Herr Schüle, was ist „Friedas Gartencafé“ eigentlich?

Die lokale Allianz für Menschen mit Demenz Mit-einander Hochrhein wurde 2021 gegründet – und mit ihr die Idee, einen offenen Begegnungsort für Menschen mit und ohne Demenz zu schaffen. In Waldshut, im Garten und den Räumen der Stoll-Vita-Stiftung, veranstalten wir seither an einem Sonntag im Monat „Friedas Gartencafé“ – mit Kaffee, Kuchen, Brettspielen, Vorlesen und am wichtigsten: Echten Begegnungen von Mensch zu Mensch.

Alle Gäste sind ohne Voranmeldung willkommen. Mittlerweile kommen 20 bis 40 Menschen, um gemeinsam einen schönen Nachmittag zu verbringen. Auch wenn im Kopf nicht mehr alles so funktioniert, wie es von der Gesellschaft erwartet wird, bleiben die menschlichen Bedürfnisse nach Nähe, Austausch und sozialem Miteinander bestehen und tun der Seele gut!

„Friedas Gartencafé“ expandiert dieses Jahr nach Tiengen und Wutöschingen. Wie kam es dazu?

Genau, der Schritt ist auch mit ganz viel Herzklopfen verbunden, weil wir der Grundidee der lokalen Demenz-Allianz näherkommen, demenzfreundliche Angebote für den Hochrhein zu schaffen! Ab dem Frühsommer soll es „Friedas Gartencafés“ im Haus Vitibuck in Tiengen und im Awo-Seniorenheim Sonnengarten in Wutöschingen geben.

Die Leiterinnen der Einrichtungen sind auf uns zugekommen, weil sie sich für die Nachbarschaft öffnen und Platz für Begegnungen und Austausch schaffen möchten. Es ist auch in professionellen Pflegeeinrichtungen nicht leicht, Menschen mit Demenz in Aktivitäten miteinzubeziehen, da kann „Friedas Gartencafé“ unterstützen.

Was genau ist geplant?

In beiden Orten möchten wir je Teams von zwölf bis 15 Freiwilligen bilden. Der Zeitaufwand pro Monat beträgt circa vier Stunden. Willkommen ist jede Art von Unterstützung – vom Kuchenbacken über Vorlesen, Tischdecken waschen, Musizieren, begleiten oder einfach nur da sein und teilnehmen. An Infoabenden stellen wir „Friedas Gartencafé“ in den beiden Orten vor. Das Ziel sind selbstorganisierte Teams. Uns in Waldshut macht das Miteinander jedenfalls großen Spaß!

Warum braucht es Orte der Begegnung für von Demenz Betroffene?

Demenz ist leider immer noch ein sehr schambehaftetes Tabuthema in unserer Gesellschaft. Oft herrscht bei allen Beteiligten Unsicherheit und Unverständnis. Angehörige und Betroffene hüten oft dieses „dunkle Familiengeheimnis“, wollen niemandem zur Last fallen und geraten dadurch in die soziale Isolation.

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Durch einen offenen Umgang und Austausch mit Nachbarn und anderen Betroffenen, verliert das Schreckgespenst an Schrecken. Es bildet sich ein neues soziales Netzwerk aus Menschen, die Sorgen und Freuden in diesem neuen Lebensabschnitt teilen können. Wenn eine pflegende Angehörige erkennt, dass ein netter Tag in Gesellschaft möglich ist, kann sie auch mal loslassen und Zuversicht tanken.

Die Vermittlung einer zuversichtlichen Perspektive auf die Diagnose Demenz ist eines der Hauptziele der Initiative. Ist Optimismus nicht unheimlich schwierig für alle Betroffenen?

Das stimmt. Auch ich selbst bin 2014, als meine Mutter die Diagnose bekam, in eine Art Schockstarre verfallen. Ängste, Ungewissheit und viele Fragen haben mich gequält, wie: „Was, wenn mich meine Mutter irgendwann nicht mehr erkennt?“ Ich habe aber schnell gemerkt, wie heilsam die aktive Auseinandersetzung mit dem Thema und der Austausch mit anderen Betroffenen für mich selbst war.

