Herr Guhl, das Jahr werden sie wahrscheinlich nicht so schnell vergessen?

Ganz bestimmt nicht. Wobei wir im Januar, als es begann, noch nicht im Entferntesten ahnten, wie es enden würde. Erst als die Pandemie in Italien ankam, wurde es auch in der Bundesrepublik ernst. Bei uns gab es die ersten Beschränkungen beim Fridolinsfest. Für den Empfang im Kursaal haben wir das erste Hygienekonzept erstellt. Das war auch die letzte öffentliche Veranstaltung für lange Zeit. Als dann im Frühjahr der Lock-Down kam, empfand ich die Atmosphäre in der menschenleeren Stadt schon beängstigend.

Infektionsschutz im Rathaus: Bürgermeister Alexander Guhl mit Mundschutz.
Infektionsschutz im Rathaus: Bürgermeister Alexander Guhl mit Mundschutz. | Bild: Gerber, Andreas

Wie sind Sie persönlich bisher durch die Pandemie gekommen?

Privat hat die Pandemie leider auch vor meinem Bekannten- und Freundeskreis nicht halt gemacht. Glücklicherweise ist aber hier niemand schwer von der Pandemie betroffen. Als Bürgermeister muss ich sagen, war meine Verwaltung als Ortspolizeibehörde massiv gefordert; es galt immer abzuwägen zwischen den Freiheitsrechten und den nötigen Einschränkungen. Das Wichtigste war für alle Beteiligten immer, dass das Gesundheitswesen nicht zusammenbricht. Dies ist uns bisher gelungen. Daneben musste aber auch die ganz „normale Verwaltungsarbeit“ weitergehen. Auch die Stadt leidet finanziell unter den Corona-Folgen. Letztlich ist es uns aber gelungen, dass wir Stand heute für 2021 keine neue Schulden aufnehmen müssen.

Welche gesellschaftlichen Veränderungen haben Sie wahrgenommen?

Die vielzitierte Spaltung der Gesellschaft, die von den so genannten Querdenkern und Corona-Leugnern behauptet wird, sehe ich nicht. Das ist eine Minderheit, die sich lautstark hervor tut. Im Gegenteil zeigen die Menschen im alltäglichen Umgang viel gegenseitiges Verständnis und Umsicht miteinander. Und die ganz große Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger tragen die Einschränkungen mit und befolgen sie. Das ist meine Erfahrung als Bürgermeister und damit als Ortspolizeibehörde.

Maskenpflicht und leergefegte Straßen – auch das sind Bilder aus dem Jahr 2020.
Maskenpflicht und leergefegte Straßen – auch das sind Bilder aus dem Jahr 2020. | Bild: Peter Koch

Was wird sich ändern durch Corona?

Ganz sicher wird sich die Arbeitswelt ändern. Der Großteil der Geschäftsreisen wird erst einmal gestrichen bleiben, weil wir in der Krise gelernt haben, dass vieles aus über Video-Konferenzen geht. Ich war bei diesen technischen Errungenschaften und – zugegebenermaßen – in diesem Zusammenhang auch beim Thema Homeoffice bislang eher skeptisch. Aber Corona hat uns alle beschleunigt und vieles erleichtert. Ganz ehrlich, ich bin froh, wenn ich für eine Sitzung in Stuttgart künftig nicht mehr stundenlang auf der Autobahn unterwegs bin. Und ebenso wird sich die Praxis in der Bildung durch die Digitalisierung ändern – an den Schulen vielleicht nicht so stark wie an den Universitäten. Allerdings hoffe ich, dass das Virus das soziale Leben nicht zu sehr beschädigt hat und es im Verlauf des Jahres in seiner bisherigen Blüte wieder zum Leben erwacht – damit meine ich ganz bewusst auch das Vereinsleben.

Hat diese heftige Pandemie denn überhaupt noch Platz gelassen für andere Themen?

