Die Maßnahmen zum Schutz vor einer Corona-Infektion gleichen insbesondere im Hinblick auf die Bewohner von Pflegeheimen der Quadratur des Kreises: Einerseits sind Senioren als Hochrisikogruppe mit den meisten Einschnitten konfrontiert. Seit über einem Monat gilt etwa ein bundesweites Besuchsverbot durch Angehörige, seit einigen Wochen gar eine Ausgangssperre. Andererseits sollen aber Isolation und Vereinsamung der Senioren möglichst verhindert werden.
Eine Entwicklung der Bad Säckinger Kunstschreinerei Matt könnte jetzt für erhebliche Erleichterung für alle Beteiligten sorgen: „Vis á vis – Haus an Haus“ heißt das Produkt, dass Pflegeheimbewohnern und ihren Angehörigen einen direkten, aber kontaktlosen Besuch ermöglicht – und das sich eben darum großer Nachfrage erfreut.
Das steckt hinter „Vis à vis – Haus an Haus“
Konkret handelt es sich dabei um ein komplett abgeschlossenes Häuschen mit einer großen Plexiglasfassade, das gewissermaßen ans Erdgeschoss eines Pflegeheimes angedockt werden kann: „Man es an ein Fenster stellen oder an einen Balkon“, schildert Schreinermeister Reinhard Matt, der die Idee zu diesem Produkt hatte.
Über eine Gegensprechanlage können die Besucher vom Häuschen aus direkt mit ihrem Angehörigen im Innern des Pflegeheims sprechen. Es sei ein Versuch, die Härten des seit 16. März geltenden bundesweiten Besuchsverbots in Altenpflegeheimen zu mildern – und möglicherweise auch eine übereilte Lockerung der Schutzrichtlinien aufgrund des öffentlichen Drucks zu vermeiden, sagt Matt.
Denn es sei nun einmal vielen Menschen wichtig, ihre Angehörigen im Heim regelmäßig zu besuchen, was aber wegen der Pandemie schlicht nicht vertretbar sei, schildert Matt das Grundproblem, das seinen Überlegungen zugrunde lag. Denn für viele Menschen ergebe sich durch den fehlenden direkten Kontakt zu ihren Angehörigen eine unerträgliche Situation.

Auch persönliche Betroffenheit macht erfinderisch
Die Familie Matt selbst sei von dieser Problematik aus zwei ganz unterschiedlichen Perspektiven betroffen gewesen: „Meine Mutter ist selbst Bewohnerin eines Pflegeheims. Und mein Bruder Helmut Matt ist Inhaber und Geschäftsführer des Pflegezentrums Hegau in Singen.“
Während die Mutter mit Inkraftreten der Regelung von ihrer Familie abgeschnitten war, galt es für Helmut Matt, das Besuchsverbot umzusetzen und vor Angehörigen immer wieder zu rechtfertigen. Zwar gebe es durchaus Kontaktmöglichkeiten wie Videotelefonie, doch die Praxis zeigte, dass die Senioren häufig schon mit der Technik ihre Schwierigkeiten haben, so Reinhard Matt.
„Als Schreiner bin ich vor allem auch Problemlöser“, sagt Reinhard Matt verschmitzt. Und diese Idee nahm in Windeseile in Form eines freistehenden Häuschens Gestalt an: „Das Vis-à-vis-Häuschen steht frei und kann somit nicht nur bei einem bestimmten Haus verwendet werden, sondern bei allen, die über notwendige Voraussetzungen beim Grundstück verfügen“, so Matt weiter.

Entwicklung in Absprache mit Heim, Behörden und Partnern
In enger Absprache mit seinem Bruder als Fachmann für Altenpflege entwickelte Matt das Projekt weiter. Schnell konnten dem Gesundheitsamt und der Heimaufsicht des Landkreises Konstanz erste Pläne vorgelegt werden. „Sie waren von der Idee begeistert, allerdings gab es Bedenken wegen des Werkstoffs Holz“, so Matt. Konkret ging es dabei um die Erfüllung von hygienischen Standards bei Reinigung und Desinfektion des Häuschens, die bei Holz nicht zu bewerkstelligen sind.
Aber auch hier wurde schnell eine Lösung gefunden – ebenfalls in der Trompeterstadt: „Der Weg führte zur Firma Ultradex, mit der wir in den vergangenen Jahren immer wieder sehr gut zusammengearbeitet haben.“ Gemeinsam wurden verschiedene Möglichkeiten getestet. Letztlich fiel die Wahl auf Kunststoffplatten aus Recyclingmaterial.
Und dann ging es ganz schnell: Zehn Tage nach der ersten Idee sei bereits ein Prototyp fertig gewesen, so Reinhard Matt. Kurz vor Ostern konnte am Pflegezentrum Hegau das erste „Vis-à-vis“-Häuschen aufgebaut werden. Kurz darauf folgte dann auch der erste Besuch der Familie Matt bei der Mutter – „ein sehr emotionaler Moment“, wie der Schreinermeister sagt. Das PZH habe während der Feiertage einen halbstündigen Besuchsrhythmus für Familien angeboten, so Matt: „Die Zeiten waren natürlich schnell ausgebucht.“
Familienprojekt stößt auf gewaltiges Interesse
Das Vorhaben wurde schließlich auch in der Umsetzung zu einem Familienprojekt. Tochter Sonja steuerte den Namen für das Produkt und das Logo. Die Söhne Thomas und Tobias unterstützen Reinhard Matt bei Transport und Aufbau der Häuschen an ihren Bestimmungsorten. Die Produktion läuft in der Werkstatt in Bad Säckingen, wo die beiden Mitarbeiter Michael Dobler und Christian Boeke mit Reinhard Matt die Teile herstellen, die als Bausätze zu haben sind. Ab kommender Woche werde die Firma Ultradex schließlich die bundesweite Vermarktung des Ganzen übernehmen, so Matt.
Die Nachfrage sei bereits riesig: Fünf Vis-à-Vis-Häuschen wurden bereits aufgebaut, es gebe aber bereits etliche Anfragen. Mit der Stuttgarter Schreinerei Prewo gibt es einen Kooperationspartner, und Dank der Projektdarstellung in den sozialen Medien stößt das Projekt bereits auf internationales Interesse.
Sogar eine Anfrage einer englischen Schreinerei erhalten, die das Produkt ebenfalls anbieten wolle, liege bereits vor: „Ich habe gerne zugesagt“, so Matt. Wenn er auf diesem Weg auch noch anderen helfen könne, könne ihm das nur recht sein.