Die Bürger von Waldshut-Tiengen haben vor gut einer Woche eine Wahl getroffen, die vermutlich länger nachwirkt, als es vielen recht sein dürfte. Das überwältigende Ja beim Bürgerentscheid zum Erhalt des Waldshuter Freibades hat bestehende Gräben vertieft oder womöglich neue aufgerissen. Und zwar zum einen den Graben zwischen den beiden Kernstädten.
Das Ja der Freibad-Befürworter hat aber noch einen weiteren, einen zweiten Graben aufgedeckt und sichtbar gemacht. Den zwischen den gewählten Entscheidungsträgern der Stadt und einer Mehrheit der Bürger. Also der Wähler jener Entscheidungsträger.

Ende der kommunalen Kleinstaaterei
Vor mehr als 40 Jahren hatten die Verantwortlichem im Land Großes vor. Eine Verwaltungsreform sollte die „Kleinstaaterei“ abschaffen und größere Verwaltungseinheiten schaffen. Die Konsequenz: Einstmals stolze Gemeinden verloren ihre Selbstständigkeit und wurden zu großen Kommunen zusammengeschlossen.
Machmal half ein wenig Geld nach, manchmal politischer Druck. Was dabei herauskam, waren mitunter Einheiten, die alles andere als einheitlich waren. Oder: Hier und dort sollte zusammenwachsen, was nicht zusammengehört.
Ein Produkt jener Reform war auch das Konstrukt Waldshut-Tiengen. Im Westen die Beamten und Juristenstadt Waldshut, etwas östlich davon die Arbeiterstadt Tiengen. Von den Ortsteilen ganz zu schweigen. Das nicht einfache Zusammengehen wurde beiden Seiten reichlich versüßt. So galt es über viele Jahrzehnte als ungeschriebenes, aber doch eisernes Gesetz in Verwaltung und Gemeinderat, dass Doppelstrukturen nicht nur erhalten, sondern gehegt und gepflegt wurden.

So sagte beispielsweise die Waldshuter SPD-Vorsitzende Claudia Hecht im März 2017: „Weil auch unsere Fraktion aus Mitgliedern beider Teilstädte besteht, ist ein einheilichliches Votum nicht möglich.“ Die Aussage bezog sich auf die Zukunft der Waldshut-Tiengener Freibäder.
Verschiedene Vorwahlnummern
Ein paar wenige Beispiele der gut gehegten Doppelstrukuren: Viele Vereine der neuen Stadt gibt es bis heute in zwei-, drei- oder gar noch mehrfacher Ausfertigung. Beide Kernstädte behielten ihre telefonischen Vorwahlnummern (Waldshut: 07751; Tiengen: 07741). Beide Kernstädte verfügen weiterhin über je ein allgemeinbildendes Gymnasium, je eine Realschule, je eine Stadthalle und weiterhin über je ein Freibad.
Drei auf einen Streich
Womit wir beim Stein des Anstoßes wären. Über mehr als vier Jahrzehnte ist die Stadt Waldshut-Tiengen gut gefahren mit ihren Doppelstrukturen. Keine Seite hatte das Gefühl, zu kurz zu kommen und konnte sich letztlich auch als heimlicher Gewinner der Städtefusion betrachten. Aber: Diese Strukturen waren zwar gut für die Seele, aber nicht für die Konten der Stadt. Denn sie waren letztlich vor allem eins, nämlich teuer. Doch Geld spielte nicht immer die entscheidende Rolle.
So, als es vor vier Jahren um den Bau von Kunstrasenplätzen für drei Waldshut-Tiengener Fußballvereine ging. Anstatt eine politische Entscheidung zu treffen oder zumindest eine Priorisierung vorzunehmen, machte es sich die Mehrheit der Stadträte nebst Alt-Oberbürgermeister Martin Albers einfach und gewährte allen drei Vereinen auf einen Streich die notwendigen Zuschüsse – paritätisch nach Waldshut, Tiengen und in einen Ortsteil.
In Summe mehr als eine Millionen Euro. Doch diese Großzügigkeit brachte seinerzeit nicht nur Gewinner hervor. Dieter Zauft, altgedienter CDU-Stadtrat aus Waldshut, kritisierte das Vorgehen vehement und stimmte dagegen. Die Quittung bekam er bei der nächsten Kommunalwahl. Er gehört dem Stadtparlament nicht mehr an.
Also spricht in Waldshut-Tiengen offenkundig einiges dafür, Strukturen zu bewahren und zu schützen. Zumindest beim Thema Frei- und Hallenbäder war der seit drei Jahren amtierende Oberbürgermeister Philipp Frank gewillt, diese Strukturen aufzubrechen. Ob aus politischer Überzeugung oder doch eher mit Blick auf klamme Stadtfinanzen soll hier keine Rolle spielen. Fakt ist, er war fest entschlossen, einen neuen Weg einzuschlagen.

