Vor den Toren des Bodenseekreises gelten keine Rechtschreibregeln mehr. Auf der B31 zwischen Stockach und Überlingen steht an einer Wildwechselbrücke ein Graffiti: „FÜHR DIE TIRE VON MIR“. Und auf der Gegenseite: „FÜR AALE TIRE JETZT.“ Bedeuten soll es natürlich: „Für die Tiere von mir“ und „Für alle Tiere jetzt“. Es geht hier um Tierschutz, um das Engagement für die kleinen Wesen, bekanntlich eine gute Sache. Doch Halt, bitte nicht einfach so weiterfahren! Damit ist nicht alles über diesen Schriftzug erzählt.
Wer tiefer über diese Botschaft nachdenkt, merkt: Hier war ein echtes Schlitzohr am Werk. Unaufdringlich, aber effektiv wirbt hier jemand für Katz und Maus. Statt sich auf der Straße zu befestigen oder ein Picasso-Gemälde mit Kartoffelbrei zu beschmieren, hat sie sich mit der Botschaft im Großhirn der Autofahrer festgeklebt. Denn jeden Tag fahren hier tausende Menschen vorbei, lesen diese Wörter und speichern sie im Unterbewusstsein ab. Dass Botschaften dieser Art erst durch eingebaute Fehler wahrgenommen werden, ist zwar ein Armutszeugnis des digitalen Zeitalters. Doch immerhin bei diesem Ausdruck der Meinungsfreiheit niemand vom Asphalt gerissen oder von wütenden Pendler vom Fahrstreifen getreten.
Lieber falsch schreiben statt nicht schreiben
Das ist aber nicht alles. Vom Tierliebhaber über den Grünen-Wähler bis hin zum freiheitsliebenden Liberalen: Die Botschaft hat eine beachtliche Zielgruppe. Auch FDP-Wähler dürften sich qua Überzeugung in diesem Beispiel sprachlichen Innovationsgeistes wiederfinden, während sie hier mit 200 Kilometern pro Stunde im Porsche vorbeibrettern. Wie auch in der freien Marktwirtschaft, sollte es in der Sprache keine lästigen Regulierungen geben. Der Buchstabenmarkt regelt alles. Lieber falsch schreiben statt nicht schreiben, hätte wohl auch der Bundesvorsitzende Christian Lindner gedacht.
Am Ende verstehen die Menschen ohnehin, worum es geht – ganz egal, was Duden oder andere unbeliebte Regulationsinstitutionen vorschreiben. Womöglich sollte Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck ins Heizungsgesetz besser ein paar Schreibfehler einbauen. Dann wäre die „Heizhammer“-Debatte um das Heizungsgesetz möglicherweise längst beendet.
Nichts ist unmöglich – wusste bereits Toyota
Bei Berücksichtigung der Faktoren Tierschutz, Freiheit und Heizungsstreit könnte die Graffiti-Urheberin eine FDP-wählende Wärmepumpen-Installateurin sein, die bei der Tierschutzorganisation Peta organisiert ist. Aber glauben Sie nicht, dass es so sein könnte? Nichts ist unmöglich, so der ehemalige Werbeslogan von Autohersteller Toyota. Es handelt sich hier keinesfalls um recherchierte Fakten. Sehen Sie es vielmehr als Ausdruck grenzenloser Freiheit und merken Sie sich: Über der B31 ist die Freiheit einfach grenzenlos.