Herr Dörflinger, Sie waren 14 Jahre Vorsitzender des Kolpingwerkes Deutschland. War das jetzt der Punkt aufzuhören oder gibt es noch andere Gründe?
Es gibt einen einfachen Grund: Das Kolpingwerk Deutschland hat eine Amtszeitbegrenzung eingeführt. Deshalb ist nur eine zweimalige Wiederwahl im gleichen Amt möglich. Daraus folgt, dass ich bei der jetzigen Bundesversammlung den Stab weitergebe.
Aber hätten Sie nicht Lust gehabt, weiterzumachen?
Ich hätte schon Lust gehabt, aber es ist für den Verband besser, wenn es einen Wechsel an der Spitze gibt, der nicht erst nach 20 Jahren stattfindet. Ich halte diese Regelung für sinnvoll, ich habe sie selbst mitverabschiedet.

Sie stammen aus Tiengen, sind in der dortigen Kolpingfamilie groß geworden. Was haben Sie von dort für Ihre Zeit als Bundesvorsitzender mit auf den Weg bekommen?
Das war die Befassung mit den Grundlagen von Adolph Kolping: Wer war Kolping, was hat er gemacht, welche Rolle spielte er bei der Entwicklung der katholischen Soziallehre. Darauf konnte ich im neuen Amt auf der Bundesebene gut aufbauen.
Und wollen Sie jetzt wieder stärker bei der Kolpingfamilie Tiengen einsteigen?
Jetzt habe ich natürlich mehr Freiraum, um mich einbringen zu können. Das muss nicht die Vorstandstätigkeit sein, aber die ein oder andere Aufgabe traue ich mir durchaus zu.

Das Kolpingwerk setzt sich seit jeher stark für soziale Belange ein. Wie haben Sie diesen Anspruch in Ihrer Zeit als Vorsitzender eingelöst?
Von vielen jungen Leuten wird unter anderem aus wirtschaftlichen Gründen eine große Mobilität erwartet. Das ist ähnlich, wie bei den wandernden Gesellen, um die sich Adolph Kolping im 19. Jahrhundert kümmerte. Diese jungen Menschen müssen unterkommen und betreut werden. Getreu der Wurzeln von Kolping haben wir in den vergangenen Jahren versucht, so es uns finanziell möglich war, dieses Konzept des Jugendwohnens auszubauen.
Das klassische Familienmodell Mutter-Vater-Kinder wird immer weniger praktiziert. Es gibt mehr Patchworkfamilien, und Alleinerziehende. Auch die „Ehe für alle“ ändert die Sicht auf die Familie. Wie geht ein Verband, dessen Thema Familie ja ist, mit diesem Wandel um?
Als Verband müssen wir die politischen und gesellschaftlichen Realitäten zur Kenntnis nehmen. Unabhängig davon ob uns das als Person oder Verband gefällt, müssen wir die gesetzlichen Regelungen akzeptieren. Dass wir ein gesellschaftliches Leitbild haben, steht außer Frage. Das heißt aber nicht, dass wir andere Lebensformen, die sich neben diesem Leitbild bewegen, nicht anerkennen. Auch dort können Werte gelebt werden, die uns wichtig sind.
Sie waren knapp 20 Jahre Bundestagsabgeordneter. Bleibt man ein politischer Mensch?
Ich beobachte aufmerksam, was in der Politik passiert, nehme aber gleichfalls zur Kenntnis, dass die Beobachtung von außen mindestens so spannend ist, vielleicht aber entspannender, als die Tätigkeit darin.
Sie haben Angela Merkel oft kritisiert. Was sagen Sie jetzt zu ihrem Rückzug?
Der Rückzug ist durchaus souverän, das will ich bei aller Kritik in der Sache, die ich bei Frau Merkel hatte und noch habe, anerkennen. Sie hat etwas geschafft, was selten ist in der Politik: Das ein Mandatsträger sein Ende selbst bestimmt. Insofern hat sie das Gesetz des Handels nach wie vor in der Hand, das gilt für ihre Tätigkeit als Parteivorsitzende und wie auch als Kanzlerin.