Gut, Corona war für meine Stadtverwaltung schon eine Herausforderung, gerade bei der Umsetzung der Landesverordnungen und der eigenen Umorganisation im Rathaus. Aber doch, natürlich haben wir auch anderes gestemmt. Ich will zuvorderst die Fortschritte im Campus nennen. Es war auch hier ein schweres Jahr. Ich war manchmal kurz davor, den Bettel hinzuschmeißen. Aber wir haben es 2020 geschafft, die Finanzierung auf die Beine zu stellen. Sie steht jetzt. Zwischenzeitlich ging es da auch mal um sein oder nicht sein, weil die Zwischenfinanzierung auf der Kippe stand. Aber jetzt zum Jahresabschluss ist es in trockenen Tüchern.

Wie sieht das konkret aus?

Wir haben für die kleine Campus-Lösung – also Ärztehaus und Marienhaus – einen Mittelbedarf von 26 Millionen Euro. Für diese beiden Einrichtungen haben wir vom Landkreis eine Zusage für elf Millionen. Die gibt es aber erst bei Fertigstellung. Also mussten wir nicht die Differenz, sondern die gesamte Summe über Kredit vorfinanzieren. Das war nicht einfach. Es gab ein längeres Hin und Her mit der Grundschuld. Aber wir haben es gelöst. Unterm Strich heißt das, dass unser Kreditbedarf für Ärztehaus und Marienhaus bei 15 Millionen liegt. Und Partner ist die Volksbank Rhein-Wehra.

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Waren Sie wirklich manchmal kurz davor, den Bettel hinzuschmeißen, wie Sie sagen?

Also, ich war zeitweise schon mal frustriert. Aber ich will den Campus um jeden Preis, das hält mich bei der Stange. Denn er ist eine Investition in die Zukunft des Gesundheitswesens der Region. Für Bad Säckingen und die umliegenden Gemeinden wird das ein Mehrwert sein, denn Gesundheit und Ärzteversorgung werden für die Bedeutung und Attraktivität eines Wohnortes immer entscheidender werden.

Das Ärztezentrum im Campus wird ja im Erdgeschoss des ehemaligen Spitals untergebracht. Wie geht es weiter und wie sieht denn jetzt die Belegung aus?

Wir schreiben jetzt aus, bauen das Ergeschoss im ehemaligen Krankenhaus aus und wollen am 1. April 2022 eröffnen. Die Belegung steht, die Mietverträge kommen derzeit sukzessive unterschrieben wieder zurück. Wenn der Umbau des Erdgeschosses abgeschlossen ist, ziehen dort wieder die Kardiologen Sinn und Layher ein, ebenso das Orthopädische Zentrum, eine Frauenärztin, die Dermatologen Renkl und Schulz, die Park-Apotheke, das Sanitätshaus Sittler und eine Beratungsstelle des Landratsamtes. Ebenso wird das Medizinische Versorgungszentrum der Stadt (MVZ) dort einziehen. Mit dem MVZ kommen weitere Ärzte hinzu. Das sind die Doktores Annette Fenske, Daniel Schlittenhardt Ryszard Fazan. Hinzukommen werden auch die Gynäkologen Hummel und Neuhauser sowie die Praxis Wagner.

Es ist ja weitgehend eine Konzentration von bereits bestehenden Praxen und Arztsitzen in der Stadt. Was ist hier der Vorteil?

Ich bin überzeugt, dass größere Praxisgemeinschaften an Bedeutung gewinnen werden. Denn Einzelpraxen verlieren an Attraktivität, weshalb sich Nachfolger oft schwerer finden lassen. Größere medizinischen Versorgungsgemeinschaften bieten mehr Synergien und bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie.

Ich glaube ein Mieter auf dem Campus fehlt noch: das Marienhaus?

Natürlich, das Marienhaus wird der größte Mieter im neuen Campus werden. Das Altenpflegeheim des St. Vincentiusvereins betreibt heute am angestammten Standort in der Innenstadt 80 Pflegebetten und wird im neuen Domizil im ehemaligen Spital mindestens ebenso viele Senioren und Pflegebedürftige betreuen können.

