Susann Duygu-D'Souza

Als die Diagnose bei der heute siebenjährigen Liah kam, sie würde nie richtig sehen können, war das für ihre Eltern zunächst ein Schock. Obwohl Mutter Petra Schmidt bereits die Vermutung hatte, dass etwas mit ihrem Baby nicht stimmt. „Nachdem Liah geboren wurde, habe ich schon einige Woche später festgestellt, das sie mich nicht ansieht beziehungsweise mir nicht hinterherschaut, wie es bei Babys normal ist.“

Der Weg zur Diagnose

Doch was für alle fast noch schlimmer war, war dass anfänglich niemand etwas Genaueres sagen konnte. Der Kinderarzt hatte für Liah damals direkt einen Termin im Kinderkrankenhaus und beim Augenarzt vereinbart. „Wir haben seine Unsicherheit und Befürchtungen vor einer schlechten Diagnose gespürt“, erinnert sich Petra Schmidt.

„Der Leiter des Kinderkrankenhauses stellte fest, dass Liah leider absolut nicht altersgemäß entwickelt sei und nutze das erste Mal die Worte ‚es könnte sein, dass sie blind ist‘“, erinnert sich Petra Schmidt. Einige Tage später diagnostizierte die Augenärztin dann Aniridie. „Auf die Nachfrage, was das nun bedeutet, kam von ihr die Aussage: ‚Sie wird nie richtig sehen können – mehr kann ich ihnen dazu nicht sagen, da ich diese sehr seltene Krankheit noch nie bei einem Patienten hatte – bitte fahren sie in eine Uniklinik‘.“ Als Petra Schmidt erneut fragte, was ‚nicht richtig sehen können‘ bedeutet, antwortete die Ärztin, dass sie sehr schlecht sehen wird und die Blindenschrift erlernen müsse.

Aniridie – und niemand kann anfänglich helfen

„Mit dieser Diagnose wurden wir nach Hause geschickt.“ Noch im Auto haben die Eltern sofort die Krankheit gegoogelt und sind auf den Verein „Aniridie-Wagr“ gestoßen.

„Wir haben dann direkt auf dem Parkplatz die erste Vorsitzende telefonisch erreicht und über eine Stunde erste Informationen über die Krankheit erhalten. Sie konnte uns dann gleich schon beruhigen und uns viele Informationen geben. Wir wurden dann direkt Mitglied im Verein und haben in den folgenden Wochen viel Hilfestellung bekommen“, erzählt die Waldshuterin. „So haben wir auch den Kontakt zur Aniridie-Spezialistin Frau Prof. Käsmann-Kellner vermittelt bekommen, bei der wir bereits nach vier Wochen einen Termin bekommen haben.“

„Auch Erleichterung war dabei“

Als die Diagnose Aniridie kam, war das aber auch irgendwie eine Erleichterung für die Eltern. „Denn nur, wenn man weiß, worum es sich handelt, kann man helfen“, sagt Petra Schmidt.

Durch die Augen der kleinen Liah

Umrisse und Farben kann Liah erkennen: Ein Blick durch die Brille der Siebenjährigen – so sieht sie ihre Mama Petra. ...
Umrisse und Farben kann Liah erkennen: Ein Blick durch die Brille der Siebenjährigen – so sieht sie ihre Mama Petra. Glücklicherweise empfindet Liah das Bild laut ihrer Ärztin nie als verschwommen, da sie es nicht anders kennt. Ihr fehlt aber das Sehvermögen für Details. „Im näheren Bereich sieht Liah in etwa so, wie es die Simulation zeigt. Im entfernteren Bereich ist jedoch alles undeutlicher“, erklärt Aniridie-Expertin Barbara Käsmann-Kellner. | Bild: Duygu-D'Souza, Susann
Zum Vergleich: Liahs Mutter Petra Schmidt ohne Blick durch Liahs Brille.
Zum Vergleich: Liahs Mutter Petra Schmidt ohne Blick durch Liahs Brille. | Bild: Petra Schmidt

Nach der richtigen Diagnose ging dann alles zügig: Es folgten administrative Dinge wie das Beantragen des Pflegegrads, Schwerbehindertenausweises sowie einer Frühförderung. „Bereits einige Wochen nach der Diagnose begannen die Therapien wöchentlich und regelmäßige Augenarzt-Termine folgten.“ Anfangs wurde ihr Sehvermögen auf 10 bis 20 Prozent geschätzt. „Seit wir richtige Sehtests mit ihr machen können, hat sie 16 Prozent erreicht.“ Mit Brille.

Liah wird trotz Einschränkung Kita-Kind

Liah durfte dann mit zwei Jahren als Integrativkind in den Kindergarten und bekam weiterhin wöchentliche Unterstützung durch eine Therapeutin der Frühförderstelle „Sehen“, die sich auf blinde und sehbehinderte Kinder spezialisiert haben.

„Zum Glück hat sich schon bald gezeigt, dass Liah ein sehr aufgewecktes Kind ist, das sich nicht durch ihre Einschränkung bremsen lässt“, freut sich Petra Schmidt. „Sie fuhr bereits mit 1,5 Jahren Laufrad und mit drei Jahren Fahrrad. Man merkt ihr die Sehbehinderung, wenn man sie nicht kennt, kaum an.“ Und worüber ihre Eltern besonders froh sind, ist, dass Liah ihre Behinderung nicht als Problem ansieht.

