Jetzt glänzt sie so richtig im Neonlicht. Ralf Jungbauer legt Spraywachs und Lappen beiseite und geht an die Wurflinie. Dann hebt der 59-Jährige die rote Kugel auf Nasenhöhe, hält inne und wirft sie auf die schlangengrüne Linoleumbahn. Sie rollt und rollt, vorbei an Sponsoren-Werbung und Pokalen. Nach etwa 24 Metern haut sie die Holzkegel weg und Jungbauer kneift die Lippen zusammen. Er ist nicht zufrieden und greift nach der nächsten Kugel. „Noch bin ich ja beim Aufwärmen“, sagt er und grinst.
Nur noch 35 Mitglieder
Es ist Mittwochnachmittag und das Training beim Kegelclub KC Bodensee Überlingen hat gerade begonnen. Mehrere Herren in ihren Sechzigern stehen in Kunstfasershirts und Turnschuhen an den Wurflinien. Dahinter befinden sich Holzstühle und -tische mit angebrochenen Weißbiergläsern darauf. Eben haben auch die Damen gespielt. Sie sitzen nun in der Gastwirtschaft nebenan, rauchen, plaudern oder trinken Kaffee.
Die Anwesenden sind einige der 35 verbliebenen Mitglieder. Sie spielen seit rund zehn Jahren auf den vier Bahnen hier im Stockwerk unterhalb der Pizzeria „Zur Faulen Magd“ in der Rauensteintraße. Seit 2014 gibt es den Verein in dieser Form.
Nach dem Boom ging es abwärts
Die Geschichte des Sportkegelns in Überlingen geht mindestens bis in die 1960er-Jahre zurück. Zu dieser Zeit war das Kegeln eine feste Größe im Lokalsport und erfreute sich zahlreicher Mitglieder. Damals gab es Vereine mit Namen wie KC Jadran Überlingen, SKC 77 Überlingen oder KSK 63 Überlingen. 1976 wurde in Altbirnau sogar mit Unterstützung eines Investors ein Kegelzentrum gebaut.
Nach der Jahrtausendwende wurde die Bahn aber geschlossen und die Kegler fanden in der Rauensteinstraße ihr neues Zuhause. Die Mitgliederzahlen sanken und mehrere Vereine fusionierten zum KC Bodensee Überlingen. Anfang der 2010er-Jahre gab es noch etwa 200 Kegler in Überlingen. Mittlerweile hat der Verein aber nur noch zwei Mannschaften, die in der Bezirksliga A spielen. Aber die Zahl der Mitglieder sinkt – und eine Lösung für das Nachwuchsproblem scheint nicht in Sicht.
„Kegeln ist auf dem absteigenden Ast“
Falko Pyritz ist Vorsitzender des Vereins und schaut besorgt in die Zukunft. Der 55-Jährige stammt aus Zwickau in Sachsen und ist nach dem Fall der Mauer im Jahr 1993 nach Überlingen gekommen. „Damals habe ich beim Kegeln Anschluss gefunden“, erzählt er, „dann war ich sofort integriert.“ Mit zehn Jahren hatte er erstmals eine Kugel in der Hand, vor der Wende hat er in Betriebsmannschaften gespielt. „Für mich ist Kegeln einfach Geselligkeit, Gemeinschaft und Wettbewerb.“

Besorgt ist auch Gerd Assmann. Der 69-Jährige kegelt seit Jahrzehnten und sagt: „Ich liebe diesen Sport.“ Als Sportwart pflegt er den Kontakt zwischen dem Verein und Schulen – seit Jahren aber mit wenig Erfolg. „Wir haben mit Flyern geworben oder uns in den Schulen präsentiert.“ Doch gegenüber Fußball- oder Handballvereinen hätten sie heutzutage keine Chance, sagt Assmann. „Kegeln ist einfach auf dem absteigenden Ast, sowohl bei uns als auch bundesweit.“

Früher hätten Mitglieder ihre Kinder zur Kegelbahn mitgenommen und damit für den Nachwuchs gesorgt. Doch die nun erwachsenen Kinder machten heute in ihrer Freizeit lieber andere Dinge. Das jüngste Mitglied sei gerade einmal 39 Jahre alt. „Wir nennen ihn Bambi“, sagt Assmann und lacht.
Mehr Bowling wagen?
Und da wäre auch das Bowling mit seinen schrillen Bildschirm-Animationen, gewachsten Holzbahnen und bunten Lederschuhen. Aber warum nicht etwas abschauen? Pyritz und Assmann schütteln den Kopf. Der Bundesverband habe bereits versucht, den Sport attraktiver zu machen, sagen sie. „Statt 200 Würfe gibt es beim Wettkampf mittlerweile nur noch 120 Wurf pro Kegler.“
Oder mehr Präsenz auf Social Media? „Auf unserer Webseite haben wir genügend Informationen“, verneint Assmann.
Zehn Reservierungen im Monat
Doch es gibt einen Hoffnungsschimmer: Bei Geburtstagen finden junge Leute noch den Weg zur Kegelbahn. Dann steht Waltraud Wieder hinter ihrem Tresen und schenkt Fanta, Spezi oder Apfelschorle aus, während nebenan die Kugeln geschmissen werden. Seit Ende der Pandemie-Maßnahmen gebe es wieder viel Andrang, sagt die Besitzerin der Bahn. „Wir haben etwa zehn Reservierungen pro Monat.“

Waltraud Wieder nennt sich die „Bardame des Kegelvereins“ und genießt es, wenn auf der Bahn reger Betrieb herrscht. An diesem Nachmittag serviert sie für vor allem Weißbier und Kaffee.
Ein neueres Mitglied ist Petra Hesse. Die 60-Jährige ist vor zwei Jahren über ihren Mann in den Verein gekommen. „Ich komme gern her, um vom Alltag abzuschalten.“ Auf das Thema Nachwuchsprobleme angesprochen sagt sie: „Viele Vereine kämpfen heute um Nachwuchs, aber eines steht doch fest: Man muss in die Schulen!“

Bis die letzte Kugel ausgerollt ist
Nach dem Training sitzt Hesse mit ihren Kameradinnen noch in einer Sitzecke zusammen. Oberhalb ihres Tisches erinnert eine Vereinstafel an ein Gartenfest der Sportgemeinschaft Anfang der 90er-Jahre. In der anderen Ecke der Raums trinken ein paar Männer Bier und spielen Dart.

Mittlerweile füllen sich die Aschenbecher und die Gläser leeren sich. Die Deckenlichter scheinen wie Nebelleuchten durch den Rauch. Draußen peitscht der Regen gegen die Fenster. Der verschnörkelte Schriftzug „Kegelbahn“ wird wohl noch einige Zeit an der Hauswand hängen. Bis es den Verein nicht mehr geben wird. Bis die letzte Kugel ausgerollt ist.