Wenn es um die Schwierigkeiten geht, die die Pandemie mit sich bringt, wird oft über Schulen, Kitas, Pflegeeinrichtungen oder Krankenhäuser gesprochen. „Und das ist auch gut so“, sagt Roland Berner, Leiter der Linzgau Kinder- und Jugendhilfe. Allerdings komme die Erziehungshilfe seiner Meinung nach manchmal etwas zu kurz: „Wir in der Kinder- und Jugendhilfe halten den Laden immerhin auch 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche am Laufen – trotz der Pandemie.“
Selbst wenn sich das Coronavirus in die Einrichtung einschleiche, müsse der Betrieb irgendwie weitergehen. „Vor etwa zwei Wochen mussten wir eine Gruppe Kinder in Quarantäne schicken“, erklärt Bettina Haidlauf, Leiterin der Fachdienste der Linzgau Kinder- und Jugendhilfe. Erst seien Tests einzelner Kinder positiv gewesen, wenig später habe die gesamte Gruppe Corona gehabt.
Die Betroffenen seien daraufhin isoliert worden. Aber: „Innerhalb ihrer Gruppe durften die Kinder, da sie so oder so schon alle an Corona erkrankt waren, weiterhin Kontakt zueinander haben“, sagt Haidlauf. Von Vorteil sei außerdem gewesen, dass das Haus, in dem sich die Gruppe aufhielt, eine Terrasse habe. „Da konnten sie dann auch mal raus an die frische Luft.“

Komplizierter sei es gewesen, wenn einzelne Kinder aus unterschiedlichen Gruppen positiv getestet wurden. Damit alle anderen ihren Alltag so gut es geht weiterleben konnten, habe es für solche Fälle die sogenannte Zimmerquarantäne gegeben. „Die Herausforderung bei dieser Maßnahme war, die separierten Kinder rund um die Uhr zu betreuen und zu beschäftigen“, weiß die Leiterin der Fachdienste.
Betreuer gehen trotz Corona mit den Kindern an die frische Luft
Wo es möglich war, seien die Betreuer mit den Kindern aus der Zimmerquarantäne trotzdem das ein oder andere Mal nach Draußen an die frische Luft gegangen. Haidlauf erklärt: „Immer mit reichlich Abstand und ohne jemandem über den Weg zu laufen. Kinder müssen einfach auch mal raus. Wir können sie ja nicht einfach zehn Tage lang in ihrem Zimmer einsperren.“

Wie die Quarantänezeit genau verbracht wurde, sei von Fall zu Fall unterschiedlich gewesen, erklärt der Leiter der Linzgau Kinder- und Jugendhilfe. „Das Landesjugendamt hat zwar Eckpunkte zur Zimmerquarantäne aufgestellt, aber alles war darin nicht geregelt.“ Essen und Trinken habe es für Betroffene jedenfalls immer auf dem Zimmer gegeben. Um die restliche Zeit so gut wie möglich zu nutzen, entwickelten die Kinder gemeinsam mit ihren Betreuern Ideen. Beliebt sei basteln, puzzeln und sogar stricken gewesen.
„Ich will wieder zurück in die Zimmerquarantäne“
Den Extra-Service, den die Kinder und Jugendlichen während der Zimmerquarantäne genießen durften, hätte sich der ein oder andere noch ein wenig länger gewünscht. Medhani, sieben Jahre alt, soll zu seiner Betreuerin gesagt haben: „Ich will wieder zurück in die Zimmerquarantäne, weil das war toll. Du hast mir alles gebracht, alles für mich gemacht.“ Sozusagen eine Art All-inclusive-Urlaub.
Und noch etwas habe den Kindern besonders gut gefallen. „Sie haben im Sommer 2021 irgendwann mitbekommen, dass die Mitarbeiter unserer Einrichtung eine Corona-Prämie bekommen haben. Daraufhin haben sie uns gefragt, wo denn ihre Prämie bleibe, denn auch sie hätten unter den Auswirkungen mehr zu beachten gehabt und hätten stets gut mitgemacht“, lacht Berner.

Er sei sofort überzeugt von den Argumenten der Kinder gewesen, sodass tatsächlich wenig später jede Gruppe einen gewissen Geldbetrag bekommen habe. „Mit dem durften sie dann in ihrer jeweiligen Gruppe etwas zusammen machen. Die einen waren klettern, die anderen sind Essen gegangen und so weiter.“ Diese Aktion sei nach eineinhalb Jahren Pandemie für alle eine große Freude gewesen.
Besonders schwer waren Zeiten ohne Besuch von den Eltern
Doch nicht jede Situation war so erfreulich. In Zeiten mit hohen Infektionszahlen sei die Erziehungshilfe in Überlingen-Deisendorf phasenweise verpflichtet gewesen, Besuche von den Eltern, Verwandten oder Bekannten abzusagen. „Darunter litten die jungen Menschen natürlich. So gut das ging, haben wir deswegen immer versucht, die Kinder zu beurlauben und zu ihren Eltern zu lassen. Bevor wir sie gehen lassen haben, haben wir sie vor Ort immer nochmal getestet“, erklärt Haidlauf.
Im Frühjahr 2020 habe es trotz der Bemühungen teilweise sogenannte Beendigungen gegeben. Eltern hätten ihre Kinder aus Angst, sie nicht mehr wieder zu sehen, zurück zu sich nach Hause geholt. „Das ist nicht immer gut, denn die Kinder und Jugendlichen sind ja nicht ohne Grund bei uns. Die meisten Angelegenheiten konnten wir aber in Gesprächen klären und für alle Beteiligten eine Lösung finden.“
Folgen der Pandemie für junge Menschen kaum abschätzbar
Welche Auswirkungen dieses Hin und Her für Kinder und Jugendliche habe, werde sich erst in Zukunft zeigen. „Durch psychosoziale Folgen kommt da noch was auf unsere Einrichtung zu. Kinder und Jugendliche sind zu Beginn der Pandemie zu lange nicht im Fokus der Politik gewesen“, sind sich Berner und Haidlauf einig. Die Leiterin der Fachdienste meint abschließend: „Insbesondere Themen wie Schulverweigerung und Defizite im schulischen Bereich als Folge von Corona werden uns noch lange nach der Pandemie beschäftigen.“
Die Linzgau Kinder- und Jugendhilfe in Deisendorf
Im Überlinger Ortsteil Deisendorf befindet sich der Stammsitz der Linzgau Kinder- und Jugendhilfe. 1975 als Kinder- und Jugendheim Linzgau e.V. gegründet, nannte sich der Verein im Jahr 2017 um. Er ist als freier Träger der Jugendhilfe anerkannt und gemeinnützig tätig. Junge Menschen und ihre Familien stehen im Mittelpunkt. Zur Einrichtung gehören mehrere dezentrale Wohngruppen im gesamten Bodenseekreis und in der Stadt Konstanz mit insgesamt 139 stationären Plätzen, 47 davon im betreuten Jugendwohnen.