Es ist noch dunkel, als Torben Meyer zum Schlachthof fährt. Der Mitarbeiter bei Fairfleisch in Überlingen beobachtete aus dem Augenwinkel, dass da etwas nicht stimmt. Erst, als er bei Tageslicht den Betrieb verlässt, fallen ihm die Schuhe auf: Zwei Paar, fest verknotet, hängen wie ein Waschlappen über einer Telefonleitung, die parallel zur Landesstraße an der Reutemühle verläuft.

Warum hängen die da?
Vermoost, ausgelatscht, aufgerissen. Man hätte die Schuhe sowieso nicht mehr tragen können, eigentlich wären sie reif für den Müll. Aber warum knotet der unbekannte Träger sie dann zusammen und schleudert sie über die Leitungen?
Auch an einer Starkstromleitung im Bereich der Bundesstraße bei Überlingen wurden jüngst Schuhe entdeckt, die jemand über die Leitung schleuderte. Torben Meyer schätzt, dass mehrere Versuche nötig waren, bis die Galoschen über der Leitung hingen. Nach seiner Erinnerung muss die nächtliche Schuhwurfaktion im Bereich des Schlachthofs Anfang Mai stattgefunden haben.

Wohl zum gleichen Zeitpunkt wurden sie auch über die Stromleitung an der Bundesstraße geworfen – und dort vom Netzbetreiber rasch entfernt. „Schuhe in einer Leitung sind in unserem Netzgebiet äußerst selten“, stellt Ralph Eckhardt fest, Sprecher der Netze BW GmbH, einem Tochterunternehmen des Stromkonzerns EnBW.
Dabei taucht das Phänomen bundesweit, ja sogar weltweit, immer wieder auf. „Schuhe über Stromleitungen“ ist ein Suchbegriff, der bei Google zu mehreren Treffern führt. In der Straßenkunst wurde daraus der Begriff Shoefiti geprägt, zusammengesetzt aus shoe (englisch für Schuh) und Graffiti.
Drei Paar bei Brachenreuthe
Drei weitere Paare hängen bei Überlingen-Brachenreuthe über einer Niederspannungsleitung. Hier haben sich die Urheber einen landschaftlich besonders reizvollen Ort ausgesucht.


Die Urheber geben sich freilich nicht zu erkennen, weshalb der Grund im Spekulativen verläuft. Es könnte ein Ausdruck von Liebe sein, so wie jemand einen Maibaum aufs Dach seiner Geliebten stellt. Oder ein Ausdruck von Solidarität irgend jemandem oder irgend einer Sache gegenüber. „Oder einfach nur zum Spaß, just for fun“, wie Torben Meyer vom Schlachthof Überlingen vermutet.
Netzbetreiber findet es nicht spaßig
Besonders spaßig findet Ralph Eckhardt von der EnBW diese letzten Ausflüge ausgelatschter Schuhe nicht. Eine Gefahr für die Stromversorgung habe im jüngsten Fall an der B 31 nicht bestanden. „Eine Gefährdung hätte aber für den Straßenverkehr entstehen können, wenn ein Schuh herabgefallen wäre. Auf jeden Fall ist so etwas ein unnötiges Ereignis, das mit viel Aufwand für die Behebung verbunden ist.“

Ein neues Phänomen im Bodenseekreis?
Dem Stadtwerk am See sind im Bodenseekreis derartige Fälle bislang nicht bekannt. Pressesprecher Sebastian Dix beurteilt die Sache so: „Zunächst ist es ein gefährlicher Eingriff in den Betrieb des Stromnetzes. Im Moment der Tat kann sich der Täter selbst gefährden, es können Kurzschlüsse zu Lichtbögen führen.“ Im laufenden Betrieb sei die Isolationsfähigkeit der betroffenen Leitung herabgesetzt. „Es kann jederzeit zu Spannungsschwankungen und sogar Versorgungsunterbrechungen unserer Kunden führen. Das kann wiederum zu Sachschäden führen.“
In den letzten 15 Jahren seien ihm keine Fälle auf Leitungen des SWSee bekannt worden. Wenn doch? „Die Schuhe würden wir entfernen lassen. Dazu müssen die Leitungen in der Regel ausgeschaltet werden, was wiederum zu Versorgungsunterbrechungen führen kann. Das ist also keinesfalls ein Bagatelldelikt.“