Thomas Lohner ist zum Mond oder 13 Mal um die Welt gefahren. Aber weder die Sterne, die Pyramiden oder das Taj Mahal hat er gesehen. Seine Strecke lautete immer: Überlingen – Schaffhausen.

Seit mittlerweile 21 Jahren pendelt er mit dem Auto in die Schweiz. In der Nähe von Schaffhausen arbeitet er als Programmierer für ein Unternehmen, das Software für Verkehrsunternehmen herstellt. Morgens um 7 Uhr heißt es für ihn: rein ins Auto, rauf auf die B31, durch den Hegau, über die Grenze und ab an den Schreibtisch. Nach etwa 45 Minuten und 55 Kilometern Strecke ist er da. Am späten Nachmittag geht es zurück und um 19 Uhr ist er zu Hause.

Niemals Bahn gefahren

Wenn Thomas Lohner über seinen Arbeitsweg spricht, scheint es, als ob er damit in Frieden sei. Bei der Hinfahrt könne er sich manchmal mit Überlinger Kollegen unterhalten und bei der Rückfahrt Abstand von der Arbeit gewinnen, erklärt er. Stau, die B31 oder rasende Schweizer bringen ihn auch nicht zur Weißglut. Aber wenn es um Zollkontrollen bei Lastwagen am Grenzübergang geht, rollt er die Augen. „Da steht man schon mal eine Viertelstunde und mehr und kann am Laptop das Arbeiten beginnen.“

„Bahn fahren? Das wäre für mich kein Zeitgewinn“, sagt Thomas Lohner.
„Bahn fahren? Das wäre für mich kein Zeitgewinn“, sagt Thomas Lohner. | Bild: Cian Hartung

Doch diese Fälle seien eine Seltenheit. Und auf die Bahn umsteigen, das wolle er nicht. „Meine Kollegen schimpfen immer über Verspätungen und von Überlingen aus sind die Verbindungen sehr schlecht“, sagt er. Die Bahn habe er all die Jahre kein einziges Mal ausprobiert. „Das wäre für mich kein Zeitgewinn.“

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Und warum überhaupt in die Schweiz?

Dass er überhaupt in die Schweiz gekommen ist, habe mit der Familie, seinen Überlinger Wurzeln und natürlich auch mit dem Geld zu tun. Um die Jahrtausendwende habe er in Stuttgart gearbeitet und sei am Wochenende immer an den Bodensee zurückgekehrt. Nach mehreren Bewerbungsgesprächen fiel der Zuschlag auf Schaffhausen. Zu seinem Gehalt in der Schweiz will er sich nicht äußern, doch laut Jobbörsen liegt das Jahresgehalt in seiner Branche in der Schweiz durchschnittlich bei rund 80.000 bis 100.0000 Franken (etwa 81.000 bis 101.000 Euro). In Deutschland verdienen Programmierer dagegen durchschnittlich 60.000 Euro im Jahr.

Lohner am Steuer: Seine Autos haben wegen der vielen Kilometer nie lange gehalten, sagt er.
Lohner am Steuer: Seine Autos haben wegen der vielen Kilometer nie lange gehalten, sagt er. | Bild: Cian Hartung

Trotz des höheren Gehalts hat die Pendelei aber auch viele Nachteile, sagt Lohner. Da wären die Kosten für Reifen- oder Ölwechsel, Reparaturen und Benzin. Oder die Familie: Als seine Kinder klein waren, seien sie oft bereits im Bett gewesen, als er heimkam, berichtet er. In der Summe habe er in den vergangenen 20 Jahren auch weniger Zeit mit seiner Familie verbringen können. Heute sind seine Kinder erwachsen und seine Tochter sitzt oft mit im Auto: Sie pendelt ebenfalls nach Schaffhausen.

War der Umzug je eine Option?

Dass er zumindest während der Woche in der Schweiz wohnt, ist für ihn nie eine Option gewesen. Der 61-Jährige ist in Überlingen geboren, hat hier Familie, seinen Freundeskreis und spielt seit Jahren in der Stadtkapelle. Auch vom Bodensee wollte er nicht weg: „Wir leben hier schon toll“, sagt er. „Im Sommer im Strandbad liegen oder Motorrad fahren und im Winter in die Alpen zum Ski fahren.“

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Die Pendelei ist für Thomas Lohner seit etwa drei Jahren weniger geworden. Seit der Corona-Pandemie arbeitet er zwei Tage in der Woche im Homeoffice – eine Erleichterung für ihn. „Jetzt habe ich viel mehr Zeit für Familie und Privatleben“, sagt er.

Aber würde er das Pendeln über so lange Zeit und diese Distanz empfehlen? „Ja“, sagt er, „der Job muss passen, dann macht es einem weniger aus.“ Und was das viele Auto fahren angeht: „Da gewöhnt man sich dran“, sagt er.

Pendler in der Bodensee-Region

Grenzgänger: Täglich überqueren in der Bodenseeregion fast 59.000 Menschen die Grenze, um an ihren Arbeitsplatz im anderen Land zu gelangen. Wo pendeln die meisten hin? Das zeigt diese Analyse der Statistikplattform Bodensee. So ziehen die Schweizer Kantone der Bodenseeregion rund 21.700 Grenzgänger aus Deutschland an, umgekehrt kommen nur rund 500 Personen aus der Schweiz in die deutsche Bodensee-Teilregion zum Arbeiten. Aus Österreich pendeln etwa 7400 Personen in die Schweizer Kantone am Bodensee, während andererseits praktisch keine Arbeitspendelnde aus der Schweiz nach Vorarlberg gehen.

Statistikplattform Bodensee: Hedwig Prey von der Fachstelle für Statistik des Kantons St. Gallen, die die Statistikplattform Bodensee betreut, sagt, in der internationalen Bodenseeregion gebe es seit jeher eine ausgeprägte grenzüberschreitende Arbeitsmobilität. Es gebe keine sprachlichen Barrieren und aufgrund der EU-Personenfreizügigkeit beziehungsweise der bilateralen Verträge auch keine wesentlichen Einschränkungen für Erwerbstätige, in einem der anderen Anrainerstaaten des Bodensees zu arbeiten.

Hier wird gezählt: Das Untersuchungsgebiet des Berichts umfasst die deutschen Landkreise Konstanz, Sigmaringen, Bodenseekreis, Ravensburg, Lindau, Oberallgäu und die kreisfreie Stadt Kempten, die Schweizer Kantone Zürich, Schaffhausen, Appenzell Innerrhoden, Appenzell Ausserrhoden, St. Gallen und Thurgau sowie das Fürstentum Liechtenstein und das österreichische Bundesland Vorarlberg.