Der Geschäftsführer des Großhandels C+C Netzhammer hatte am Montag die fünf Bewerber aus dem Wahlkreis 59 (Waldshut-Rheinfelden) der derzeit im Landesparlament vertretenen Parteien sowie Mitglieder des Werbe- und Förderungskreises Waldshut, der Aktionsgemeinschaft Tiengen, der IG Schmittenau und des Hotel- und Gaststättenverbands Dehoga zu einer Online-Gesprächsrunde eingeladen.
Wenige Tage vor der Ministerpräsidentenkonferenz mit der Bundeskanzlerin am 3. März sind die Erwartungen bei den Betroffenen hoch. „Es muss eine Marschrichtung vorgegeben werden“, fordert Nikola Kögel an die Regierung gerichtet. Die Geschäftsführerin der Aktionsgemeinschaft Tiengen berichtete bei dem digitalen Austausch, dass die Stimmung unter ihren Mitgliedern zunehmend kippt, auch wenn diese die Corona-Maßnahmen bislang mitgetragen hätten. „Die Not ist groß. Es geht jetzt wirklich um Existenzen“, warnte Nikola Kögel. Eine Komplettschließung von Geschäften und Restaurants ist aus ihrer Sicht nicht länger zu verantworten.
„Wir sollten aufhören, Wirtschaft und Gesundheit gegeneinander auszuspielen.“Peter Schallmayer, SPD-Landtagskandidat

„E-Commerce ist ein Versuch zu überleben, aber nicht unsere Kernkompetenz.“Nikola Kögel, Aktionsgemeinschaft Tiengen

„Wir brauchen eine Öffnungsperspektive“, betonte auch der Dehoga-Kreisvorsitzende Hermann Pfau. Der Inhaber des Hotels „Feldeck“ in Lauchringen erinnerte daran, dass sich die Gastronomie seit 2. November im Dauerlockdown befinde. Pfau verwies auf eine Dehoga-Umfrage, laut der jeder vierte Inhaber die Aufgabe seines Betriebs in Erwägung ziehe. Wie zuvor bei der Vorstellung der Kampagne „Gemeinsam öffnen“ vor zwei Wochen pocht der Hotelier auf eine zeitgleiche Wiederöffnung von Gastronomie und Handel, „aber nicht über Nacht“.
Die CDU-Landtagsabgeordnete Sabine Hartmann-Müller aus Rheinfelden bestätigte Hermann Pfaus Aussage, dass Gastronomen und Einzelhändler während des ersten Lockdowns „ein hervorragendes Hygienekonzept“ entwickelt hätten. Die Politikerin sprach sich im Namen ihrer Partei daher für Lockerungen für den Einzelhandel aus: „Wir setzen uns dafür ein, dass Existenzen und Arbeitsplätze nicht gefährdet werden.“ Wie zuvor Thomas Wartner, stellvertretender Vorsitzender des Werbe- und Förderungskreises Waldshut, in der Runde kritisch angemerkt hatte, findet es auch Sabine Hartmann-Müller „ein Unding, dass große Filialbetriebe mit ihrem ganzen Sortiment öffnen dürfen und kleine inhabergeführte Geschäfte geschlossen haben müssen“.
Thomas Wartner monierte zudem die hohen bürokratischen Hürden zur Beantragung finanzieller Unterstützung, die seit dem ersten Lockdown gestiegen seien. „Für die Überbrückungshilfe 3 reicht ein Professor nicht aus“, stellte der Waldshuter Modehändler lakonisch fest. Eine ähnliche Erfahrung habe Niklas Nüssle, Landtagskandidat der Grünen aus Wutöschingen, gemacht, als er eine Frisörin aus dem Bekanntenkreis bei ihren Anträgen unterstützt habe. „Das lief im ersten Lockdown deutlich besser als im zweiten“, so Nüssle. Harald Ebi, FDP-Kandidat aus Waldshut-Tiengen und Vorsitzender der IG Schmittenau, bezeichnete die Auszahlung der Corona-Hilfen als zu langsam. „Ich verstehe nicht, dass man das über die Landesbank und nicht übers Finanzamt macht, welches unsere Daten hat“, merkte Ebi an.
„Wegen mir als Risikogruppe muss man keine Wirtschaft gegen die Wand fahren.“Bernhard Boll, AfD-Landtagskandidat

„Es brodelt in allen Ecken, und wir haben den Eindruck, dass es bei den Politikern nicht ankommt.“Georg Netzhammer, Großmarkthändler

Der AfD-Kandidat Bernhard Boll aus Waldshut-Tiengen habe „wenig Verständnis für den Totallockdown“. „Es hätte genügt, die Anzahl der Kunden in den Geschäften zu reduzieren“, erklärte der Pilot im Ruhestand. Boll weiter: „Wegen mir als Risikogruppe muss man keine Wirtschaft gegen die Wand fahren.“ Hartmann-Müller verteidigte den zweiten Lockdown: „Wir wollten damit unser Gesundheitssystem am Laufen halten.“ Was die Impfsituation betrifft, setze die CDU-Abgeordnete ihre Hoffnungen auf eine baldige Zulassung des vierten Corona-Impfstoffes. Außerdem rechne Hartmann-Müller damit, dass ab Mitte April auch Hausärzte in ihren Praxen Corona-Impfungen verabreichen.
Deutliche Worte fand SPD-Kandidat Peter Schallmayer in der Debatte über mögliche Lockerungen: „Wir sollten aufhören, Wirtschaft und Gesundheit gegeneinander auszuspielen.“ Als Lösungen, „um aus dem ganzen Schlamassel herauszukommen“, sieht der Höchenschwander verschiedene Bausteine wie Schnelltests, Impfungen und Smartphone-Apps zur Kundenregistrierung mit dem Zweck der Kontaktverfolgung. Um einer Pleitewelle im Einzelhandel entgegenzuwirken, schlägt der Berufsschullehrer die Förderung des sogenannten E-Commerce, also des Internet-Handels, vor.
„E-Commerce ist ein Versuch zu überleben, aber nicht unsere Kernkompetenz“, entgegnete die Buchhändlerin Nikola Kögel entschieden. Der Online-Handel werfe für inhabergeführte Unternehmen keinen Gewinn ab, und auch das Click-and-Collect-Angebot sei finanziell gesehen nur ein Tropfen auf den heißen Stein, so die Erfahrung der Geschäftsfrau.