Herr Kobler, über vier Jahrzehnte waren Sie als Diplomat in der Welt unterwegs – hat man politische Sensibilität eigentlich im Blut oder kann man das lernen, beziehungsweise da hineinwachsen?
Beides, man muss natürlich auch schon der Typ dafür sein. Mich haben von Anfang an eher die herausfordernden Situationen interessiert und wollte deswegen auch zum Auswärtigen Amt. In manches muss man aber auch erst hineinwachsen.

War Ihre Zeit als Büroleiter des damaligen Außenministers Joschka Fischer besonders herausfordernd? Das waren ja turbulente Zeiten mit dem Terroranschlag am 11. September 2001, dem Afghanistan- und dem Irak-Krieg.
Ja, da habe ich das politische Geschäft erst richtig gelernt. Das fing ja schon mit dem Kosovo-Krieg an. 1999 kam es zu einem Einsatz der Bundeswehr ohne Mandat der Vereinten Nationen – und das unter der Verantwortung eines Grünen Außenministers, der mit der rot-grünen Regierungsübernahme gerade erst ins Amt gekommen war. Ohne dieses Ja zum Kosovo-Einsatz wäre die rot-grüne Koalition wohl gar nicht erst zustande gekommen. Die SPD, damals unter Schröder, war für diesen Einsatz, da mussten die Grünen dann mitziehen.
Das war ja dann auch der Grund, wofür Joschka Fischer auf dem Sonderparteitag der Grünen einen roten Farbbeutel ans Ohr geworfen bekam.
Er hatte während der Balkankriege Srebrenica besucht und hat dort mit eigenen Augen gesehen, was dort angerichtet wurde – ein Massaker. Seither war er der Meinung, dass diesen Menschheitsverbrechen auch militärisch ein Ende gesetzt werden muss. Ich finde schon, dass Politiker vor Ort diese Dinge selbst sehen müssen – wenn man mal selbst ein Massengrab gesehen hat, kann man nicht mehr nur zuschauen, man beurteilt die Dinge anders.
Und jetzt sind es wieder ausgerechnet die Grünen, die in der aktuellen Regierung eine 180-Gradwendung hinlegen und schon scherzhaft die „Olivgrünen“ genannt werden. Wie sehen sie die aktuelle Außenpolitik?
Wir können es nicht akzeptieren, dass Grenzen gewaltsam verschoben werden. Das betrifft uns alle. Es ist deutlich, wo die internationale Gemeinschaft steht. Sie steht auf der Seite des Rechts, der Demokratie und der Freiheit, und sie steht auf der Seite der Uno-Charta. Sie tritt dafür ein, dass Staaten in ihrer Souveränität respektiert werden. Es ist wichtig, dass man sich an die Prinzipien eben auch hält, sonst löst sich die Welt irgendwann auf.

Der Bruder des Manchester Attentäters, Hashim Abedi, plante 2017 einen Anschlag auf Sie. Der vorgesehene Angriff konnte zum Glück rechtzeitig verhindert werden. Hat diese Tatsache etwas in Ihnen verändert, hat man dann auch Angst oder fühlten sie sich trotzdem sicher?
Ja, daran muss man sich gewöhnen, das war ja auch nicht der einzige Sicherheitsvorfall. Es ist nicht ungefährlich, darüber muss man sich im Klaren sein. Aber Angst vor Anschlägen hatte ich nie – vor einer Entführung aber schon. Gerade in Bagdad waren Entführungen gang und gäbe, als ich dort Botschafter war. Da wurden Konvois auf der Straße gestoppt und Leute verschleppt, da konnten auch die besten Sicherheitsvorkehrungen nicht helfen. In Bagdad ist auch einer meiner Vorgänger als UN-Sonderbeauftragter durch eine Bombe ums Leben gekommen und mit ihm 27 Kolleginnen und Kollegen. Es passieren schon Dinge – man muss schon vorsichtig sein, aber wenn einen das lähmen würde, könnte man diesen Job nicht machen.
Das ist ein ganz anderes Leben als in unserem beschaulichen Waldshut-Tiengen. Gab es Momente, in denen Sie sich nach dieser Ruhe auch mal zurücksehnten?
Nein, eigentlich nicht. Ich bin jetzt seit zweieinhalb Jahren im Ruhestand und im Moment sehne ich mich eher nach dem alten Leben zurück.
Haben Sie im Ausland mal etwas aus der alten Heimat vermisst?
Ja, die Familie habe ich schon vermisst. Sehen Sie, man lebt dort alleine, meist unter schwierigen Bedingungen, hat keinen Privatraum, ist ständig von Sicherheitsbeamten umgeben. Auch wenn man wieder zurück in Deutschland ist, hat man immer noch den Reflex, ganz schnell eine Straße überqueren zu müssen, auch wenn die Ampel rot ist, um möglichst wenig im Freien zu sein. Aber ich habe die gefährlicheren Jobs erst dann gemacht, als die Kinder aus dem Haus waren und der Letzte Abitur hatte, das war dann in Ordnung.

Was macht man nach so einem bewegten Leben im Ruhestand und was kommt in den nächsten Jahren? Werden Sie vielleicht noch ein Buch schreiben? Stoff gäbe es ja genug
Wenn ich ein Buch schreibe, dann nur für die Familie. Ich würde mich wohl schwertun mit einem Buchprojekt, das liegt mir nicht so. Ich würde lieber wieder zurück ins Uno-Geschäft und dort gerne noch einmal eine Mission leiten. Ich bewerbe mich auch ab und an, bis ich 70 bin, noch bin ich 68. (lacht)
Aber Sie haben ja aktuell auch noch eine Lehrtätigkeit bei der Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg?
Ja, das ist ganz gut. Ich unterrichte verschiedene Lehrgänge. Viermal im Jahr Kurse für ausreisende Stabsoffiziere, zusätzlich gibt es auch Generalstabs- und Admiralstabslehrgänge. Jeder, der heute General oder Admiral werden möchte, muss das UN-Geschäft lernen.
Ihre Frau, die ebenfalls Karriere im Auswärtigen Amt gemacht hat, ist jetzt auch im Ruhestand. Wo leben Sie beide denn jetzt? Werden wir Sie in Zukunft auch öfter am Hochrhein sehen?
Wir haben für uns eine schöne Bleibe in der Provence gefunden. Aber natürlich werden wir für Familienbesuche auch gerne wieder nach Tiengen kommen.