Es ist ein sonniger Sonntagvormittag und durch den Seegarten in Allensbach schallt lautes Tröten und Trommeln. Auf der Bühne präsentieren die Absolventen der Tamala Clown-Akademie ihr großes Straßentheater. Die Männer und Frauen mit den roten Gummi-Nasen veranstalten ein riesiges Spektakel. Sie veralbern sich gegenseitig, ziehen skurrile Grimassen und erfreuen sich an den Missgeschicken ihrer Kollegen.
Die vielen Kinder, die die Vorstellung gebannt beobachten, brechen alle paar Sekunden in schallendes Gelächter aus. Alle – bis auf eines. Ein Mädchen neben mir fängt plötzlich an zu weinen. Der Kleinen ist das alles zu viel. Sie habe Angst vor den Clowns und wolle gehen, flüstert sie und versteckt sich schluchzend in den Armen ihrer Mutter.

Mein erster und letzter Zirkusbesuch
Ich verstehe sie und kann mir gut vorstellen, wie sie sich gerade fühlt. Denn früher war ich selbst dieses kleine Mädchen. Ich war vier oder fünf Jahre alt, als ich zum ersten Mal eine Zirkusvorstellung besucht habe – meine erste und gleichzeitig letzte. Ich erinnere mich daran, wie ich die Seiltänzer bewunderte und mich die Jongleure faszinierten. Die glitzernden Kostüme, die gespannte Atmosphäre – all das fand ich toll.
Bis ein Clown, der es mit seinen jungen Zuschauern offenbar besonders gut meinte, in den Publikumsreihen verschwand und plötzlich wie aus dem Nichts direkt vor mir auftauchte. Wenn ich daran zurückdenke, sehe ich noch heute diese weit aufgerissenen Augen, das weiß geschminkte Gesicht und das breite, aufgemalte Grinsen vor mir. Ich bekam schlagartig Panik und wollte nur noch weg. Damit hatte sich das Thema Zirkus für mich erledigt.
Clowns aus dem Weg zu gehen klappt nicht immer
Diese Begegnung ist jetzt schon fast 25 Jahre her. Während dieser Zeit bin ich Clowns aus dem Weg gegangen, so gut es ging. Und solange ich keinen sehe, bin ich mir sicher, dass ich mittlerweile ganz entspannt mit dem Thema umgehen kann. Schließlich ist die Angst vor Clowns in diesem Moment nicht mehr als eine unschöne Kindheitserinnerung. Als erwachsener Mensch fürchtet man sich doch nicht vor so etwas Harmlosem, rede ich mir ein – das wäre ja peinlich.

Wenn ich dann aber doch mal einem Clown begegne, der zum Beispiel in der Fußgängerzone Luftballons an Kinder verteilt, ertappe ich mich dabei, wie ich automatisch einen großen Bogen um ihn mache. Ich mag Clowns einfach nicht, so viel steht fest. Aber kann man in meinem Fall wirklich von einer ausgewachsenen Phobie sprechen?
Wie eine Clown-Phobie entsteht
Ich hoffe, dass mir ein Experte diese Frage beantworten kann. Oliver Müller ist Facharzt für psychosomatische Medizin und Psychotherapie mit Chefarztposten in Konstanz, Singen und Reichenau und behandelt unter anderem Patienten, die unter Angststörungen leiden. Er erklärt mir, dass die Coulrophobie – so der Fachausdruck für die krankhafte Angst vor Clowns – bei den meisten Betroffenen ihren Ursprung in der Kindheit hat.

