„Die Armee Bourbakis wird heute, etwa 80 000 Mann stark, auf Schweizer Boden übertreten“, veröffentlichte der Alb-Bote am 1. Februar 1871 diese offizielle Meldung aus Bern. Es handelte sich um die Internierung der französischen Ostarmee von General Bourbaki, die nach ihrer Niederlage im deutsch-französischen Krieg 1870/71 vor den deutschen Truppen zurückgewichen war und in den Kantonen Waadt und Neuenburg die Grenze überschritt.
Extreme Herausforderung für die Schweiz
Die Aufnahme der bis zu 87 000 durch Hunger und Kälte gezeichnete Soldaten, die untergebracht, verpflegt, medizinisch betreut und bewacht werden mussten, stellte extreme Anforderungen an die Schweiz. Viele der Soldaten mussten mit neuer Kleidung und neuem Schuhwerk ausgerüstet werden. Die Internierten wurden auf 190 Ortschaften in allen Kantonen außer dem Tessin verteilt. In die südbadischen Nachbarkantone kamen laut Alb-Bote 11 000 Mann nach Zürich, in den Aargau 8800, in den Kanton Schaffhausen 1200 und jeweils 1500 Mann in die Kantone Baselland und Baselstadt.
Verendete Pferde liegen an allen Straßen
„Militär zieht nun zu Fuß und per Bahn ins Innere der Schweiz“, berichtete der Alb-Bote Anfang Februar 1871 aus dem Kanton Neuenburg. „Die Bespannung der Geflüchteten ist so elend, dass auf offener Straße Kriegsmaterial zurückgelassen werden musste. Verendete Pferde liegen an allen Straßen.“
Im Alb-Bote-Bericht vom 4. Februar 1871 wird von dem Schweizer Verfasser die Ankunft der Internierten im Kanton Zürich geschildert: „Der gestrige Abend brachte uns die ersten Sendungen der Überreste von der Bourbaki’schen Armee. Um 5 Uhr langten die ersten Tausend und um 9 Uhr ein zweites Tausend hier an. Einsender dieses, der bei der Ankunft anwesend war, vergaß in diesem Augenblick vollständig den Unterschied zwischen Freund und Feind. Denn hier hatte man es mit unglücklichen, abgehärmten, halbverhungerten Gestalten zu tun.
Vom Burschen bis zum 40-Jährigen
Alle möglichen Lebensalter waren vertreten: Burschen, die kaum der Schule entwachsen sind, gingen neben grauköpfigen Alten einher, die große Mehrheit wurde indessen von Leuten des Lebensalter von 20 bis 40 Jahren gebildet. Wie das Alter, bot auch die Bekleidung eine mannigfache Musterkarte dar. Turkos (=algerische und tunesische Schützenregimenter) und Zuaven (=algerische Infanteristen), Mobilgarden und Liniensoldaten, alles ging durcheinander, teilweise in einer sehr phantastischen Tracht, meistens aber in roten Hosen, von denen gar viele mehr Löcher als Zeug aufzuweisen hatten. Das Schuhwerk befand sich in einem bedauernswerten Zustande. Ganze und halbe Stiefel, mit und ohne Sohlen, wechselten miteinander ab, und glücklich noch die, welche nicht in bloßen Strümpfen den von Schnee und Schmutz bedeckten Boden zu passieren hatten.
Trotz Unglück waren viele bei gutem Humor
Und trotz aller erlittenen Strapazen, trotz des Unglücks, das ihr Vaterland so mächtig getroffen, waren viele bei gutem Humor und betrachteten sich die neue Lage mit jenem Leichtsinn, der einen eigentümlichen Zug im Charakter der Franzosen bildet. Mit der Aufnahme in der Schweiz schienen die ungebetenen Gäste sehr zufrieden zu sein. Befanden sie sich doch wieder unter Dach und Fach, zu essen und zu trinken gab es auch wieder und an Zigarren fehlten es auch nicht.“
Französische Kriegskasse enthielt anderthalb Millionen
Aus Bern berichtete der Alb-Bote am 8. Februar 1871, dass „statt der erwarteten 5000 Pferde von den Internierten 8000 Pferde in die Schweiz gekommen sind; sie sollen verkauft werden. Die abgelieferte französische Kriegskasse enthielt anderthalb Millionen, die auf der eidgenössischen Staatskasse deponiert sind. Die französische Regierung sendet 62 Waggons mit Lebensmitteln.“
Internierung dauert sechs Wochen
Die Internierung dauerte schließlich sechs Wochen. Zwischen dem 13. und 22. März konnten die Internierten nach Frankreich zurückkehren. Die französische Regierung bezahlte einen Betrag von 12,1 Millionen Franken für die Unkosten. 1700 der internierten Soldaten sind in dieser Zeit an Erschöpfung, an ihren Wunden oder an Krankheiten gestorben. Sie wurden in der Schweiz beigesetzt. Mit dem Vorfrieden von Versailles am 26. Februar und dem am 10. Mai 1871 in Frankfurt endgültig geschlossenen Frieden endete der am 19. Juli 1870 von Frankreich erklärte deutsch-französische Krieg.