Frau Herzog, was waren Ihre ersten Symptome nach der Infektion und wie geht es Ihnen heute?
Meine Infektion mit dem Delta-Virus schien einen milden Verlauf zu nehmen. Ich war anfangs einfach nur sehr müde und habe viel geschlafen. Irgendwann kam der Moment, wo ich Husten, Geschmacksverlust und Atemprobleme bekam. Nach der akuten Phase habe ich auch einmal die Notaufnahme aufgesucht. Es kamen immer mehr Symptome hinzu.
Ich wohne im dritten Stock und kam nicht mehr das Treppenhaus hoch. Mittlerweile habe ich durch die Erkrankung, wie viele andere Betroffene, weitere Zusatzerkrankungen wie unter anderem ME/CFS (neuroimmunologische Multisystemerkrankung) entwickelt.
Ich habe eine Odyssee bei Ärzten hinter mir, zwei Rehas und vier gescheiterte Wiedereingliederungsversuche in zweieinhalb Jahren. Aber jetzt bin ich in den Händen einer engagierten Ärztin und mit Medikamenten eingestellt und habe Tage, an denen ich mich gesünder fühle und beispielsweise E-Bike fahren kann.
Aber es gibt immer noch Tage, an denen ich zurückfalle und nicht aufstehen oder rausgehen kann. Mein Nervensystem ist fehlreguliert. Ein zu freudiges oder trauriges Ereignis reicht und es kippt. Bis heute habe ich kognitive Ausfälle, zum Beispiel habe ich vor kurzem ungewaschene Wäsche aufgehängt, meist passieren solche Dinge, wenn ich überlastet bin.

Heißt das, Sie reagieren überempfindlich auf Reize?
Ja, ich kann kaum Musik hören, in Läden ist mir schnell alles viel zu viel, selbst die Geräusche in öffentlichen Verkehrsmitteln oder Lichter können zu viel sein. Wenn ich mich anstrenge oder aufrege, steigt mein Puls zu hoch und ich bekomme zu wenig Luft, was mit Herzrasen und Schwindel verbunden ist.
Meine Atemmuskulatur und mein Zwerchfell arbeiten nicht mehr richtig. Ich weiß heute, dass mir alles gut tut, was ich aus der Entspannung heraus ohne Anstrengung und Stress mache, wie zum Beispiel Spaziergänge an der frischen Luft oder im Wald.
Wie wurden Sie Leiterin einer Selbsthilfegruppe für Long Covid?
Ich habe mein Praxissemester beim Jugendamt im Landratsamt Waldshut gemacht und kannte daher Frau Schäfer, die heute die Kontakt- und Informationsstelle für Selbsthilfegruppen KISS leitet. Sie hat mit der Leiterin der KISS-Stelle in Lörrach eine Long-Covid-Online-Selbsthilfegruppe initiiert und anfangs mit ihr gemeinsam geleitet.
Ich war damals Teilnehmerin. Da üblicherweise Betroffene Selbsthilfegruppen leiten und sich diese untereinander auch besser öffnen können, habe ich die Gruppe übernommen.
Wie viele sind in der Gruppe? Funktioniert es online gut?
Ja, es wird gut angenommen. Wir sind insgesamt rund 40 Leute aller Altersgruppen, es ist aber ein Kommen und Gehen. Wir treffen uns jeden Montag. Da bei unserem Krankheitsbild nichts planbar ist, kommen manchmal drei oder vier, manchmal zehn oder mehr, es ist auch schon vorgekommen, dass sie ausfiel.
Um nicht zusätzlich Stress aufzubauen, muss sich niemand an- oder abmelden. Auch liegend kann man teilnehmen. Jeder ist gleichberechtigt, egal ob viele oder wenige Symptome und Beeinträchtigungen vorhanden sind. Wir stehen für jeden offen. Jeder profitiert von jedem.
Wie laufen die Treffen genau ab?
Wir erzählen einander, was uns gut tut. Zum Beispiel, welche Atem- und Entspannungsübungen oder Nahrungsergänzungsmittel/Offlabel-Medikamente anderen helfen. Mir hilft zum Beispiel ein Medikament, das ursprünglich gegen Muskelschwäche ist.
Man gibt sich Tipps, wie man sich den Alltag erleichtern kann, zum Beispiel indem man beim Kochen einen Stuhl an den Herd stellt. Wir sprechen über neueste Studien. Mittlerweile haben wir ein erstaunliches Wissen in der Gruppe. Wir teilen auch gute Momente, sprechen zwischendurch auch über ganz andere Dinge und lachen auch mal wie in jeder anderen Selbsthilfegruppe auch.
Sind Präsenztreffen keine Option?
Die Teilnehmer kommen nicht nur aus dem Landkreis Waldshut und Lörrach, sondern mittlerweile auch von weiter her. Die Entfernungen sind sehr groß und viele sind nicht mehr mobil. Präsenz würde viele ausschließen. Aber online hat natürlich auch Nachteile.
