Es war ein sinn- und sinnenreicher Abend, den die Kunstmalerin Nurhan Sidal im Schloss Schönau organisiert hatte. Im Rahmen der Interkulturellen Woche traten Menschen aus neun verschiedenen Ländern auf, um Gedichte, Geschichten und Lieder vorzutragen. Am Ende gab es eine Protestaktion zum Andenken an Mahsa Amini.

Weil sie ihr Kopftuch nicht hundertprozentig korrekt getragen hatte, so dass eine Haarsträhne zu sehen war, wurde die junge Iranerin Mitte September von der Sittenpolizei festgenommen. Wenig später wurde sie in ein Krankenhaus gebracht, in dem sie ein paar Tage darauf starb. Ihr Tod löste im Iran und weltweit Proteste aus. Um ein Zeichen der Solidarität zu setzen, schnitt sich Organisatorin Nurhan Sidal eine Haarsträhne ab, und vier Frauen folgten ihrem Beispiel.

Bürgermeister Alexander Guhl sprach Grußworte. Anneli Ahnert vom Caritasverband hielt einen Rückblick auf die Veranstaltungen, und Hans-Peter Karrer erklärte, es gehe um ein Plädoyer für eine offene Gesellschaft und für die universellen Menschenrechte. Damit zwischen den Kulturen Vertrauen wachse, müssten vor Ort Begegnungen stattfinden.

Literatur und Musik aus neun Ländern gab es am Freitagabend im Schloss Schönau.
Literatur und Musik aus neun Ländern gab es am Freitagabend im Schloss Schönau. | Bild: Michael Gottstein

Diversität braucht aber ein Bindeglied, „sonst endet die Sprachenvielfalt, wie beim Turmbau zu Babel, in Sprachverwirrung und Sprachlosigkeit“, so Nurhan Sidal. Die Verbindung stiftete die deutsche Sprache: Tonio Passlick las die Übersetzungen der Mythen, Märchen, Gedichte und Liedtexte vor. Zusätzlich wurden Bilder auf die Wand projiziert, und den Hörsinn sprach Tilo Wachter an, der sich auf das so genannte Hang spezialisiert hatte. Das ist ein vor gut 20 Jahren in Bern erfundenes Instrument, das aus zwei Klangschalen besteht.

Der erste Referent war Arun Veer aus Indien, der in „Gayatri Mantra“ eine Beschwörung der Sonne verlas. In die Welt der Mythen entführte die Lesung des Eritreers Tesfaldet Hagos „Wie der Regenbogen entstand“. Sie berichtete, wie aus dem Streit der Regenbogenfarben eine himmlische Harmonie entstand, nachdem sich die Farben zum Bogen zusammengeschlossen hatten. Begleitet am Klavier, trug Svetlana Flato mit geschulter Sopranstimme Kunstlieder zu den Gedichten „Zwei Raben“ und „Winterabend“ von Puschkin vor, deren Stimmung zwischen Melancholie und Fröhlichkeit schwankte. Anna Karamanlidou aus Griechenland hatte aus aktuellem Anlasse das Gedicht „Der Frieden“ von Jiannis Ritsos ausgewählt. Die von Subhan Hadjey Lehmann vorgetragenen Sprichwörter aus Indonesien nutzen zwar andere Metaphern, ihr Sinn ist aber dem hiesigen Publikum vertraut.

Kaum einer Übersetzung bedurfte das von Mario Stracuzzi vorgetragene Partisanenlied „Bella Ciao“, dessen zündende Melodie und Rhythmik zum Mitklatschen animierten. „Der Mond von Kiew“ von Gianni Rodari besagt, dass der Mond allen Menschen gehört. Mit einem Nelson-Mandela-Zitat erinnerte Coleen Kressin aus Südafrika daran, dass es neben der äußeren noch eine innere Freiheit gibt: „Als ich vom Gefängnistor in die Freiheit ging, wusste ich, dass ich gefangen sein würde, so lange ich Bitterkeit und Hass in mir trage.“

Um Freiheitskampf ging es auch beim Schweizer Nationalhelden Wilhelm Tell. Sonja Mayr las die Geschichte des legendären Apfelschusses auf Schweizerdeutsch vor, und mit Blick auf nicht-alemannische Gäste folgte noch die Übersetzung. Nurhan Sidal rezitierte „Das seltsamste Geschöpf der Welt“ des türkischen Dichters Nazim Hikmet: Es ist eine Ansprache an einen imaginären Bruder, kombiniert mit einer Anklage, die zur Reflexion einlädt.