Bunt wie das ganze Leben war der Besuch von Sozialminister Manne Lucha (Grüne) in Bonndorf. Für das Podium waren angemeldet Bewohner der beiden Wohngemeinschaftstypen, die die Caritas in Bonndorf betreibt, entsprechend viele Mitbewohner waren im Publikum, ebenso wie Pfarrer Eckhard Kopp, die Sozialdezernentin des Landkreises, Sabine Schimkat, Gemeinderäte und und Ehrenamtliche rund um das Thema Asyl.
Selten genug, um so auffälliger und angenehmer: Es ging praktisch nicht um Parteipolitik sondern immer nur um die Sache. Denn eigentlich war es eine Wahlkampfveranstaltung des Bundestagskandidaten der Grünen, Ulrich Martin Drescher, der von den städtischen Integrations- und Inklusionskonzepten gehört, sich dafür interessiert hatte und dafür sorgte, dass der Minister in die Löwenstadt gekommen ist. Der Kandidat selbst aber hielt sich vornehm zurück und überließ den Fachleuten die Bühne.
Martin Riegraf, Chef der Caritas Hochrhein, übernahm die Diskussionsleitung und begann mit einem Kompliment an die Stadt, den Bürgermeister und den Pfarrer, das sich anhörte wie aus einem Drehbuch für einen Heimatfilm. "Bonndorf hat die Strukturen, dass wir hier etwas ausprobieren können, das ist wie ein Labor. Wenn es funktioniert ist es super und wenn nicht, nicht so schlimm. Aber meistens funktioniert es." So habe man hier mit der Caritas-WG für Erwachsene mit Handycap vor sieben Jahren ein Zwischending von ambulantem und stationärem Wohnen eingerichtet. Auch mit den jugendlichen Uma (unbegleitete minderjährige Ausländer) sei man gerne hier her gekommen.
Der Minister selbst blies zur Begrüßung ins gleiche Horn: "Der oberste Zugochs einer Gemeinde ist der Bürgermeister und wenn der etwas vorlebt, machen die Menschen mit." Hier habe man deutlich das Gefühl, dass sich der Schultes als Bürgermeister für 100 Prozent der Bonndorfer verstehe und eben keinen außen vor lasse. Wenn man draußen in den Gemeinden sei, würde man öfter spüren, dass "die Lage 1000 Mal besser ist, als die mehrheitlich medienskizzierte Stimmung." Jens Friedrich von der Caritas WG hatte sich vorgestellt als Fußballfan. Den Ball nahm Lucha auf. Aus Altötting kommend habe er Fußballtraining beim Vater von Paul Breitner gehabt. "Hinterher hat man sich immer übergeben müssen, ich musste glücklicherweise nicht so lange dabei bleiben, weil mein Talent limitiert war." Ein bisschen schlage sein Herz dennoch für die Bayern Frau und Sohn folgten den Dortmundern, auch den SC Freiburg beobachte er mit Sympathie, wofür es gleich Applaus gab. Mitgefühl bekam der Minister auch, als er darstellte, als Mensch mit Österreichisch-ungarischen und Bayerischen Wurzeln die Umsiedlung nach Oberschwaben als Befreiung gesehen zu haben.
Riegraf hatte im Vorfeld bereits gewarnt, dass die Bewohner der WG im Echtleben und auch in der Proberunde für diese Diskussion oft ins vertrauliche Duzen gewechselt hätten. Nathalie Bühler aus der Caritas-WG nahm das gerne auf und sprach entsprechend befreit vor: "Ich wohne seit sieben Jahren hier, es ist so schön, dass ich gar nicht mehr wegwill. Der Bürgermeister ist mein Götti und Monsignore, der Herr Kopp hat mich getauft." Sie verwies mit Stolz darauf, dass ihre Mandalas das Foyer der Stadthalle schmücken und fragte den Minister: "Hast Du selbst Freunde, die Ausländer oder behindert sind?"