Ein fast normales Leben

Das kleine Mädchen ist neugierig und aufgeweckt, kontaktfreudig und abenteuerlustig. Am liebsten malt sie.

Aber: Beim näheren Betrachten erkennt man ihre Schwächen: Sie fällt schneller hin als andere Kinder, weil sie beim Erkennen von Unebenheiten auf dem Boden Probleme hat. Sie nimmt Bilderbücher sehr nah heran, um die Abbildungen erkennen zu können. „Sie bastelt sehr gerne und auch hier ist ihre Nase immer ganz nah an den Objekten“, erzählt Petra Schmidt.

Weil das eine Auge stärker ist und sie deshalb eine etwas schräge Kopfhaltung habe, muss Liah auch regelmäßig zum Osteopaten.

Sonnenlicht kann das Sehvermögen schwächen

Auch Sonnenlicht ist gefährlich für Liah und kann ihre Sehkraft negativ beeinflussen. Mit Hilfe einer Spezialbrille, die Liah rund um die Uhr trägt, werden gewisse Lichtfrequenzen blockiert. „Die Brille dunkelt sich zudem von selbst ab, wenn das Licht zu hell wird, denn durch die fehlende Iris ist sie schnell geblendet. Außerdem muss Liah ein Cappy tragen, damit die Sonne nicht von oben blendet“, erklärt ihre Mutter. Die Spezialbrille müssen die Eltern allerdings selbst zahlen. Die Kasse würde lediglich die Kosten für eine normale Brille und eine Sonnenbrille übernehmen. „Aber gerade beim Spielen wäre ein ständiger Brillenwechsel kaum machbar“, erklärt Petra Schmidt.

Als Liah dann vier Jahre alt wurde, haben sich bei ihr erste Anzeichen von steigenden Augendruck gezeigt. „Mit fünf Jahren begann dann ihre Medikamententherapie, die bisher glücklicherweise gut anschlägt, sodass aktuell keine Operation notwendig ist.“ Heute muss Liah mindestens alle drei Monate zur Kontrolle in eine Augenklinik. Ein Mal im Jahr fahren sie zu einer Aniridie-Expertin ins Saarland. Barbara Käsmann-Kellner, Expertin für Aniridie an der Klinik für Augenheilkunde am Universitätsklinikum des Saarlandes UKS: „Aniridie ist leider eine Erkrankung, die im Verlauf des Lebens viele Komplikationen entwickeln kann, sodass nicht sicher ist, ob Liah ihr jetziges Sehvermögen erhalten kann.“

Bald geht es in die Schule

Liah wird im September, wie ihr Bruder, auf die Christliche Schule Hochrhein gehen. „Dort kommt sie regulär in die erste Klasse. Wir haben eine tolle Unterstützung durch die Schule und sind uns sicher, dass wir gemeinsam mit dem Team der Schule Liah einen guten Start in den Schulalltag geben können.“

Familie Schmidt mit Mama Petra, Töchterchen Liah, Papa Thorsten und Sohn Mika.
Familie Schmidt mit Mama Petra, Töchterchen Liah, Papa Thorsten und Sohn Mika. | Bild: Juliane Vatter

Auch wenn Familie Schmidt mit der Krankheit ihrer Tochter den Alltag bestmöglich meistert, stößt sie auf Probleme. Das fängt schon bei den Augenarzt-Besuchen an, denn „kein Arzt hat hier im Landkreis das Spezialgerät, mit dem bei Kindern der Augendruck auf eine angenehmere Art gemessen werden kann. Viele wissen hier überhaupt nicht, wie man mit Aniridie umgeht und was das Kind braucht. Das macht es oft nicht einfach“, weiß Liahs Mutter.

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Krankheit noch weitestgehend unbekannt

Und bei rund 900 Fällen in Deutschland (Quelle: Deutsche Opthalmologische Gesellschaft) ist das Wissen über die Krankheit auch bei Augenärzten weitestgehend unbekannt. Aber: Wird die Augenfehlbildung nicht rechtzeitig erkannt, drohen Erblindung und bei entsprechender Veranlagung sogar ein bösartiger Nierentumor, weiß Aniridie-Expertin Barbara Käsmann-Kellner. Deshalb ist es für Petra Schmidt wichtig, mit der Krankheit ihrer Tochter in die Öffentlichkeit zu gehen. „Aniridie muss bekannter werde, damit Betroffenen schnell geholfen werden kann.“

Selbsthilfegruppe ist besonders wichtig

Umso wichtiger sei die Arbeit der Selbsthilfegruppen wie der Verein „Aniridie-Wagr“.

„Der hat uns sehr geholfen, sodass ich mittlerweile mit im Vorstandsteam bin und für die Mitgliederbetreuung zuständig bin. Es macht mir eine große Freude, dass ich nun anderen Familien, die teilweise wie wir damals gerade frisch die Diagnose bei ihrem Kind bekommen haben, helfen zu können wie uns damals geholfen wurde“, sagt Petra Schmidt.

Das wünscht sich die Familie

Petra Schmidt: „Dass Liah ihre Schule beendet und ihr Sehvermögen nicht schlechter wird.“ Denn auf Besserung gibt es derzeit noch keine Chance.

Kontakt: Unterstützung bei Aniridie gibt es beim Aniridie-Wagr-Verein, Petra Schmidt, E-Mail (mitgliederbetreuung@aniridie-wagr.de).