Wer sich aufmacht und eine große Werkshalle mit viel technischem Gerät und zahlreichen Mitarbeitern erwartet, wird enttäuscht. Man trifft Simon Harvey allein in seiner kleinen Zweiraum-Werkstatt, einen detailversessenen Handarbeiter, der seine Produkte in liebevoller Hingabe an Material und Technik Stück für Stück entstehen lässt.
Leidenschaft führte ihn nach Südspanien
Simon Harvey wurde 1968 in England geboren, genauer in Rugby. Allerdings hat er sich nicht für jene Sportart begeistert, der sein Geburtsort den Namen lieh, sondern schon die Jugendjahre auf den Boards verbracht. Zu Studienzeiten begann er, sich aus Geldmangel seine Bretter selber zu bauen.
Er wurde Windsurfprofi und Tester für Boards sowie Segelwerk. Im Jahr 2000 zog Harveys Leidenschaft ihn in das südspanische Tarifa, ein Mekka des Kitesurfens am Mittelmeer. Dort heuerte er Mitarbeiter an und stellte seine Board-Manufaktur auf etwas breitere Füße.
Dem Ruf einer Frau nach Überlingen gefolgt
Aus privaten Gründen – „I followed a woman“ (deutsch: „Ich folgte einer Frau“), wie Harvey selbst sagt – ließ er sich 2014 in Überlingen nieder, behielt aber bis heute das Standbein in Tarifa, wo seine Produkte unter solchen Wellen- und Windbedingungen getestet werden, die der Bodensee fast nie zu bieten hat. In Überlingen werden seine Bretter zwar auch ersten Prüfungen unterzogen, aber den Ernstfall erleben sie unter den Füßen der Profis in Spanien.

Der Firmenname Nomad, so Harvey, reflektiert seine Freude am Ortswechsel und die Lebensform der eingefleischten Kiter, die auf dem Globus dort zuhause sind, wo Wind und Wellen die spektakulärsten Erlebnisse versprechen, wenn sie, auf dem Board balancierend und per Handgestänge über Leinen mit dem Segel verbunden, zu waghalsigen Luftfahrten abheben.
Sein Geheimnis: Erfahrung, Handwerk, Performance
Was macht nun seine Boards so einzigartig? Harvey konterkariert den vollmundigen Superlativ seiner Internetseite mit britischer Untertreibung: „Very simple“, erklärt er: Material, Erfahrung, Handwerk, Performance. Da ist zunächst das Material, ein feines Fibercarbon-Fasergewebe, das in einem backofenähnlichen Kasten bei einer bestimmten Temperatur eine bestimmte Zeitlang unter Zugabe von Epoxidharz mit einem Brettkern verbunden wird.

Dieser Kern wiederum ist nicht etwa wie bei vielen Massenherstellern aus schwerem Buchenholz, sondern aus leichtem, aber stabilem PVC, das in fein ausgetüftelte Wölbungsformen und Randkonturen gepresst wird. Schmirgeln und Lackieren geben dem Korpus das Finish. Zuletzt werden in bestimmtem Winkel und Abstand die Fußhalterungen und unten die Finnen eingeschraubt.
Bis zu 4000 Euro für ein Board
Wie genau diese vielen Handgriffe ausgeführt werden, hängt von den Ansprüchen des einzelnen Kunden ab, von Körpergröße und -gewicht, aber vor allem von seinem Niveau als Freizeitsportler oder Profi-Freestyler. Harvey verkauft bis zu 4000 Euro teure Produkte mit individuellem Leistungsprofil.
Alles muss stimmen: Strömungswiderstand, Steuerbarkeit auch bei hohem Tempo, Laufruhe, Wendigkeit, Torsionssteifigkeit in verschiedenen Richtungen. Rund 100 solcher Boards verlassen jährlich seine Werkstatt und sichern auskömmlichen Verdienst. „There are no secrets“, sagt er. Auf deutsch: „Es gibt keine Geheimnisse.“
Harvey gilt im Netz als Kiteboard-Experte
Vor allem jahrzehntelange Erfahrung und handwerkliche Fertigungskunst fließen in Harveys Bretter-Tuning ein. Viel Werbung müsse er nicht betreiben, denn in den Internetforen der Kitesurf-Welt werde sein Name herumgereicht. Er scheint dort den Ruf eines „Kiteboard-Flüsterers“ zu genießen.