziert, auch hier ist die Tendenz bei den Anmeldungen gut, wir werden sogar eine Wertung für Harfe ausrichten.

Am 19. Mai gibt es ein größeres Konzert in der Stadthalle Waldshut im Rahmen von 60 Jahre Partnerschaft mit Blois. Es werden Ensembles der Musikschule, ein Blasorchester der Musikschule Blois und Jugendorchester örtlicher Vereine dort auftreten.

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