Die Corona-Krise stellt auch das Schweizer Atomkraftwerk Leibstadt gegenüber Waldshut vor Herausforderungen. Die für den Sommer geplante Jahresrevision, an der wie üblich zahlreiche externe Fachkräfte aus dem Ausland mitwirken sollen, wird durch die Einreisebeschränkungen verkompliziert. Derzeit unklar ist, ob die in Albbruck vorgesehene Containersiedlung, wo ein Teil der Arbeiter übernachten soll, wie geplant realisiert werden kann.
Die Überholungsarbeiten im Kernkraftwerk Leibstadt (KKL) sind nach bisheriger Planung angesetzt für den Zeitraum vom 11. Mai bis 9. August. Sie sollen damit früher anfangen und wesentlich länger dauern als die sonst üblichen vier Wochen. Thomas Gerlach, KKL-Informationsleiter, teilte auf Anfrage diesere Zeitung mit: „Die Jahreshauptrevision ist auf drei Monate geplant, weil sie nicht nur Routinearbeiten enthält, sondern durch den Tausch des Turbinenkondensators weiter modernisiert und die Leistung des KKL leicht erhöht werden soll.“
Externe Fachkräfte aus dem Ausland
Bei den jährlichen Revisionsarbeiten im KKL werden zur Unterstützung der etwa 500 Mitarbeiter üblicherweise rund 1000 externe Fachkräfte eingesetzt, die zum Teil aus dem Ausland kommen. Das macht die Revision in diesem Jahr kompliziert. Schließlich haben sowohl Deutschland als auch die Schweiz wegen der Corona-Krise ihre Grenzen für den normalen Reiseverkehr geschlossen. Nur vereinfacht zutreffend ist es, dass berufliche Gründe unter die Ausnahmeregelungen fallen. Zwar ist geregelt, dass die in der Region lebenden Grenzgänger wie bisher zur Arbeit über den Zoll dürfen. Wie es um ausländische Saison-Arbeitskräfte steht, geht aus der Einreiseverordnung der Schweizer Bundesregierung jedoch nicht klar hervor. Der Sprecher des Atomkraftwerks wies darauf hin, dass die externen Firmen die Unterbringung ihres Personals selbst organisieren.
Maßnahmen zum Infektionsschutz des Personals vor dem Hintergrund der Pandemie gibt es laut Werksauskunft bereits unabhängig von der Revision. Thomas Gerlach zur Frage, ob das Projekt wie geplant stattfinden kann: „Das KKL wird in den nächsten Wochen aufgrund der Lageentwicklung prüfen und entscheiden, wie die Jahreshauptrevision durchgeführt werden kann. Das KKL führt bis dahin die internen Vorbereitungen der Jahreshauptrevision weiter.“
Die Einreisebeschränkungen werfen auch die Frage auf, ob die auf dem Gelände der ehemaligen Papierfabrik in Albbruck geplante Containersiedlung wie geplant realisiert werden kann. Unter Federführung der Schweizer Firma Fieldcore Service Solutions aus Baden sollen dort während der KKL-Revision rund 350 externe Fachkräfte übernachten und täglich in die Schweiz zur Arbeit ins Atomkraftwerk pendeln. Anders als die regulären Grenzgänger haben sie keinen Wohnsitz in der Region, sondern kommen aus dem Ausland. Zuständige schweizerische und deutsche Behörden teilten auf Anfrage dieser Zeitung nicht mit, ob und welche Ausnahmeregelungen im konkreten Fall der Containersiedlung greifen.
Gespräche mit Bundesamt
Hans Rudolf Stalder von der Firma Fieldcore Service Solutions sagte auf Anfrage: „Wir sind im Gespräch mit dem Bundesamt für Migration.“ Verkompliziert wird die Lage noch dadurch, dass neuerdings keine Saison-Arbeitskräfte aus Nachbarländern mehr nach Deutschland einreisen dürfen. Die Regelung betrifft zwar aktuell insbesondere Erntehelfer für die Landwirtschaft, gilt aber auch für andere Branchen. Nach Auskunft von Stalder sollen in der Containersiedlung Arbeiter aus verschiedenen Ländern wie beispielsweise Portugal, Polen, Ungarn und Österreich untergebracht werden.
