Michael Gottstein

Zeichnungen sind heute nicht mehr an klassische Medien wie Papier, Bleistift oder Kreide gebunden, aber noch immer werden sie mit Eigenschaften wie Spontaneität, Intimität und Originalität assoziiert – dass Zeichnungen nach Ideen des Meisters von Gehilfen in Werkstätten ausgeführt würden wie einst zahlreiche Ölgemälde eines Rubens, ist kaum vorstellbar. Wie man mit einer Nähmaschine zeichnen kann, zeigte die Londoner Künstlerin Harriet Riddell am Wochenende in der Villa Berberich im Rahmen der Ausstellung „Zeichnung: Heute“.

Die Künstlerin lernte den Umgang mit der Nähmaschine von ihrer Großmutter. Bei ihrem Studium der zeitgenössischen angewandten Kunst an der Universität von Hertfordshire schlug einer ihrer Dozenten vor, ihre Fähigkeiten im Umgang mit Nähmaschinen weiterzuentwickeln. Vor fast fünf Jahren machte sie das „Stitching“ zu ihrem Beruf. Als sie im vergangenen Jahr im Weiler Textilmuseum zu Gast war, knüpfte sie Kontakte zu hiesigen Künstlern und Frank van Veen, dem Vorsitzenden des Kunstvereins Hochrhein. So kam es, dass sie für die Ausstellung in der Villa Berberich eingeladen wurde.

Sie brachte am Wochenende einige ihrer gestickten, beziehungsweise genähten Bildergeschichten mit und fertigte Porträts der Besucher an. Einer dieser Besucher war Renate Griesser, die auch ihren Zwergschnauzer porträtieren ließ, denn strenges Stillsitzen oder gar ehrfurchtsvolles Erstarren war bei Harriet Riddell nicht erforderlich. „Die Nähmaschine ist ein anderes Medium als der Zeichenstift, ich fühle mich daher gar nicht beobachtet“, sagte Renate Griesser.

Die Künstlerin verzichtet auf Vorzeichnungen und näht die Umrisslinien mit ihrer Husqvarna Viking direkt auf den Stoff. „Sie können Fehler ja gar nicht mehr entfernen, it’s forever“, staunte Renate Griesser. Nach kurzen, konzentrierten Blicken auf ihr Gegenüber bewegte Harriet Riddell den Stoff sicher hin und her. Trotz der zügigen Arbeitsweise, wirkte sie entspannt und plauderte über die Vorlieben ihrer Kunden. Kleidung und Schmuck gab sie durch applizierte Stoffstücke oder Stickereien mit Goldfaden wieder, und die Umrisse des Pullovers wurden mit Nähten in beigem Garn ausgemalt. Staunend sah rund ein Dutzend Besucher zu, wie in etwa einer Stunde ein lebensnahes Porträt entstand, in dem sich Renate Griesser gut wiedererkannte.