Jürgen Scharf

Bad Säckingen – Zusammengepferchte Leiber, die sich berühren. Dieses Foto von einem überladenen Flüchtlingsboot auf der Einladungskarte der neuen Ausstellung über Flucht und Flüchtlinge ist seit Sonntag in der Villa Berberich zu sehen. Die Schau könnte nicht aktueller sein. Nach jüngsten Medienberichten hat die Flüchtlingswelle einen neuen Höchststand erreicht.

Noch nie waren so viele Menschen auf der Flucht: Laut dem Jahresbericht des Flüchtlingshilfswerks UNHCR haben über 65 Millionen Menschen ihre Heimat verloren – und jeden Tag kommen weitere hinzu. Mehr als die Hälfte kommen aus Syrien, Afghanistan und dem Südsudan. Flucht und Vertreibung ist auch das Thema der Fotoausstellung im Kunstverein Hochrhein, die wieder von dem Sammler und Kurator Reinhard Schultz ausgerichtet wird.

In seiner Fotodokumentation sind nicht nur aktuelle Aufnahmen, sondern Fotografien von Fluchtereignissen beginnend am Ende des Zweiten Weltkriegs. Damit will Schultz sagen, dass die sogenannte Flüchtlingskrise nicht nur ein Problem der Gegenwart ist, sondern es zu allen Zeiten Flüchtlinge gab. Im Zweiten Weltkrieg waren sechs Millionen Menschen in Europa unterwegs. Man sieht eindrückliche Schwarzweiß-Fotos aus Breslau, von der ersten Vertreibung aus dem Osten, wo die Menschen vor der Roten Armee flohen und sich übers Haff durchschlagen mussten. Schon damals gab es große Flüchtlingstrecks.

Das Bad Säckinger Kunsthaus ist voll von solchen Beispielbildern, wie Menschen unterwegs sind. Was davor alles passiert ist, Krieg, Terror, Folter, Mord, Vergewaltigung, bleibt außen vor. Die Fotos erzählen menschliche Fluchtgeschichten. Die Räume sind thematisch und chronologisch geordnet.

Fotografisch dokumentiert ist auch die Fluchtbewegung nach dem palästinensisch-israelischen Krieg 1948, ein "trauriger Rekordhalterkrieg", so Schultz. Als zweites wird der Balkanroute bis zu ganz aktuellen Fotos von der Flucht aus Mossul und Aufnahmen von IS-Kämpfern Platz eingeräumt. Man sieht viele Zäune, es ist eines der symbolischen Hauptthemen. Vor allem, was die Ungarn an Zäunen gebaut haben, nach dem Vorbild von Walter Ulbricht, nur effektiver.

Die dritte Fotostation zeigt den Fluchtweg übers Mittelmeer, eindrückliche Szenen, wie Flüchtlingsboote umkippen, oder die Belegungsrate auf den Schiffen anhand einer Luftaufnahme bei einer Rettungsaktion der italienischen Marine vor der afrikanischen Küste. Porträts und Nahaufnahmen von Menschen gehen unter die Haut. Ein Junge sitzt im Hafen und wartet auf eine Fähre.

Auch der Kosovo-Krieg, die erste Fluchtwelle, ist in Bildern festgehalten. Davon redet heute keiner mehr, denn die meisten Kosovo-Flüchtlinge aus Jugoslawien haben sich hier gut integriert. Das letzte Kapitel schlägt Afrika auf, und hier zeigt sich auf dem Schwarzen Kontinent eine schwierige Flüchtlingssituation. Es gibt viele kriegerische Konflikte, nicht nur einen Krieg. Nach Worten von Schultz existiert von Kapstadt bis zur libyschen Küste ein "Flüchtlings-Highway", der massive Probleme und eine große Menschenmenge bringt.

400 Millionen wollen nach Europa. Eindrückliches Beispiel ist der Zaun von Ceuta, der Enklave Spanien-Marokkos: "Es gibt kein Halten mehr, die Leute campieren dort", weist Reinhard Schultz auf das Foto in dem Afrika-Lager hin.

In einem ausführlichen Eröffnungsvortrag sprach Kunstvereins-Vorsitzender Frank van Veen über "vergessene Konflikte" in Afrika (Südsudan, Kongo, Zentralafrikanische Republik), die nicht mehr so im Fokus der Öffentlichkeit stehen. Flüchtlinge seien ein zentrales Thema, dem wir uns in Deutschland stellen müssten.

Fotoausstellung

Die Ausstellung im Kunstverein Hochrhein mit Fotografien von Fluchtereignissen seit dem Zweiten Weltkrieg bis zu den heutigen Flüchtlingsströmen läuft bis 16. Juli. Geöffnet hat das Kunsthaus Villa Berberich, Bad Säckingen, Mittwoch 17 bis 18 Uhr, Samstag 14 bis 17 Uhr, Sonntag 10 bis 12 und 14 bis 17 Uhr.