Ziemlich beste Freunde, das waren Marc (Luftfahrtingenieur), Serge (Dermatologe) und Yvan (Papierhändler), bevor der gut verdienende Serge die Dummheit beging und ein Ölgemälde kaufte. Freund Marc ist entsetzt: Es ist nämlich ein rein weißes Bild, und das für sündhaft teure 200.000 Francs! Und das soll Kunst sein?

Eine tolle Frage in einer laufenden Kunstausstellung wie der neuen „Biennal 23“ in der Villa Berberich, wo Charles Brauer vor vollbesetzten Reihen diesem Disput nachging. Das Stück heißt „Kunst“. Und es ist eine, die drei Rollen alleine zu lesen. Der erfahrene Schauspieler, Ehemann von Lilot Hegi, der Mitausstellerin der Werkschau „Theater! Theater“, beherrscht sie aus dem Effeff. Er dreht sich mal nach links, mal nach rechts, spricht als Marc, Serge oder Yvan, und macht bei seiner szenischen Lesung deutlich, dass in diesem Stück von Yasmina Reza, die so leichte und gleichzeitig so schwere Komödien schreibt, es gar nicht vordergründig um Kunst geht, sondern um eine Beziehungsgeschichte: nämlich um das labile Gleichgewicht einer Männerfreundschaft.

Wutausbrüche, Weinkrämpfe, Schlägerei und Ehefrauen-Bashing

Diese gerät gewaltig ins Wanken wegen dieses Bildes mit einer weißen Fläche, auf der man mit einiger Einbildungskraft weiße Querstreifen erkennen kann. Ja, es stürzt die drei Freunde geradezu ins Chaos, inklusive Wutausbrüche, Weinkrämpfe, Schlägerei und gegenseitiges Ehefrauen-Schlechtmachen. Sie verkrachen sich so sehr, dass sie auch die Heirat von Yvan vermiesen und alle bald reif fürs Irrenhaus sind. Bescheuert, und alles wegen eines Kunstwerks.

Was ist bloß vorgefallen, dass sie so irre geworden sind und dass einer sogar über die Freunde mit seinem Psychiater redet? Marc ist es gar nicht „wurscht“, dass Serge das Bild gekauft hat, aber er konnte auch nicht ahnen, dass dieses Gemälde – ein echter Antrios – einmal das berühmteste, monochrome Malmachwerk der Theatergeschichte werden würde!

Dieser Schauspieler hat kein Bühnenbild nötig

Bei seiner sehr lebendig gehaltenen Lesung, mit der Lesebrille auf der Nasenspitze, meist sogar stehend, also Theater spielend, macht Charles Brauer bald deutlich, dass es hier nicht um die Frage geht, was Kunst ist, sondern darum, was jeder der drei Freunde vom anderen so denkt und hält. Brauer hat kein Bühnenbild dafür, steht in dem schlichten und neutralen abgedunkelten Raum der Villa auf einem Podest, das eine Bühne suggerieren soll. Das Dekor mit einem Holzstuhl bleibt unverändert. Das Publikum durfte sich über die einzelnen Szenen amüsieren, die nacheinander bei Serge, Yvan und Marc spielen, und über die von Brauer mit warmer, sonorer Stimme so pointiert gesprochenen Dialoge.

Charles Brauer gestand ehrlicherweise, dass er die Komödie gern einmal gespielt hätte. Überraschenderweise fehlte als Requisit, aus welchem Grund auch immer in einer Kunstausstellung, das 1,60 mal 1,20 Meter große weiße Avantgardegemälde.

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