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Sobald ich wusste, wie ich am besten mit meiner Mutter kommuniziere, konnten wir jederzeit Verbindung zueinander herstellen und auch wieder gute Zeiten erleben. Meine Mutter ist letztes Jahr verstorben. Und auch, wenn sie manchmal nicht wusste, ob ich ihr Mann, Bruder oder Sohn bin, hatten wir bis zu ihrem Tod eine vertraute Nähe zueinander. Ich habe gelernt: Das Miteinander ist anders, aber möglich und sehr wertvoll – wir müssen uns nur auf die Person einlassen. Nähe und Liebe bleiben teilbar!

Heute schulen Sie gemeinsam mit Ihrer Frau für Mit-einander Hochrhein ehrenamtlich andere Angehörige und in der Pflege tätige Menschen in der Kommunikation mit Demenzkranken. Worauf kommt es dabei an?

Im Umgang mit Betroffenen müssen wir uns von starren Regeln und gängigen Konventionen verabschieden. Das wichtigste ist die Kommunikation auf Augenhöhe, das Zuhören, Wahrnehmen und die empathische Perspektivübernahme. Wenn die Mutter oder der Großvater plötzlich gedanklich in einer ganz anderen Zeit festhängt, sollten wir Wut und Sorgen beiseite schieben und uns auf seine Welt einlassen und zuhören, und zwar mit den Grundregeln: nicht lügen und nicht diskutieren.

Das ist nicht leicht, schafft aber Raum für ein friedliches Miteinander. Jede Korrektur einer Aussage ist eine Erschütterung der Welt des Betroffenen. Denn: Auch der verwirrte Mensch selbst ist voller Schmerz und Wut, wenn er ständig darauf hingewiesen wird, was er nicht mehr weiß. Wir müssen auf die Fähigkeiten schauen, die noch da sind.

Wie gelingt das in „Friedas Gartencafé“?

In Waldshut binden wir die Betroffenen mittlerweile in die Vorbereitungen mit ein, decken gemeinsam die Tische, kochen Kaffee – diese Alltäglichkeit und Normalität tut allen gut und macht Freude. Während der Vorbereitungsstunde können sich die Angehörigen in einem anderen Raum austauschen, sich Frust und Sorgen von der Seele reden und Erfahrungen teilen.

Um Hilfe zu bitten ist nicht so leicht und viele pflegende Angehörige denken: „Dieses Problem kann nur ich alleine lösen“. Aber Unterstützung macht das Leben viel leichter – und man sollte unbedingt Hilfe zulassen.

Was wünschen Sie sich für die Zukunft der Initiative Mit-einander Hochrhein?

Wir möchten noch mehr Menschen einladen und vernetzen, um beim Thema „Leben mit Demenz“ aktiv zu werden. Das Thema muss in der Mitte unserer Gesellschaft ankommen. Interessierte können sich jederzeit bei uns melden, um gemeinsam neue Projekte auf die Beine zu stellen. Toll wären auch Kooperationen mit Schulen, um den generationenübergreifenden Austausch zu fördern.

Welche Großprojekte sind außerdem geplant?

Am 22. und 23. September werden wir wieder einen Pflegecampus mit Schwerpunkt Demenz für Profis und Ehrenamtliche in Waldshut organisieren. In vergangenen Jahr kamen rund 150 Personen – das war ein toller Erfolg!

Außerdem haben wir die Vision von „Friedas Gästehaus“, einer Einrichtung für Tages- und Kurzzeitpflege, um Angehörige in Urlaubs- und stressigen Jobphasen zu entlasten. Hier suchen wir noch einen Tandem-Partner, um das Großprojekt in einer der Gemeinden am Hochrhein zu realisieren.

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