Drei Bäder sind eines zu viel
Die Begründung: Ein Stadt in der Größe von Waldshut-Tiengen sei mit drei Bädern nicht nur überversorgt, sondern könne sich diese schlichtweg nicht mehr leisten. Deshalb sollte Waldshut im Zuge der Stadthallensanierung ein runderneuertes Hallenbad bekommen (inzwischen eröffnet) und Tiengen ein modernes Freibad.
Der Preis dafür: Das Freibad Waldshut sollte geschlossen werden. Ungeachtet der Tatsache ob es von Größe, Lage, Erreichbarkeit, touristischem Umfeld (Campingplatz etc.) vielleicht besser als gesamtstädtisches Bad geeignet wäre als jenes in Tiengen.
Doch diese Rechnung hatten OB und eine Mehrheit der Stadträte ohne ihre Wähler gemacht. Diese begehrten auf, initiierten ein Bürgerbegehren mit dem Ziel Bürgerentscheid. Das Ergebnis ist bekannt und der Verein „Pro Freibad“ längst der größte Verein der Doppelstadt. Das Waldshuter Freibad muss ebenso erhalten bleiben wie das in Tiengen. Das Bürger-Votum ist gleichbedeutend mit einem Gemeinderatsbeschluss und somit bindend. Aber wie geht es jetzt weiter?
Der OB hüllt sich in Schweigen
Eine Frage, die offensichtlich für Oberbürgermeister Philipp Frank nicht leicht zu beantworten ist. Er bleibt den Bürgern viele Antworten schuldig. Wie anders ist es sonst zu erklären, dass er eine Interview-Anfrage unserer Zeitung kategorisch ablehnt. Gerne hätten wir aus erster Hand erfahren, was er, gemeinsam mit Verwaltung und Gemeinderat, plant.
Wie es weitergeht mit der Sanierung, der Zusammenarbeit mit „Pro Freibad“, der Millionen-Spende. Die Antworten bleiben ebenso im Dunkeln wie jene auf die Frage, wie der Oberbürgermeister, wie am Abstimmungsabend angekündigt, wieder Ruhe in die Stadt bringen möchte. Oder wie er die zutage getretenen Gräben wieder zuschütten möchte. Und wie er die Entfremdung zwischen Volksvertretern und Wählern korrigieren möchte.
Gefühle sind das eine, Zahlen das andere. Hätte sich der Gemeinderat für eine Sanierung beider Freibäder – wie früher einmal geplant – entschieden, dann wären für jedes Bad knapp fünf Millionen Euro fällig gewesen. In Summe also etwas weniger als zehn Millionen Euro. Ein Betrag, der OB und Gemeinderatsmehrheit zu hoch erschien.
Also die Beschlüsse, Tiengen zu modernisieren und Waldshut zu schließen. So weit, so gut. Doch dann sollte alles ganz schnell gehen. In die Zeit zwischen Bürgerbegehren und Bürgerentscheid beschloss der Gemeinderat die große Lösung für Tiengen. Ohne das Votum der Bürger abzuwarten, wurde demzufolge vorausgesetzt, dass die Doppelstadt künftig nur noch ein Freibad habe. Also wurde Tiengen nachträglich größer geplant, als vorgesehen. Mehrkosten: Etwa zwei Millionen Euro.

Zwei Millionen Euro Mehrkosten
Nun aber müssen zwei Bäder auf Vordermann gebracht werden. Das in Tiengen für rund sieben Millionen Euro, das in Waldshut wohl für knapp fünf Millionen Euro. Vorausgesetzt, OB und Gemeinderat bleiben bei ihrer Linie, die Sanierungsvariante der Stadtwerke jener von Pro Freibad vorzuziehen. Ergo summieren sich die Kosten am Ende auf zwölf Millionen Euro und damit um zwei Millionen Euro höher als notwendig. Aber warum? Weshalb haben OB und Gemeinderat nicht den Bürgerentscheid abgewartet? Auch hier bleibt Philipp Frank seinen Bürgern – bis dato – Antworten schuldig.
Übrigens: Im kommenden Jahr stehen Kommunalwahlen an. Spätestens dann haben die Bürger erneut das Wort.