Wenn fossile Brennstoffe weiterhin in so großer Menge verpulvert werden, dann ist das Treibhausbudget der Bundesrepublik bald aufgebraucht: Ab dem Jahr 2030 müsste dann zum Schutz des Klimas ein so radikaler Schwenk in der Stromproduktion vollzogen werden, dass für sie keine Energie mehr übrig ist, was ihre Freiheit und Lebensgrundlage gefährden würde.

Das ist, kurz gefasst, die Argumentation, mit der zwei junge Menschen aus Überlingen die Bundesregierung vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte verklagt haben. Amrei Feger (17) und Hauke Engels (19) aus Überlingen sind – mit sieben Weiteren – Beschwerdeführer vor dem europäischen Gericht. Anwaltschaftlich vertritt sie die Deutsche Umwelthilfe. In ihrer Gruppe waren sie vor zwei Jahren bereits vor dem Bundesverfassungsgericht erfolgreich, wo die Bundesregierung dazu verpflichtet wurde, das Bundesklimaschutzgesetz nachzubessern. Amrei Feger sagt deshalb: „Wir möchten für unsere Generation eine lebenswerte Zukunft durchsetzen.“

Darum verklagt Engels den deutschen Staat Video: Hilser, Stefan

Keine Klimaaktivisten, die sich auf die Straße kleben

Als Klimaaktivisten, die zum Beispiel Verkehrsblockaden planen, sehen sie sich nicht. Dennoch halten sie den Protest, so lange er ohne Gewalt auskommt, für legitim, weil nur so ausreichend auf das Thema aufmerksam gemacht werden könne. Hauke Engels: „Protestaktionen waren schon immer Aktionen, die aufrütteln. Nur so erhält man die Öffentlichkeit, beziehungsweise Medienpräsenz, die das Thema braucht.“

Amrei Feger: „Bei den Leuten besteht der Impuls, sich über etwas lustig zu machen, mit dem sie sich nicht ernsthaft beschäftigen ...
Amrei Feger: „Bei den Leuten besteht der Impuls, sich über etwas lustig zu machen, mit dem sie sich nicht ernsthaft beschäftigen möchten.“ | Bild: Hilser, Stefan

Wenn sich Krisen über längere Zeit hinziehen, so die Feststellung von Amrei Feger, „dann tendieren Menschen dazu, sie zu verdrängen – und dann ändert sich nichts“. An der Fastnacht wurden die sogenannten Klimakleber immer wieder thematisiert. Weil die Narren den Protest lächerlich finden? Dazu sagt die 17-Jährige: „Bei den Leuten besteht der Impuls, sich über etwas lustig zu machen, mit dem sie sich nicht ernsthaft beschäftigen möchten.“

Den Schlüssel für die Wende sehen sie in der Politik

Sind Klagen vor Gericht sinnvoller als Protestaktionen? „Ja und nein“, findet Feger. Gerade der Protest von Greta Thunberg und Luisa Neubauer (Fridays for Future) habe die nötige Aufmerksamkeit für den Klimaschutz geweckt. „Zugleich hat die Politik bewiesen, dass sie sehr gut darin ist, uns zu ignorieren.“ So bleibe nur der Rechtsweg. „Ein Tempolimit auf Autobahnen kann ich schlecht als Normalbürger durchsetzen. Jeder von uns hat die Möglichkeit, seinen Teil zum Klimaschutz beizutragen. Aber es gibt eben Schritte, die wir nicht alleine gehen können, sondern die der Staat als Gesamtes gehen muss.“

Hauke Engels: „Wenn der Staat nicht bereit dazu ist, seine eigenen Gesetze einzuhalten, dann muss man vor Gericht gehen.“
Hauke Engels: „Wenn der Staat nicht bereit dazu ist, seine eigenen Gesetze einzuhalten, dann muss man vor Gericht gehen.“ | Bild: Hilser, Stefan

Die Gesetzeslage sei eindeutig, betont Engels: „Der Staat hat sich dazu verpflichtet, das 1,5-Grad-Ziel einzuhalten. Wenn der Staat aber nicht bereit dazu ist, seine eigenen Gesetze einzuhalten, dann muss man vor Gericht gehen.“

Wie fühlt es sich an, den eigenen Staat zu verklagen?

Amrei Feger betrachtet ihre Rolle als Klägerin zwiegespalten. „Wir wissen, dass wir recht haben. Gleichzeitig fühlt man sich von denjenigen, die einen beschützen sollten, im Stich gelassen. Wir sollten nicht gegen unseren Staat klagen müssen. Es fühlt sich ein kleines bisschen dumm, dass man in der Rolle ist, klagen zu müssen, weil wir keinen anderen Weg mehr sehen.“

Amrei Feger: „Wir wissen, dass wir Recht haben.“
Amrei Feger: „Wir wissen, dass wir Recht haben.“ | Bild: Hilser, Stefan

Hauke Engels verweist darauf, dass die Hauptarbeit an dem Prozess von der Deutschen Umwelthilfe betrieben werde. „Ich selber kriege davon meistens nur die Ergebnisse mit. Aber natürlich, ein gutes Gefühl ist es nicht. Ich hätte gerne, dass die Dinge umgesetzt werden, die in den Gesetzen stehen, die ein Großteil der Bevölkerung heute will. Wenn man so einem großen Staat gegenübersteht, fühlt man sich klein, wie David gegen Goliath.“

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Wie denken Feger und Engels über ihre Zukunft nach?

Die beiden jungen Überlinger haben das Privileg, mit ihrer Klage eine gewisse Selbstwirksamkeit zu erleben, somit dem Klimawandel nicht ganz ohnmächtig gegenüber zu stehen. Hilft das, mit der Angst umzugehen? Feger: „Ja und nein. Einerseits weiß ich als Person, ich bin dran, ich versuche, es zu ändern. Gleichzeitig sehe ich, dass sich trotzdem nichts tut. Angst ist nicht das richtige Wort, aber der Gedanke bleibt immer.“

Hauke Engels: „Wie David gegen Goliath.“
Hauke Engels: „Wie David gegen Goliath.“ | Bild: Hilser, Stefan

Die Debatte, wie sich jeder Einzelne verhält, sei wichtig. „Die größere Auswirkung hat aber die Politik“, sagt Hauke Engels. „Nur sie hat die Macht, die Industrie so zu verändern, dass wir klimaneutral werden. Deutschland hat eine Vorbildfunktion für andere Länder. Wir müssen die Technologie bereitstellen. Wenn wir das nicht machen, dann sehe ich schwarz für unsere Zukunft, eine Zukunft, in der viele Menschen an Umweltkatastrophen sterben, die man hätte verhindern können.“

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