Einen Neubau des Rehaklinikums auf dem Campus – wie ursprünglich angedacht – wird es nicht geben?

Nein, das ist derzeit finanziell nicht darstellbar. Das Rehaklinikum – mehrere Jahr in der Krise – nähert sich mit Geschäftsführer Peter Mast jetzt wieder der Gewinnzone, wir schreiben 2020 trotz Corona eine schwarze Null. Aber ein Neubau ist damit im Moment nicht drin. Mittel- und langfristig werden wir aber eine Lösung finden müssen.

Das Fridolinsfest 2020 – die letzte große öffentliche Veranstaltung, bevor das Corona-Virus das öffentlichen Leben lahm legte.
Das Fridolinsfest 2020 – die letzte große öffentliche Veranstaltung, bevor das Corona-Virus das öffentlichen Leben lahm legte. | Bild: Irmgard Kaiser

Was wird dann aus der geriatrischen Reha, die eigentlich Bestandteil des Campuskonzeptes ist?

Nachdem ein kompletter Neubau derzeit nicht in Frage kommt, plant Peter Mast eine Erweiterung der Klinik in Form eines Anbaues mit Modulen. Es geht dabei um 40 Plätze für Rehabilitation von alten Menschen, damit diese wieder zurück ins Leben können und das Pflegeheim nicht die einzige Alternative ist. Die Belegung wäre gesichert, das haben die Kassen signalisiert. Denn es gibt am gesamten Hochrhein keine Einrichtung für Alters-Reha. Die Finanzierung hat Peter Mast ebenfalls durchgerechnet. Nur beim Personal sehe ich Probleme. Ein Facharzt für Geriatrie ist schwer zu kriegen. Aber wir sind dran.

Corona, Campus, Klinik – was treibt Sie sonst noch um?

Natürlich ist die Stadtentwicklung ein Riesenthema. Gerade mit dem Wegzug des Marienhauses wird in der Innenstadt eine große bauliche Lücke entstehen. Das ist eine Aufgabe für dieses Jahr. Bis spätestens Oktober müssen wir das so genannte „integrierte Stadtentwicklungskonzept“ fertig haben, um uns für die Aufnahme ins Förderprogramm bewerben zu können.

Wie konkret muss das Sanierungskonzept dann schon sein?

Es muss die Entwicklungsgebiete definieren. Aber was dort im Einzelnen genau umgesetzt werden soll, wird natürlich noch nicht feststehen. Aber grob haben wir die möglichen Themen rund um den Bahnhof ja schon auf dem Tisch: Verlegung Busbahnhof, Parkplätze, Bahnhofsvorplatz, NKD und künftige Nutzung des Marienhaus-Areals – das sind Eckpfeiler, um dies es in diesem Bereich wohl gehen wird.

Wohnen ist in Bad Säckingen immer ein heißes Thema. Zu wenig und zu teuer, heißt es da oft. Geschieht hier etwas?

Beim Thema Wohnen muss sich etwas tun. Wir brauchen mehr geförderten Wohnungsbau. Es gibt in Deutschland und auch hier bei uns ein Mietniveau, das sich mittlerweile auch Teile der Mittelschicht nicht mehr leisten können. Ein Bürgermeisterkollege hat mir berichtet, in seiner Stadt sind 50 Prozent der Bürger wohngeldberechtigt. Ich schätze dies in Bad Säckingen auf 30 Prozent. Bei solchen Zahlen müssen wir dringend über geförderten und damit günstigeren Wohnbau nachdenken. Das will ich in diesem Jahr auf die kommunalpolitische Agenda heben.

Gehen wir noch einmal zurück ins Jahr 2020. Wir haben viel von den schwierigen Herausforderungen in dem Jahr gesprochen? Gab es auch was, das Sie froh gemacht hat?

Ganz spontan fällt mir da eines ein: Dass der Kreistag der Wiedereinführung des SÄK-Kennzeichens zugestimmt hat – und das mit großer Mehrheit.

Fragen: Andreas Gerber