Der Gemeinderat Albbruck hat bereits Anfang März den Plänen für die Containersiedlung zugestimmt. Das war allerdings noch zu einem Zeitpunkt, bevor die ganze Dramatik der Corona-Krise zutage trat und Einreisesperren gegen die Ausbreitung des Virus erlassen wurden. Die Gemeinde selbst hätte von dem Projekt keinen direkten Gewinn, denn das Gelände der früheren Papierfabrik ist im Besitz der Karl-Unternehmensgruppe. Man habe dazu beitragen wollen, in der Region eine Lösung für die Unterbringung der Fachkräfte zu finden, sagt Bürgermeister Stefan Kaiser auf Anfrage dieser Zeitung. Indirekte Vorteile habe man darin gesehen, dass die Arbeiter dann ja in Geschäften der Gemeinde einkaufen würden. Doch nun ist die Pandemie mit allen ihren Risiken und Auflagen allgegenwärtig. „Unter den gegebenen Umständen sehe ich das Projekt jetzt eher kritisch“, meint Kaiser.
Bewilligungsverfahren geht weiter
Unterdessen läuft beim Landratsamt Waldshut, das für die Genehmigung der Containersiedlung zuständig ist, das Bewilligungsverfahren weiter. In diesem Zusammenhang ergibt sich die Frage, wie angesichts der Pandemie die Anreise von rund 350 Menschen aus anderen Ländern zu beurteilen wäre. Sprecher Michael Swientek: „Die Genehmigungsfähigkeit des Vorhabens ist durch die Corona-Krise nicht tangiert.“
Corona-Vorsorge im Atomkraftwerk
Die Revision im Atomkraftwerk wirft nicht nur die Frage auf, wie die externen Fachkräfte angesichts der Grenzschließungen ein- und ausreisen können. Weil in Leibstadt wegen des Projekts rund 1500 Menschen zusammenkommen, steht auch der Infektionsschutz im Fokus.
- In Deutschland hat die Anti-Atom-Organisation „Ausgestrahlt“ wegen der Pandemie bereits die Verschiebung von Jahresrevisionen bei Atomkraftwerken verlangt. Zur Vorsorge gegen weitere Ausbreitung des Virus müssten diese personalintensiven Arbeiten jetzt unterbleiben. Systemrelevant seien die Reaktoren ohnehin nicht: Bereits zu normalen Zeiten komme man ohne sie aus, und wegen der Corona-Krise sei der Stromverbrauch gesunken. Die Forderung: Abschaltung statt Revision. Laut einem Bericht der „Tageszeitung“ will zumindest das Unternehmen RWE eine Verschiebung in seinen beiden Atomkraftwerken nicht ausschließen.
- Im Kernkraftwerk Leibstadt sollen bei der Jahresrevision neben der rund 500-köpfigen Stammbelegschaft rund 1000 externe Fachkräfte tätig sein. KKL-Sprecher Thomas Gerlach erklärte auf Anfrage dieser Zeitung im Bezug auf die Corona-Krise: „Das KKL gehört mit seiner Rolle in der Stromversorgung zur sogenannten kritischen Infrastruktur. Deshalb hat das KKL seit Ende Februar, gestützt auf seinen Pandemieplan, schrittweise zahlreiche Maßnahmen getroffen, um Ansteckungen mit allen Mitteln entgegenzuwirken. Dabei halten wir jederzeit alle Vorgaben der Bundesbehörden wie des Schweizer Bundesamts für Gesundheit ein. Diese Maßnahmen gelten unabhängig davon, ob wir uns wie zurzeit im Normalbetrieb befinden oder in einer Jahreshauptrevision.“
- Die Firma Fieldcore Service Solutions in Baden/Schweiz ist die Niederlassung eines weltweit aktiven Unternehmens mit Hauptsitz in den USA. Unternehmenszweck sind unter anderem Wartungsarbeiten an Kraftwerken, im aktuellen Fall bei der Jahresrevision des Atomkraftwerks Leibstadt. Dazu werden externe Fachkräfte angeworben. Nach Angaben von Hans Rudolf Stalder von Fieldcore Baden handelt es sich zum großen Teil um Schweiß-Spezialisten sowie Mechaniker aus verschiedenen Ländern. Bei den sonst üblichen Jahresrevisionen übernachten die Fachkräfte in Pensionen und Hotels beidseits der Grenze. In diesem Jahr, so Stalder, musste jedoch eine andere Lösung gefunden werden. Denn wegen des Austauschs des Turbinenkondensators seien wesentlich mehr Arbeiter im Einsatz. Nach bisheriger Planung sollen rund 350 Fachkräfte in einer Containersiedlung in Albbruck unterkommen. In der Schweiz sei kein passendes Gelände gefunden worden, so Stalder. Als die Siedlung geplant und beantragt wurde, waren die deutschen und schweizerischen Einreisesperren wegen der Corona-Krise noch kein Thema.