„Wir kündigen Ihnen, denn wir renovieren die Wohnung und die höhere Miete können Sie eh nicht bezahlen“ – habe seine Vermieterin damals zu ihm gesagt. „Ich stand kurz davor, auf der Straße zu landen“, erzählt Hans, der seinen Nachnamen nicht nennen will. Die Caritas in seiner Heimat Horb habe ihn dann an das Haus Benedikt der AGJ-Wohnungslosenhilfe im Waldshuter Ortsteil Schmitzingen vermittelt. Hier wohnen mit ihm 20 Obdachlose.

Mit all seinen Mitbewohnern hat Hans seit der Corona-Krise nur wenig Kontakt. Und das sei auch gut so. Denn: Auch Hans gehört wie viele andere Obdachlose zur Risikogruppe. Der 62-Jährige ist nicht nur psychisch angeschlagen, sondern sei auch vorerkrankt, mit einem erhöhten Risiko, dass eine Corona-Erkrankung bei ihm einen besonders schweren Verlauf nehmen könnte. Welche Krankheit er hat, möchte er nicht sagen.

Die Angst vor der Quarantäne

„Die meisten, die hier wohnen, sind nun viel zurückgezogener und ängstlich“, erzählt Hans im Telefongespräch mit dem SÜDKURIER. „Ich habe auch Angst mich anzustecken“, sagt er. Wenn er sich im öffentlichen Raum bewege, dann nur mit Mund-Nasen-Schutz. Täglich geht er mehrmals mit dem Hund spazieren, seit Corona aber nur noch im Wald. Und einmal in der Woche geht er mit einem Mitarbeiter der Wohnungslosenhilfe auf Einkaufstour. Maximal drei Leute dürfen aktuell mitfahren.

In der Gemeinschaftsunterkunft selbst halte sich die Ansteckungsgefahr in Grenzen. „Hier isoliert sich jeder für sich selbst“, erzählt Hans. Die meisten nähmen ihr Mittagessen mit in ihr Zimmer, maximal drei Bewohner essen gemeinsam – aber mit Abstand – in der Gemeinschaftsküche.

„Wenn einer von uns die Krankheit bekäme, dann wird das ganze Haus unter Quarantäne gestellt, das ist meine größte Angst.“
Hans, Wohnungsloser in Waldshut

Denn: „Dann wäre unser Bewegungsfreiraum noch mehr eingeschränkt.“ Im Moment möchte er keinen persönlichen Kontakt zu anderen Menschen, die Angst sei zu groß.

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Hans ist im Haus Benedikt für den Putzdienst zuständig und reinigt ehrenamtlich die Küche, den Eingangsbereich und die Toiletten. Seit Corona sind neue Aufgaben hinzugekommen: Auch die Treppengeländer über drei Stockwerke desinfiziert er jetzt und auch alle Türklinken.

„Dabei habe ich keine Angst, mich anzustecken, ich gehe ja mit Desinfektionsmittel um und trage Handschuhe.“
Hans

Doch Einrichtungsleiter Sotiris-Aki Kiokpasoglou betont: „Sein Engagement geht weit über das Alltägliche hinaus.“ Hans übernehme auch den Haus- und Funktionsdienst im Rahmen des Beteiligungskonzepts der AGJ. Das heißt: Er nimmt Telefonanrufe entgegen und kümmert sich um Menschen, die neu im Haus aufgenommen werden, in Absprache mit den Sozialarbeitern. Er nehme an Haus- und Dienstbesprechungen teil, rede mit und gestalte mit. „Er ist eine wichtige Stimme für viele im Haus“, so Kiokpasoglou. „Und dieses Engagement gibt ihm Halt.“

Endlich wieder Kontakt zur Familie

Seit drei Jahren hat Hans seine zwei Töchter und seine zwei Enkelkinder nicht mehr gesehen. Der Kontakt brach ab, nachdem er seine Wohnung in Horb verloren hatte:

„Sie wussten nicht, wo ich bin und ich wusste nicht, wo sie sind.“
Hans

Denn auch seine Töchter seien dann umgezogen. Während der Corona-Zeit hat sein Leben nun eine wunderbare Wendung genommen: Eine Tochter hat über das Einwohnermeldeamt erfahren, wo Hans sich nun aufhält und Kontakt mit ihm aufgenommen. Seit vier Wochen hat der Vater nun wieder mit seinen Töchtern telefonisch Kontakt. „Nach der Corona-Zeit möchte ich sie endlich wieder treffen“, erzählt er.

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Es sei schön, wenn man sich in diesen schweren Tagen auf etwas freuen kann. Seine Enkel seien inzwischen vier und 14 Jahre alt. Auf ein Wiedersehen freut er sich sehr. Die Freude überwiegt die Angst.

Das Gefühl der Machtlosigkeit überwunden

Viele der Wohnungslosen würden keine Perspektiven sehen, ein riesiger Berg an Resignation türme sich auf, sagt auch AGJ-Einrichtungsleiter Sotiris-Aki Kiokpasoglou. Auch Hans war, als der SÜDKURIER im Februar das erste Mal mit ihm sprach, eher in einer perspektivlosen Stimmung. „Wir sind zur Chancenlosigkeit verdammt“, sagte er damals noch. Doch heute ist das anders.

„Das Gefühl der Machtlosigkeit überwinden – das schafft Hans. Er hat es verwandelt in ein Aktivwerden für sich und andere.“
Sotiris-Aki Kiokpasoglou

Hans schmiedet nun Pläne für die Zukunft, hat Wünsche. Veilleicht auch, weil der Kontakt zu seiner Familie ein neuer Lichtblick bedeutet. Aktuell ist er auf der Suche nach einer eigenen Wohnung. „Doch das ist mit Hund sehr schwer“, sagt er. Nächstes Jahr bekommt er zwar Rente, aber zur Ruhe setzen möchte er sich nicht. „Ich würde gerne älteren Menschen einen Putzdienst anbieten und für sie als Gesprächspartner da sein“, erzählt er. Doch erst einmal muss die Corona-Krise enden. „Hoffentlich ist das bald vorbei“, sagt er hoffnungsvoll.