Man trifft sich mit wildfremden Menschen, es ist schwieriger, sich das erste Mal dafür zu überwinden, als wenn man sich in live trifft. Tatsächlich wollten wir zwischendurch auch mal ein Präsenztreffen machen, der Raum war schon gefunden, aber der gesundheitliche Zustand der Mehrheit lies dies nicht zu. Wir halten aber daran fest. Einzelne von uns haben sich auch schon privat persönlich getroffen.
Es heißt, dass auch die Impfung Long Covid ausgelöst hat, sind auch Impfgeschädigte in Ihrer Gruppe?
Wir hatten auch schon einen Impfgeschädigten, aber aktuell sind alle in der Gruppe aufgrund einer Infektion an Long Covid erkrankt. Viele sagen aber, dass ihre Symptome durch die Impfung nach der Infektion verstärkt wurden. Auch bei mir war das so.
Grundsätzlich erhöht jede Infektion das Risiko für Betroffene, zurückgeworfen zu werden. Ein Schnupfen reicht aus. Die Symptome bei Geschädigten durch Infektion oder Impfung sind ähnlich, deshalb sollten auch beide gleichberechtigt behandelt werden. Bei uns in der Gruppe wird das Impfen aber nicht zum Thema gemacht, das muss jeder für sich entscheiden.
Was teilen die Teilnehmer der Online-Treffen alle miteinander? Was eint die Gruppe?
Long Covid hat viele Symptome, jeder hat andere. Einer leidet mehr an kognitiven, der andere mehr an körperlichen. Symptome sind unter anderem Müdigkeit, Schlaflosigkeit, Atemnot, Taubheitsgefühle, kognitive Probleme, die dazu führen, dass auch mal Socken in der Spülmaschine landen oder Kaffeetassen im Kühlschrank.
Das ganze Nerven- und Kreislaufsystem kann betroffen sein. Was wir alle erfahren haben, ist Stigmatisierung. Wir kämpfen nicht nur gegen die Krankheit, sondern auch gegen die Gesellschaft, gegen Ärzte, Behörden wenn es zum Beispiel um Erwerbsminderungsrente geht. Wenn man mit der normalen Diagnostik nichts findet, heißt das noch lange nicht, dass man gesund ist. Manchmal schaffen wir es nicht einmal, in unsere Therapien zu gehen.
Wir fallen durch alle Raster. Die Politik hat nur viele Worte, tut aber viel zu wenig. Es müsste viel mehr Geld für Forschung und Therapiestudien investiert werden. Was uns alle eint, ist das Gefühl, von der Gesellschaft oft nicht verstanden oder ernstgenommen zu werden.
Können Sie die Gründe für dieses Gefühl etwas näher beschreiben?
Sind Long-Covid-Erkrankte anfangs traurig, weil man Alltägliches nicht mehr kann, werden sie oft in die depressive Schublade gesteckt. Durch Long Covid rutschen manche in eine Depression hinein, aber sie ist in der Regel nicht die Ursache. Sind wir eher positiv, heißt es, wir wären Simulanten und würden alles nur vorspielen, um uns auf Kosten der Allgemeinheit auf die faule Haut zu legen.
Es gibt immer noch Ärzte, die Long Covid leugnen und einem sagen, sie sind nicht krank. Oft werden von Ärzten Medikamente und Therapien nicht verschrieben, weil genaue Studien für ihre Wirksamkeit bei Long Covid fehlen.
Und wenn doch, müssen wir bei Krankenkassen kämpfen, damit die Kosten übernommen werden. Hinzu kommt die Bürokratie und der Behördenwahnsinn, wenn wir Ansprüche geltend machen wollen.
Und das nahe Umfeld – welche Erfahrung haben Sie da gemacht?
Auch das nahe Umfeld kann vieles nicht nachvollziehen oder nimmt uns nicht immer ernst. Wer mich zum Beispiel Fahrradfahren sieht, denkt, der geht es doch gut, dass es aber nur ein guter Tag unter vielen schlechten ist, an denen ich manchmal nicht einmal das Haus verlassen kann, erkennen Außenstehende nicht.
Ich trage auch freiwillig in Arztpraxen, und überall wo sich Kranke und vulnerable Menschen begegnen, immer noch Maske. Wir versuchen Infektionen generell zu vermeiden, weil die in der Regel unseren Zustand verschlechtern. Die Pandemie ist bereits fast vergessen, aber die Betroffenen bleiben immer noch auf der Strecke.
Haben Sie Hoffnung, dass Sie wieder ganz gesund werden?
Ja, die Tage, an denen es mir gut geht, stimmen mich optimistisch und die Selbsthilfegruppe hilft mir auch, zuversichtlich zu sein. Ich genieße jeden Tag, an dem es mir gut geht und bin dankbar für die kleinen Dinge und Fortschritte wie zum Beispiel Gartenarbeit und Spaziergänge.