Diehl Defence, Hersteller unter anderem der Luftabwehrrakete Iris-T, die laut einem Beschluss der Bundesregierung in die Ukraine geliefert werden soll, erweitert am Standort Überlingen seine Kapazitäten. Ein neues Lager- und Bürogebäude befindet sich derzeit im Bau. Der Personalstamm sollte, so der schon vor Kriegsausbruch vorgestellte Plan, um zehn Prozent auf dann 1100 Beschäftigte steigen.

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Überlingens Dekanin Regine Klusmann träumt von einer Welt, die keine Waffen mehr braucht. Eine gewaltfreie Lösung von Konflikten müsse immer Vorrang haben. Angesichts des völkerrechtswidrigen Angriffs auf die Ukraine sei es dennoch legitim, sich zu verteidigen. „Notfalls auch mit Waffengewalt“, sagt die evangelische Pfarrerin.

Dekanin Regine Klusmann: „Ich halte es für sinnvoll, wenn die nötigen Verteidigungswaffen unter der strengen Aufsicht eines ...
Dekanin Regine Klusmann: „Ich halte es für sinnvoll, wenn die nötigen Verteidigungswaffen unter der strengen Aufsicht eines Rechtsstaates hergestellt werden, und wirklich nur dorthin kommen, wo sie der rechtmäßigen Verteidigung und nicht dem Angriff dienen.“ | Bild: Hilser, Stefan

Diehl Defence befindet sich nach eigenen Angaben „seit einigen Jahren in einer langfristigen Wachstumsphase“. Gesucht werden Beschäftigte in allen Unternehmenszweigen, von der Entwicklungsabteilung über die kaufmännischen Abteilungen bis hin zur Fertigung. Mit dem Krieg in der Ukraine stehe das Wachstum in keinem ursächlichen Zusammenhang, teilte Diehl nun mit.

Bestseller bei Diehl: eine IRIS-T-Rakete.
Bestseller bei Diehl: eine IRIS-T-Rakete. | Bild: Diehl Bgt Defence

Doch dürfte der Krieg, beziehungsweise der damit verbundene Blick der Öffentlichkeit auf den Bau von Waffen, mit dazu beitragen, dass die Personalsuche leichter gelingt. Beim Einstellungsgespräch spielen ethische Fragen eine Rolle. Es ist bekannt, dass Bewerber bei Diehl Defence befragt werden, ob sie möglicherweise in einen Gewissenskonflikt geraten, wenn sie an der Produktion von Waffen mitarbeiten.

Diehls „Beitrag zum friedlichen Zusammenleben“

Direkt im Unternehmen nachgefragt, lautete die Antwort durch Pressesprecher David Voskuhl, dass sich keine Aussagen dazu machen ließen, inwieweit die Ereignisse in der Ukraine sich auf die Personalgewinnung auswirken. Man stelle aber fest, dass es in der Öffentlichkeit „eine zunehmende Wertschätzung für die wehrtechnische Industrie“ gebe. „Wir begrüßen es, dass unser Beitrag zum Gemeinwesen und friedlichen Zusammenleben so gewürdigt wird, wie wir es für angemessen halten.“

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Umfrage 2018: Schlechtes Image für Rüstungsbetriebe

Die Zustimmungswerte waren schon schlechter. Die Bundesakademie für Sicherheitspolitik (BAKS), eine Bildungsstätte der Bundesregierung, konstatierte 2018, dass das Image der Verteidigungswirtschaft in Deutschland „eher negativ“ besetzt sei. Die BAKS bezog sich auf eine repräsentative und von der Deutschen Gesellschaft für Wehrtechnik geförderte Studie. Demnach hatten 43 Prozent der Befragten ein negatives Bild von der Rüstungsindustrie in Deutschland, nur 17 Prozent eine positive Wahrnehmung.

Die Skepsis wurde laut der Studie weniger mit moralischen Wertvorstellungen begründet, als vielmehr mit der Sorge, die Waffen könnten in die falschen Hände geraten und dereinst gegen Deutschland gerichtet werden.

Umfrage im April: Deutsche mehrheitlich für Waffenlieferung

Mit dem Angriffskrieg in der Ukraine ändert sich das Meinungsbild. Laut einer Umfrage des ZDF-Politbarometer waren im März noch fast zwei Drittel der Befragten (63 Prozent) gegen die Lieferung schwerer Waffen in die Kriegsregion. In einer am 29. April veröffentlichten Umfrage sprachen sich nun 56 Prozent der Befragten für die Lieferung etwa von Panzern aus.

Auch die Landessynode der evangelischen Kirche in Baden, die Ende April stattfand, hält die Lieferung von Waffen zur Selbstverteidigung an die Ukraine für gerechtfertigt. Zugleich bringt die Synode in ihrer Erklärung die Sorge zum Ausdruck, „dass Waffenlieferungen die Gefahr einer weiteren Eskalation des Krieges mit sich bringen können“.

„Aber Hilfe nicht zu leisten und dem Morden zuzusehen, ist auch keine gute Lösung.“
Regine Klusmann, Dekanin

Wenn Waffen, dann nur zur Verteidigung: Das betont die evangelische Dekanin Klusmann. Sie dürften nur dort eingesetzt werden, wo die Möglichkeiten einer gewaltfreien Konfliktlösung ausgeschöpft sind. Die Produktion von Verteidigungswaffen solle „unter der strengen Aufsicht eines Rechtsstaats“ stattfinden, und sie sollten „wirklich nur dorthin kommen, wo sie der rechtmäßigen Verteidigung und nicht dem Angriff dienen“.

Es müsse sichergestellt werden, dass eine Lieferung über Umwege „in alle möglichen Krisengebiete der Welt“ ausgeschlossen wird. Klusmann lehnt es auch ab, dass mit Waffen Geschäfte gemacht und Gewinne maximiert werden.

Diehl: Keine Stellungnahme durch Beschäftigte

Wir hätten uns gerne mit Mitarbeitern von Diehl Defence unterhalten. Es ist bekannt, dass in früheren Jahren manche der Beschäftigten in ihrer Familie oder in ihrem Freundeskreis lieber verschwiegen haben, wo sie ihr Geld verdienen. Nehmen sie jetzt eine Veränderung wahr, wurde aus Ächtung vielleicht sogar Achtung und Stolz darauf, dass man hier in Überlingen Waffen entwickelt, die in der Ukraine Leben retten könnten?

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Die Geschäftsführung lehnte es ab, dass sich Beschäftigte dazu öffentlich äußern. „Da die tagesaktuelle Diskussion zur wehrtechnischen Industrie und der geänderten Sicherheitslage in Europa seit Februar nach wie vor kontrovers verläuft, möchten wir nicht einzelne Mitarbeiter mit Aussagen hierzu in den Medien exponieren.“

Dekanin Regine Klusmann über ein moralisches Dilemma

Klusmann äußert ihre grundsätzlichen Bedenken gegen Waffen, zugleich bringt sie zum Ausdruck, in welchem Dilemma sie stecke. „Gewalt anzuwenden heißt, in jedem Fall schuldig zu werden. Bomben und Gewehre verursachen Tod und Verletzung. Doch erbetene Hilfe nicht zu leisten, macht auch schuldig.“ Ob eine Kapitulation der Ukraine Leid verhindern würde, bleibe Spekulation. Es stehe uns nicht an, darüber zu urteilen. Jede Anwendung von Gewalt berge die Gefahr einer Eskalation. „Aber Hilfe nicht zu leisten und dem Morden zuzusehen, ist auch keine gute Lösung.“

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