Kein Bundestagsmandat mehr, demnächst nicht mehr Vorsitzender des Kolpingwerkes. Was machen Sie mit der vielen freien Zeit?
So viele freie Zeit gibt es nicht, weil das nächste Ehrenamt, der Vorsitz des Freundeskreises von Schloss Bonndorf, bei mir schon angekommen ist. Im Übrigen bin ich dabei, meine kleine Firma, mit der ich unter anderem Beratungstätigkeiten in Politik und Wirtschaft ausübe, mit dem nötigen Nachdruck aufzubauen.
Ursula Groden-Kranich ist Bundestagsabgeordnete aus Mainz und die einzige Kandidatin für die Nachfolge. Was wünschen Sie ihr, sollte sie gewählt werden?
Ich habe ihr gesagt, es gilt die gleiche Zusicherung, die ich meinem Nachfolger im Bundestagsmandat gegeben habe: Wenn sie etwas wissen möchte, kann sie gerne anrufen. Ich werde von mir aus keine ungebetenen Ratschläge geben. Ich wünsche ihr, dass es ihr genauso schwerfällt wie mir, sich von diesem Amt zu verabschieden. Dann hat sie es nämlich richtig gemacht.
Fragen: Thomas Arzner
Zur Person und zu Kolping
- Thomas Dörflinger war die vergangenen 14 Jahre Bundesvorsitzender des Kolpingwerkes, der frühere Bundestagsabgeordnete ist seit knapp 40 Jahren Mitglied des Verbandes. Der 53-Jährige stammt aus Tiengen, wo er mit seiner Familie bis heute lebt. Er war, von seinem Vater Werner mitgeprägt, 1978 mit 13 Jahren in die Junge Union eingetreten und 1984 in die CDU. Er studierte Politikwissenschaften und Geschichte an der Universität Konstanz und arbeitete später als Journalist für den SÜDKURIER sowie für den ehemaligen Sender RTL Radio Hochrhein in Waldshut. 1998 wurde er für den Wahlkreis 288 (Waldshut-Tiengen und Breisgau-Hochschwarzwald) in den Deutschen Bundestag gewählt. Dieses Mandat hatte er bis 2017 inne, als er beschloss, nicht wieder zur Wahl anzutreten.
- Das Kolpingwerk Deutschland ist ein katholischer Sozialverband mit bundesweit mehr als 230 000 Mitgliedern in 2400 Kolpingsfamilien, davon etwa 40 000 Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene im Bereich der Kolpingjugend. Im Bezirk Waldshut gibt es Kolpingfamilien in Bonndorf, Dogern, Jestetten, Lauchringen, Görwihl-Rotzingen, Tiengen, Birkendorf und Höchenschwand.
- Die Kolpingfamilie Tiengen ist eine der ältesten am Hochrhein – gegründet wurde sie 1859. Momentan hat sie 152 Mitglieder. Diese engagieren sich unter anderem im Leben der Pfarrgemeinde, beispielsweise bei der Mitgestaltung der Pfarrfastnacht und des Pfarrbasars, bei der Fronleichnamsprozession und bei anderen Anlässen. Außerdem hatte die Kolpingsfamilie ein Projekt mit Flüchtlingen gestartet, bei dem Fahrräder repariert wurden. In der Vergangenheit unterstützte die Kolpingfamilie auch ein Hilfsprojekt in der ungarischen Stadt Pecs. Regelmäßig trifft man sich auch für Vorträge und Gesprächsabende aller Art im Kolpingheim am Seilerbergweg. Auch wenn Adolph Kolping selbst Schumacher war, bevor er Priester wurde, und seine Gesellenvereine, heute Kolpingfamilien, vor allem für fahrende Handwerker gründete, braucht man weder Handwerker noch katholisch zu sein, um Kolping beizutreten: Die Kolpingfamilie freut sich über alle, die dazu kommen oder einfach nur „reinschnuppern“ wollen. Infos im Internet (www.kolping-tiengen.de) oder unter Telefon 07741/649 66.