Waldshut/Benken – Schweizer Atommüll muss in der Schweiz entsorgt werden. So will es das schweizerische Kernenergiegesetz. Es schreibt eine dauernde und sichere Entsorgung der Abfälle in geologischen Tiefenlagern in der Schweiz vor. Für die Umsetzung dieses Auftrags ist die von den Atomkraftwerksbetreibern und dem Schweizer Bund 1972 gegründete Nationale Genossenschaft für die Lagerung radioaktiver Abfälle (Nagra) verantwortlich. Finanziert wird die Nagra durch die Atomkraftwerksbetreiber, den Bund und dem von den Atomkraftwerksbetreibern getragenen Atom-Zwischenlager (Zwilag). In Erfüllung ihres gesetzlichen Auftrags hat die Nagra dem Schweizer Bund im vorigen Jahr zwei Standortregionen für den Bau eines Tiefenlagers zur weiteren Untersuchung vorgeschlagen: Die Region Jura Ost (Bözberg) und die Region Zürich Nordost (Zürcher Weinland/Benken). Auf Anforderung der Atomaufsichtsbehörde Ensi muss auch die bereits von der Nagra ausgeschiedene Region Nördlich Lägeren noch in Teilen nachuntersucht werden.
Im Gespräch mit dem SÜDKURIER äußerte der Zürcher Geologe und Experte in Sachen Endlagerung radioaktiver Abfälle, Marcos Buser, Zweifel an der aus Aspekten der Sicherheit betrachteten Brauchbarkeit der Nagra-Vorschläge und auch an der Vorgehensweise bei der Tiefenlager-Suche: „Das Suchverfahren ist zunächst positiv zu bewerten. Aber es hat Fehler in der Umsetzung. Die Struktur beim Vorgehen in der Suche durfte nicht der Industrie überlassen werden. Der Staat hätte die Verantwortung für eine Million Jahre nicht den Verursachern überlassen dürfen“, so Buser. Es fehlten unabhängige, nicht unter wirtschaftlichem Druck oder Erfolgszwang stehende, Einrichtungen, die dem Risiko entgegenwirkten, dass durch das Entsorgungsprojekt neue Altlasten produziert würden.
Das laufende Verfahren sei nicht flexibel und korrekturfähig genug, dass ein Projekt am Ende auch aufgegeben werden könnte.
Die von der Nagra favorisierten Tiefenlager-Standorte Zürcher Weinland und Bözberg zu denen nachträglich auch noch Nördlich Lägeren gekommen ist, sind laut Buser alles andere als sicher: „Alle drei liegen am Rande oder teilweise oder ganz über dem Permokarbon-Trog. Dieser Trog wurde nie umfassend untersucht auf Tiefe, Spannungen, Inhalt.“ Die Antwort auf diese Fragen sei aber unabdingbar für die Sicherheit eines Tiefenlagers. Auf diesem Permokarbontrog, vereinfacht gesagt einem Riss oder einer Senke in dem kristallinen Gestein der oberen Erdkruste, liegen die später entstandenen Sedimentgesteine, darunter auch der für ein Tiefenlager ausgesuchte Opalinuston. Von der Beschaffenheit des Troges und seinem Inhalt hängt die Stabilität dieser Sedimente ab. Weitere Spannungen im kristallinen Grundgebirge, wie sie zur Trogbildung geführt haben, könnten die darüber liegenden Sedimentschichten ebenso in Bewegung bringen, wie die spätere Ausbeutung seines Inhalts, Erdgas oder Kohle zum Beispiel, oder die Nutzung für Geothermie.
