Es ist ein historischer Moment für Überlingen, dem stimmt auch Oberbürgermeister Jan Zeitler zu. 1250 Jahre hat die Stadt erst gefeiert, nun werde die Vielfalt obendrein gefeiert, sagt er und betont: „Es ist ein wahnsinnig tolles Bild, das so hier zu sehen in unserer Stadt. Es ist einfach fantastisch.“ Für einen Oberbürgermeister sei es natürlich auch ein bisschen ein Traum, sagt er. „Wir können zeigen, dass wir eine weltoffene und tolerante Stadt sind.“

Die Pride-Fahne, die am Landungsplatz gehisst ist, gefalle ihm auch richtig gut: „Wir lieben es, frei zu leben. Jeder soll frei leben können. Das macht unseren Staat aus, unser Land und auch unsere Stadt. Wenn man rausguckt in die Welt und sieht, was die Rechte macht, dann darf man schonmal laut sein und ein Zeichen setzen.“ Er sei schon gespannt, wie viele im nächsten Jahr kommen würden.

„Wir haben es endlich geschafft“

„Ich bin total geflasht“, sagt auch SPD-Bundestagsabgeordnete Lina Seitzl zu Beginn ihres Redebeitrags, denn es sei aktuell nicht ganz einfach, Politik zu machen. Man bekomme ständig negative Rückmeldungen „und die Frage: Warum ist eigentlich die AfD so stark?“ Sie sei daher sehr dankbar, dass sie an diesem Tag beim ersten Überlinger Christopher-Street-Day (CSD) mitlaufen dürfe: „Es ist toll hier, ich sehe so viele tolle bunte Menschen in einer bunten und vielfältigen Gesellschaft. Das tut so gut; vielen Dank an euch!“

Die Konstanzer Bundestagsabgeordnete Lina Seitzl spricht zu den Anwesenden.
Die Konstanzer Bundestagsabgeordnete Lina Seitzl spricht zu den Anwesenden. | Bild: Lena Reiner

Jeder müsse Platz haben in dieser Gesellschaft; sie sei in die Politik gegangen, weil sie wolle, dass jeder Mensch sein Leben leben könne, wie er möchte: „und wir haben es endlich geschafft, wenn auch viel zu spät, dass das schwulenfeindliche Blutspendeverbot gekippt wurde.“ Sie nennt weitere politische Fortschritte, die aber noch nicht genug seien und erhält dafür Applaus.

Regen und Regenbogen-Farben

Zwischen 200 und 300 Personen sind bei der Veranstaltung. Die genaue Zahl der Anwesenden ist schwer einzuschätzen, durch Regenschauer verändert sich das Bild der Menge mehrfach. „Wir sind trotzdem da“, sagt Claudia Beier-Rathgeb vom Organisationsteam mit Blick in den dunklen Himmel und Sandra Franz, ebenfalls unter den Initiatorinnen, ergänzt: „Mich freut vor allem auch der Altersmix, das ist richtig süß mit anzusehen.“ Tatsächlich sind von Jugendlichen bis hinauf ins Rentenalter Menschen gekommen, um bunt gekleidet für Toleranz und Miteinander einzustehen.

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Veranstalter: Miteinander reden, nicht gegeneinander

Mit-Initiator Dennis Michels sagt zur Menschenmenge „gefühlt ist es für mich unglaublich viel“. „Wenn man bedenkt, vor über 54 Jahren, damals in Stonewall Inn, wo der erste Widerstand von queeren Menschen war, da hat die Polizei sechs Tage lang versucht, dagegen anzukämpfen. Und jetzt schaut sie euch an; die steht hier, sie beschützt uns, sie begleitet uns.“ Die Ordnungshüter erhalten an dieser Stelle lauten Applaus.

Dennis Michels appelliert an alle, ihre Herzen zu öffnen.
Dennis Michels appelliert an alle, ihre Herzen zu öffnen. | Bild: Lena Reiner

„Inklusion, Vielfalt und Toleranz ist nicht nur eine Forderung sondern auch eine Herzensangelegenheit. Wir sprechen über eine Welt, die so vielfältig ist, wir sollten stolz auf unsere Einzigartigkeit sein. Viel zu oft erleben Menschen genau das Gegenteil und werden in Schubladen gesteckt, die ihre Würde verletzen oder ganz untergraben“, führt er aus. Daher stünden sie hier, um für Liebe, Toleranz und Gleichberechtigung für alle ohne Ausnahme ein. Er wendet sich dabei auch an die queere Community, die ebenfalls tolerant sein solle: „Lasst uns miteinander und nicht gegeneinander reden, tut mir bitte den Gefallen.“

„Das war total berührend“

Unter den Anwesenden sind auch die Überlingerinnen Margret de Backere und Steffi Höltje. Sie besuchen seit mehr als zehn Jahren gemeinsam CSDs bundesweit. Margret de Backere sagt: „Das war total berührend.“ Ihre Frau Steffi Höltje ergänzt: „Wir waren auch in Freiburg, da waren 17.000 Leute. Hier war es persönlicher.“ Es sei auch klar gewesen, dass es eine politische Veranstaltung ist und nicht nur eine Spaßparty; das Leben als queerer Mensch sei eben immer noch kein Spaziergang.

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„Deswegen ist es auch so toll, dass das hier in Überlingen jetzt organisiert wurde“, findet de Backere, im aktuellen politischen Klima sei es leider nicht mehr selbstverständlich, dass sie die Rechte auch behielten, die sie inzwischen hätten. „Das macht allen, die zur Community gehören, echt Sorgen, dieser Rechtsruck kommt bisschen näher, es wird bisschen enger für uns.“

Rede unter Tränen

Mo Hartkopf, der mit seiner Musik das Publikum unterhält, ist während seines Redebeitrags mehrfach den Tränen nahe, seine Stimme bricht, er muss kurz innehalten. Dem gebürtigen Iraker fällt es schwer, darüber zu sprechen, dass er keinen Kontakt mehr zu seiner Familie hat, weil diese seine Homosexualität nicht akzeptieren könne. „Als ich 16 Jahre alt war, wollten sie mich zum ersten Mal verheiraten und als klar war, dass ich homosexuell bin, wollten sie mich mit einer Frau zwangsverheiraten“, schildert er. Das Publikum ist berührt und applaudiert.

Mo Hartkopf spricht über seine eigene Biografie, um Menschen Mut zu machen.
Mo Hartkopf spricht über seine eigene Biografie, um Menschen Mut zu machen. | Bild: Lena Reiner

Eine Frau aus dem Publikum greift kurzerhand ebenfalls zum Mikrofon, bittet unter Tränen um Unterstützung für die Kinder. Anlaufstellen seien wichtig und die fehlten nach wie vor in der Region. Bewegungsschwester Agnetha Maria Rabiata, so der Ordensname der Moderatorin, verspricht, sich eben dafür einzusetzen.

Schweigeminute für Betroffene

Auch Mit-Initiator Michels wird in seinem letzten Redebeitrag nochmals explizit politisch. Er verliest die allgemeine Erklärung der Menschenrechte und bittet um eine Schweigeminute für alle, die nicht auf die Straße gehen und für ihre Rechte eintreten können. Dabei erinnert er besonders auch an Uganda, wo die queerfeindliche Gesetzgebung verschärft wurde; auf Homosexualität steht dort aktuell die Todesstrafe.