„Jeder Mensch hat, insbesondere in jungen Jahren, ein Grundbedürfnis nach Sicherheit“, sagt Müller. Kinder seien stark auf optische Reize angewiesen, weil ihr Verständnis auf sprachlicher Ebene noch sehr eingeschränkt sei, beschreibt er. „Bei einem Clown wirkt das extrem geschminkte Gesicht wie eine Maske, die es unmöglich macht, seine tatsächliche Mimik zu erkennen und zu deuten“, schildert der Experte und ergänzt: „Und wenn der Gesichtsausdruck dann noch nicht einmal zu dem passt, was der Clown tut, erzeugt das ein Gefühl der Unsicherheit.“
Vermeidung ist die Aufrechterhaltung der Angst
Dank Oliver Müllers Erklärungen verstehe ich jetzt, wie mir ein eigentlich harmloser Zirkusclown als Kind so eine Angst einjagen konnte. Aber warum fühle ich mich beim Anblick der roten Gummi-Nasen auch heute noch so unwohl?
Auch darauf hat der Fachmann eine Antwort: „Vermeidung ist nichts anderes als die Aufrechterhaltung der Angst.“ Das Gefühl, das die Begegnung mit dem Clown damals bei mir ausgelöst hat, habe sich mit der Zeit dadurch verfestigt, dass ich dem Auslöser aus dem Weg gegangen bin, erklärt Müller. Außerdem können auch äußere Einflüsse Ängste schüren.
Von Pennywise bis zum Joker – das Phänomen Horrorclown
Die Angst vor Clowns ist schließlich weiter verbreitet, als man denkt und daran sind wohl auch Romanautoren und Filmregisseure nicht ganz unschuldig. Wer erinnert sich nicht an den gruseligen Pennywise aus Stephen Kings "Es", der regelmäßig die Kleinstadt Derry heimsucht und unschuldige Kinder bestialisch ermordet? Oder an den Joker, Batmans wahnsinnigen Gegenspieler, der Gotham City und dessen Einwohner terrorisiert? Die Beiden sind nur zwei von vielen fiesen Clowns, die in der Literatur- und Filmgeschichte Angst und Schrecken verbreiteten.

Noch beunruhigender sind die so genannten Horrorclowns, die in der realen Welt ihr Unwesen treiben. Schon in den 1980er-Jahren gab es in den USA immer wieder Menschen, die sich in gruseligen Clownskostümen einen Spaß daraus machten, nichts ahnende Menschen auf der Straße oder in dunklen Parkhäusern zu erschrecken und im schlimmsten Fall sogar körperlich zu attackieren.
Als das Phänomen im Jahr 2016 nach Deutschland herüberschwappte, war das für alle Coulrophobiker – und auch mich – ein absoluter Albtraum. „Kein Wunder“, meint Oliver Müller, „denn solche Dinge können eine bedrohliche Grundstimmung auslösen und Menschen, die sowieso schon ein Problem mit Clowns haben, noch mehr verunsichern.“
Abneigung oder Phobie?
Während ich in dem kleinen Büro in der Konstanzer Tagesklinik sitze und Oliver Müller zuhöre, denke ich über meine eigenen Erfahrungen nach und vergleiche sie mit der Beschreibung des Mediziners. Eine traumatische Begegnung im Kindesalter, danach jahrelanges Vermeidungsverhalten – bis hierher scheint es, als sei ich ein Coulrophobiker wie aus dem Bilderbuch. Plötzlich steht Müller auf, zieht zwei Zettel aus einer Mappe und gibt sie mir mit den Worten: „Damit finde ich in der Regel heraus, ob ein Patient wirklich unter einer Phobie leidet oder nicht.“
Ich nehme die Zettel und beginne zu lesen. „Praxisscreening Angststörungen“ steht ganz oben. Darauf folgen mehrere Tabellen, in denen verschiedenste Symptome beschrieben werden. Neben körperlichen Erscheinungen wie Herzrasen, Schweißausbrüchen oder Übelkeit werden auch Fragen gestellt wie „Treten diese Symptome auch auf, wenn Sie nur an die Situationen oder Objekte denken?“
Die meisten der aufgelisteten Fragen kann ich mit „Nein“ beantworten, stelle ich fest – ein gutes Zeichen? „Ja“, beruhigt mich Oliver Müller und sagt lächelnd: „Das, was sie für Clowns empfinden, würde ich als Abneigung – na gut, starke Abneigung – bezeichnen, aber eine krankhafte Angststörung haben Sie nicht.“
Konfrontation soll der Schlüssel sein – das probiere ich aus
Das klingt gut. Aber auch diese „starke Abneigung“ ist nicht gerade ein angenehmes Gefühl. Ich frage Oliver Müller, was man dagegen tun kann und höre genau die Antwort, die ich befürchtet hatte: „Der Schlüssel heißt Konfrontation.“ Mit diesem Tipp im Gepäck wage ich mich in die sprichwörtliche Höhle des Löwen, die in meinem Fall eher das Zentrum des Klamauks ist: Ich besuche die Tamala Clown-Akademie in Konstanz.
Udo Berenbrinker, pädagogischer Leiter der Akademie, nimmt sich Zeit für mich. Ein Mann, der seit Jahrzehnten als Clown auftritt und mir in seiner Rolle wahrscheinlich alles andere als sympathisch wäre, sitzt mir gegenüber – ganz ohne Schminke und rote Nase – und spricht mit mir über das Clown-Sein, seine Erfahrungen und über Coulrophobie. Und er ist nett. Sogar sehr.