Dieser Trog sei seiner ersten Erwähnung im Jahr 1973 durch den Geologen Kurt Lemcke nie umfassend untersucht worden. Die Nagra habe zwar seismische Untersuchungen aus der Zeit der Erdölsuche in diesem Gebiet ausgewertet und auch eigene Untersuchungen gemacht, so die Tiefbohrungen Weiach und Riniken, aber essenzielle Erkenntnisse über den Trog, seine Tiefe, seine Begrenzungen, seine Entstehungsgeschichte sowie über die in ihm ablaufenden Prozesse fehlten immer noch. Buser verwies im Gespräch in diesem Zusammenhang auf Untersuchungen und Publikationen der Nagra, die unter anderem im Gebiet des Zürcher Weinlandes eine Gabelung des Troges zeigen. Um der Antwort auf die Frage nach der Sicherheit für ein Tiefenlager näherzukommen, seien mehrere Tiefbohrungen in den Trog, sowohl am Südrand (Baden – Irchel – Herdern –Lineament) und in den nordöstlichen Schwellenzonen (Zürcher Weinland) nötig. Würden dabei größere Reserven von nutzbaren Rohstoffen auftauchen, käme das Gebiet für ein Tiefenlager nicht mehr in Frage. Bruchzonen, hydraulische Durchlässigkeit und auf mögliche neuerliche Bewegungen hindeutende Situationen, besonders an den Trogrändern, seien weitere Ausschlusskriterien.
Ein weiteres Problem sei die „durchlöcherte obere Erdkruste“ besonders im Gebiet Benken. „Die große Dichte von Bohrungen nach Erdöl, Gas oder Geothermie sind ein echtes Problem für ein Lager in 500 oder 600 Metern Tiefe“, so Buser weiter.
Zweifel ließ Marcos Buser auch daran erkennen, ob es in der Schweiz überhaupt einen Ort für ein sicheres Tiefenlager gebe. „Die Nagra sagt, das Zürcher Weinland sei ein guter Standort. Ich halte die geologischen Verhältnisse in der Schweiz für zu kleinräumig, mit vielen Störungen behaftet, um einen sicheren Standort zu haben.“ In Europa gebe es Gebiete mit größeren und ruhigeren Tonschichten, in Norddeutschland zum Beispiel, in Polen oder im Pariser Becken. Auf die Frage, ob einer internationalen Endlagerlösung nicht das Schweizer Atomgesetz entgegenstünde, meinte der Geologe, dass Gesetze auch geändert werden könnten.
Zur Person und zur Tiefenlagersuche
- Zur Person: Marcos Buser, Jahrgang 1949, ist Geologe und Sozialwissenschaftler. Seit über 40 Jahren ist er auf dem Gebiet der Kernenergie und der Entsorgung chemotoxischer Sonderabfälle tätig. Marcos Buser war unter anderem von 1999 bis 2002 Mitglied der Ekra-Expertenkommission für das Schweizer Endlagerkonzept und von 2008 bis 2012 in der Eidgenössische Kommission für nukleare Sicherheit. Er war Präsident der Überwachungs- und Begleitkommission des internationalen Forschungslabors Mont Terri für hochradioaktive Abfälle. Zurzeit arbeitet er an einem Synthesebericht der Organisationsstrukturen im Bereich der Entsorgung radioaktiver Abfälle in der Schweiz sowie an verschiedenen Büchern über die nukleare Entsorgung. Buser ist Leiter des Zürcher Instituts für nachhaltige Abfallwirtschaft INA GmbH. Zusammen mit dem Geologen Walter Wildi hat Buser einen Blog zum Thema Entsorgung von Nuklearabfällen geschaltet (www.nuclearwaste.info).
- Zur Suche: Geologische Tiefenlager für die Entsorgung der radioaktiven Abfälle der Schweiz hat die Nationale Genossenschaft für die Lagerung radioaktiver Abfälle (Nagra) in den Regionen Zürich Nordost (angrenzend an Jestetten) und Jura Ost (angrenzend an Laufenburg/Baden und Waldshut) in die engere Wahl genommen. Aufgrund einer Weisung der Atomaufsicht Ensi (Eidgenössisches Nuklearsicherheitsinstitut) muss auch die bereits ausgeschiedene Region Nördlich Lägeren (angrenzend an Hohentengen) nachuntersucht werden.