„Junge Migranten haben oft keine Idee, was sie einmal beruflich machen wollen“, berichtet Margarita Popov. Sie ist beim Jugendmigrationsdienst des Christlichen Jugenddorfwerkes Deutschland (CJD), ein Bildungs- und Sozialunternehmen, Ansprechpartnerin für Jugendliche, die als Flüchtlinge nach Deutschland gekommen sind. Zuerst gehe es stets darum, die Sprache zu lernen und einen Schulabschluss zu erlangen. Aber bei der Planung der beruflichen Zukunft wären viele ratlos.

„Die Jungen kennen oft nur den Beruf des Automechanikers und die Mädchen wollen Erzieherin oder Arzthelferin werden“, sagt Margarita Popov. Sie hätten keine Vorbilder, was sie sonst machen könnten.

Margarita Popov
Margarita Popov | Bild: Sabine Busse
„Sie haben keine Vorbilder, was sie sonst machen könnten.“
Margarita Popov, Jugendmigrationsdienst des CJD über den geringen Wissenstand junger Flüchtlinge über berufliche Möglichkeiten

Der Film soll dem Informationsdefizit etwas entgegensetzten

Diesen Informationsdefiziten wollte Popov mit ihren Kollegen des CJD in Friedrichshafen etwas entgegensetzen. Gemeinsam riefen sie das Filmprojekt „Mein Weg in Deutschland“ ins Leben. Dabei interviewen junge Flüchtlinge Menschen mit Migrationsgeschichte aus der Region, die einen erfolgreichen Werdegang vorweisen können. Die Schüler besuchen die internationalen Vorbereitungsklassen in Überlingen und Tettnang. Dort lernen sie Deutsch, bis sie am Regelunterricht teilnehmen können.

So ähnlich ging es bei den Dreharbeiten zu (von links): Wadim hält das Mikro, Vladislav sorgt für die Beleuchtung, Emilia beantwortet ...
So ähnlich ging es bei den Dreharbeiten zu (von links): Wadim hält das Mikro, Vladislav sorgt für die Beleuchtung, Emilia beantwortet Fragen und Jana filmt. | Bild: Sabine Busse

Mithilfe einer Förderung durch den Bodenseekreis holten sich die Initiatoren mit Nico Wolf von den Alva Studios aus Stuttgart professionelle Hilfe. Die Film-Experten setzten sich dann mit den teilnehmenden Schülern zusammen und erarbeiteten, wie man ein Interview führt und worauf es beim Filmen ankommt.

16-jährige Ukrainer fanden Arbeit mit dem Filmteam „ein bisschen aufregend“

„Herausgekommen sind sieben Portraits von Menschen verschiedenen Alters aus Ungarn, Syrien, dem Kongo, Usbekistan, Südafrika und dem Irak“, fasst Margarita Popov zusammen. Zu den Schülern, die Fragen stellten, gehörten auch Vladislav und Wadim. Beide sind 16 Jahre alt und stammen aus der Ukraine. Sie berichten von den Vorbereitungen, zu denen auch kleine Probe-Videos gehörten. „Die Arbeit mit dem Filmteam fanden alle ein bisschen aufregend, auch die, die wir interviewt haben“, räumt Vladislav ein.

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Sie hätten erfahren, sagt Vladislaw, wie schwierig es zum Teil für die Gesprächspartner war, Fuß zu fassen. So wurde beispielsweise der Abschied von der Familie, langes Warten auf Aufenthaltsgenehmigungen oder Hindernisse bei der Berufswahl thematisiert. „Das war eine gute Erfahrung und keine Zeitverschwendung“, sagt Wadim. „Wir haben dabei auch gut Deutsch gelernt.“

Zsolt Poldor floh 1984 aus Ungarn und brachte es in Deutschland zum eigenen Haus

Zu den Menschen, die vor der Kamera Auskunft über ihren Werdegang gegeben haben, gehört auch Zsolt Poor. Er stammt aus Ungarn und ist mit seiner Familie 1984, also noch vor der Wende von 1989, mit einem Touristenvisum nach Deutschland geflohen. Poor hatte in Ungarn Mathematik und Volkswirtschaftslehre studiert und schaffte es schnell, Arbeit zu finden. Die aufstrebende IT-Branche brauchte Mathematiker, da gab es Ausnahmen bei der Übergangszeit. Deutsch konnte er von seiner Mutter, einer Donauschwäbin.

Zsolt Poor aus Ungarn war einer der Interviewpartner für den Film. Hier ist er im Gespräch mit Margarita Popov vom CJD.
Zsolt Poor aus Ungarn war einer der Interviewpartner für den Film. Hier ist er im Gespräch mit Margarita Popov vom CJD. | Bild: Sabine Busse

Zsolt Poor absolvierte mehrere berufliche Stationen, bevor er in Tettnang landete. Heute ist er Rentner und gibt beim CJD als Honorarkraft Mathe-Nachhilfe. An die Filmaufnahmen hat er gute Erinnerungen. „Ich habe das genossen“, sagt er freimütig. Der anfängliche Bammel hätte sich schnell gelegt. „Das Team war locker.“ Die Schüler hätten ihn gefragt, ob er sich als Deutscher oder als Ungar fühle. Beides, lautet seine Antwort. Und worauf sei er stolz? Dass er noch mit seiner Frau zusammen sei, sagt er im Gespräch, und auf das eigene Haus, in dem er nun auch mit der Tochter lebe.

Sieben Interviewpartner erzählen sehr persönliche Geschichten

Es sind sehr persönliche Geschichten, die die Menschen den Jugendlichen vor laufender Kamera erzählt haben. Ein Mann, der in Syrien als Trainer einer Erstliga-Basketballmannschaft und Sport-Pädagoge gearbeitet hat, musste sich lange mit Aushilfsjobs über Wasser halten, bis er die Aufenthaltsgenehmigung bekam. Heute ist er Jugend- und Heimerzieher.

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Eine Frau aus dem Irak kam mit ihren Eltern und studierte in Deutschland. Sie arbeitet heute als Lehrerin und trägt Kopftuch. Auch darüber spricht sie in dem Film. Es kommt außerdem eine Ärztin zu Wort, die aus dem Kongo stammt, hier aufwuchs und nun im Helios-Spital arbeitet.

Überlingerin aus Südafrika ist Sängerin und betreibt Afrikashop

Ein Syrer, der hier zwar nicht studieren durfte, aber inzwischen auch hier als Kameramann arbeitet, erzählt seine aufwühlende Geschichte, ebenso sowie eine Überlingerin, die aus Südafrika stammt und hier einen Afrikashop betreibt sowie als Sängerin arbeitet. Den Deutschlehrer am Gymnasium, der in Usbekistan zur Welt kam, haben die Schüler selbst vorgeschlagen.

Die beiden 16-jährigen Schüler aus der Ukraine brauchen anscheinend kein Rollen-Modell für ihre berufliche Orientierung. Wadim möchte einmal etwas mit Tourismus machen: „Ich reise gerne und kann vier Sprachen: Ukrainisch, Russisch, Englisch und Deutsch“, sagt er selbstbewusst. Vladislav will auf jeden Fall sein Abitur machen und dann studieren. „Je nach Noten Medizin oder Jura. Ich möchte einen abwechslungsreichen Beruf und nicht jeden Tag das gleiche machen.“