Nach jahrelanger Vermeidung wird mir plötzlich klar, dass in jedem Clownskostüm ein ganz normaler Mensch steckt, der eigentlich nur eines will: Freude schenken. Oliver Müller hatte also Recht – Konfrontation hilft, Verständnis auf- und Ängste abzubauen. Diese Erkenntnisse machen mich nicht schlagartig zum Clown-Fan und regelmäßigen Zirkusbesucher. Aber der Bogen, den ich um den nächsten Clown in der Fußgängerzone mache, wird sicher etwas kleiner ausfallen.
Drei Fragen an Tamala-Leiter Udo Berenbrinker
Udo Berenbrinker ist einer der Leiter der Tamala Clown-Akademie in Konstanz und stand selbst jahrzehntelang als Clown auf der Bühne. Im Interview spricht er über die Angst vor Clowns, welche Rolle Stephen King dabei spielt und verrät, was einen guten Clown ausmacht.
- Was denken Sie, warum haben Menschen Angst vor Clowns?
"Ich denke, die Angst vor Clowns ist vor allem durch die Mimik entstanden. Die meisten Clowns hatten früher ein weiß geschminktes Gesicht, das oft – gerade auf Kinder – erst einmal unnatürlich und gruselig wirkt. Die normalen Gesichtszüge sind dadurch schwer zu erkennen. Deswegen gibt es das heute kaum noch und die meisten Clowns verzichten mittlerweile auf dieses weiße Gesicht."
- Was halten Sie von dem Horrorclown-Phänomen – sind Sie verärgert darüber, dass es so etwas gibt?
"Das ist eine Bewegung, die von Stephen King bewusst inszeniert worden ist, um dem Ansehen der Clowns allgemein zu schaden, weil er sie selbst nicht mag. Aber im Grunde sind das keine wirklichen Clowns, sondern Leute, die sich einfach nur eine Maske aufgesetzt haben und Angst und Schrecken verbreiten wollen. Natürlich finden meine Kollegen und ich das nicht gut, aber sich darüber zu ärgern, bringt letztlich nichts. Für uns bedeutet das eher, dass wir viel mehr Aufklärungsarbeit leisten möchten und müssen, was uns bisher ganz gut gelungen ist. Es ist wichtig, den Menschen zu zeigen, dass diese Horrorfiguren mit Clowns und dem, für was sie stehen, rein gar nichts zu tun haben."
- Und wofür stehen Clowns?
"Ganz einfach: Ich sage immer, der Job der Clowns ist es, Freude zu schenken. Das machen sie auf unterschiedliche Arten und ja, auch Schadenfreude ist ein großer Bestandteil. Das heißt aber nicht, dass sich Clowns einfach gern über andere Leute lustig machen. Es geht vielmehr darum, zu vermitteln, dass es gar nicht schlimm ist, Fehler zu machen und zu scheitern. Das nimmt den Druck raus. Ein guter Clown sollte allgemein einfach ein positives Gefühl bei den Menschen hervorrufen und nicht den Horror verbreiten."