Mit seinem beruflichen Hintergrund als gelernter Krankenpfleger, der unter anderem Sozialarbeit studierte und 30 Jahre lang in der psychiatrischen Versorgung in Oberschwaben aktiv war, kenne er viele Menschen mit unterschiedlichen Problemstellungen. In seinem persönlichen Umfeld, zusammenlebend mit Türkischen Freunden und mit adoptierten Kindern aus Haiti, "weiß ich durchaus, wie es ist, komisch angeschaut zu werden. Und ich kenne auch Bäuerle, die sich die dunklen Kinder anschauen, in die Backe zwicken und fragen, 'kann ich da Mal reinlangen?'" Die Gretchenfrage für alle hier lebenden Geflüchteten stellte schließlich Hassan Awel aus der Uma-WG: "Was erwarten Sie von uns Asylbewerbern?"
Die Positionen des Ministers
- Erwartungen an Flüchtlinge: Die Frage von Hassan Awel beantwortet Manne Lucha gerne: "Ich erwarte von Ihnen, was ich von jedem und auch von mir selbst erwarte. Wir leben im Vergleich zur gesamten Welt in einem der stabilsten Länder, mit allem, was man von einem Gesellschaftssystem erwarten kann. Wir haben die Bürgergesellschaft, einen funktionierenden Staat ohne Korruption, eine tolle Verfassung, mit Grundrechten für alle, Männer und Frauen, Schwule und Lesben. Und wir haben Religionsfreiheit. So etwas fällt nicht vom Himmel, nehmen Sie das als Chance. Bringen Sie sich mit Ihren Fähigkeiten auch ein, lernen Sie einen Beruf. Jemand, der für sich sorgt, bringt auch eine Leistung für die Gesellschaft."
- Entwicklungshilfe: Auch die zweite grundlegende Frage kaum von Hassan Awel: "Wie kann man den Ländern helfen, aus denen die Geflüchteten kommen?" Den Themenkomplex sah Lucha als einen, der nicht nur Deutschland, sondern die ganze Welt beschäftigen werde. "Wir müssen diese Länder befähigen, ihre eigene Bevölkerung zu versorgen." Als Beispiel nannte er Fangflotten aus der Europäischen Union, die vor Westafrika fischen. Das könne und solle man der dortigen Bevölkerung überlassen. Auch Waffenexporte brachte er zur Sprache und lenkte den Blick auf die humanitäre Katastrophe, die derzeit dem Jemen zugefügt werde.
- Arbeitsmarkt und Immigration: Lucha erwähnte die "3-Plus-2-Regel", bei der geduldete Flüchtlinge eine dreijährige Ausbildung zwei Jahre Anschlussbeschäftigung ausüben dürfen. Die Möglichkeit, zu Arbeiten sah er als einen zentralen Punkt für Integration und Zufriedenheit, auch für Frieden in den Einrichtungen. "Wir dürfen nicht die Falschen abschieben." Alleine in Baden-Württemberg gäbe es 109 000 offene Stellen. "Wir müssen denjenigen eine Perspektive geben, die arbeiten wollen und können, die brauchen wir nämlich." Dafür müssten Asylbewerber Rechtssicherheit haben, eine Einwanderung gesetzlich geregelt werden, eine arbeitsbezogene Migration auch für Übergangsfristen von vielen Jahren gesetzlich möglich sein. Bei vielen Geflüchteten, ließe sich die Identität oft nicht eindeutig feststellen, die lägen dann auch für Ausbildungen auf Eis, monierten Integrationsbeauftragte Silvia Maier und Uma-WG-Chefin Verena Johner. "Das ist ein schmaler Grat zwischen dem Sicherheitsbedürfnis der Bevölkerung und der praktischen Handhabung für Flüchtlinge", so der Minister
- Bundesteilhabegesetz: Dafür geschaffen, Menschen mit Behinderung ein Leben in der Mitte unserer Gesellschaft zu ermöglichen, hält Lucha den Themenkomplex für "eine der ganz großen Aufgaben der Gesellschft." Wichtige Punkte, seien die Trennung von Fachleistungen und Unterkunft. Unabhängige Beratung sei unabdingbar. "Jeder Mensch muss die Hilfe bekommen, die er braucht. Viel hilft manchmal nicht viel. Aber es kann auch einmal sein, dass man für die richtige Hilfe viel braucht."