Am Montag nach Corona – da hätte ich gerne meinen nächsten Termin: So lautete die Verabredung mit meiner Friseurin am Überlinger Burgberg, als der erste Lockdown über sie hereinbrach und körpernahe Dienstleistungen fürs Erste gestrichen waren. Das ist jetzt zwei Jahre her. Nun ist Corona scheinbar vorbei – und meine neue Woche beginnt am Wühltisch beim Aldi in Überlingen. Seit dem 3. April gelten diese Corona-Regeln in Baden-Württemberg.
Christa Ellinger aus Owingen sucht nach einem Baustrahler. Die Gänge im Discounter sind nicht besonders breit, und wer sich hier mit Einkaufswagen durchschiebt, kann kaum Abstand zu den anderen Kunden halten.

Maske abnehmen, was in dieser Woche wieder erlaubt wäre? Mitnichten. Christa Ellinger lässt ihre Maske auf. Ja, klar, sie habe sich so daran gewöhnt. „Das geht ganz automatisch.“ Schon aus Respekt ihr gegenüber, der ich nebenan am Wühltisch stehe, lasse ich meine Maske auf der Nase. Es hätte sich komisch angefühlt, sie abzunehmen.
Zwei Verkäuferinnen, die eine zieht einen Hubwagen mit Palette, die andere räumt Regale ein, die eine mit, die andere ohne Maske. Nein, für ein Pressefoto dürfen die Mitarbeiterinnen des Konzerns nicht posieren. Aber sie bestätigen, dass es ihnen freigestellt sei, ob sie mit oder ohne Maske in den Laden gehen.
Für ein kurzes Lächeln und mit der Begründung, dass ich gerade einen Selbstversuch unternehme, ziehe ich die Maske vom Gesicht. Es ist – beim Einkauf – das erste Mal seit fast zwei Jahren.
Von einem Gefühlsausbruch kann nicht die Rede sein
Ob sich das besonders befreiend anfühlt? Naja. Ich lächle – und setze die Maske wieder auf. Von einem Gefühlsausbruch, ähnlich wie nach einem tiefen Atemzug im kühlen Wald, kann nicht die Rede sein. Das Entscheidende sind die anderen Kunden. Tragen auch sie keine Maske, ist es okay, sie selbst abzunehmen.
So wie im Bioladen Naturata, wo mich mein nächster Einkauf hinführt, um leckere Linsen-Kürbis-Suppe zu ergattern. Die Maske? Sie baumelt jetzt am Handgelenk. Mal schauen, wie die anderen so unterwegs sind. An der Eingangstüre hängt kein Schild mehr, das auf die Maskenpflicht aufmerksam machen würde. Und siehe da, die Kundschaft zeigt Gesicht. Meine Maske bleibt weg – und es fühlt sich okay an. Solange niemand hustet.
Rückblick: Ende April 2020. Die Pandemie damals noch komplett frisch, das Virus als ein abstraktes Bedrohungsszenario vorhanden, kam ich mir reichlich dämlich vor, mit einer Maske durch den Supermarkt zu laufen. Das Besondere damals war, dass ich die Maske für einen Selbstversuch getragen hatte, als sie noch gar nicht vorgeschrieben war. Ich war also so exotisch wie die selbstgenähten Masken damals bunt und aus Baumwollstoff gewesen sind.

Zurück ins Café Naturata. Saskia Stammler bedient. Sie bringt einen Cappuccino an den Tisch, und sie macht das mit einem so gewinnenden Lächeln, dass der Kaffee gleich noch besser schmeckt. Was ist sie froh, dass sie im Service fortan keine Maske tragen muss. Einmal sei sie dehydriert, berichtet Saskia Stammler, weil sie vor lauter Maske vergessen habe, genügend Flüssigkeit zu sich zu nehmen.
Konflikt unter Kunden ist vorhersehbar
Besuch im Obsthof Klotz in Überlingen, wo vor zwei Jahren mein Selbstversuch mit Maske einen guten Anfang nahm. Erika Klotz trug als Pionierin damals bereits Maske, als es noch gar nicht Vorschrift war. Aus Selbstschutz, aber auch aus Respekt jenen Kunden gegenüber, die auch künftig in ihrem kleinen Laden Maske tragen, werde sie sie aufbehalten. Ob sie das Schild an der Türe abnimmt? „Ich bin mir noch ganz unschlüssig“, sagt sie. Denn es gebe Kunden, die ihr schon signalisierten, künftig nicht mehr zu kommen, wenn im Laden andere ohne Maske sind. Sie fürchte, sagt Erika Klotz, dass nach dem Wegfall der Maskenpflicht der Konflikt im Laden ausgetragen werden muss. Klare Vorgaben wie bisher haben das vermieden.

Im Sportgeschäft von Markus Krämer in Salem gibt es so viel Platz, dass man sich schon fragen würde, was eine Maske da noch bringen soll. Ja, okay, beim Anprobieren von neuen Skistiefeln, die einem der Verkäufer zeigt, wird sie wohl auch künftig eine Rolle spielen. „Die Kunden sind es eh gewohnt“, sagt Markus Krämer, der in diesem Moment keine Maske trägt, und er macht eine Geste, die vor zwei Jahren niemand verstanden hätte: Er führt Zeigefinger und Daumen seiner beiden Hände spitz vor die Nase, spreizt die Finger und führt sie hinter den Ohren an den Kopf.
Maske tragen! Für Krämer stellte die Maskenpflicht im Handel keine Hürde mehr dar. Überhaupt, sagt er, sei er gut durch Pandemie gekommen. Jedes Mal nach dem Lockdown sei der Umsatz wieder stark gestiegen. Dieser Winter sei sogar „sensationell“ gut gewesen. Dazu trugen für ihn das gute Skifahrwetter bei, außerdem die nicht vorhandenen Skibasare, die coronabedingt abgesagt worden sind.
Und da ist es: Das Gefühl, der Einzige ohne zu sein
Beim Bäcker Baader in Stefansfeld noch schnell ein süßes Stückchen holen: Jetzt habe ich die Maske dann tatsächlich im Auto vergessen, sie baumelt am Rückspiegel. Doch das Geschäft ist voller Kunden, sowohl das Personal, als auch die Leute in der Schlange, tragen Maske, und zwar ausnahmslos. Ich: der Exot.

Neben mir an der Theke steht Hannelore Türksch. Ich entschuldige mich, sage, dass es mir unangenehm sei, so ohne Maske. Das sei ja kein Problem, weil sie für sich die Maske trägt. Beim Fotografieren sagt sie: „Ich lächle, aber das sehen Sie gar nicht.“ Ihre Augen schauen verschmitzt.
Und was ist mit meinem Friseurtermin? Ich rufe bei Sabine Weber im Salon am Burgberg an. Seit diesem Montag darf sie ihre Kunden erstmals wieder ohne Maske bedienen. Sie trägt weiterhin Maske, aus Selbstschutz, wie sie sagt. Ihre Kunden seien aber froh, wenn das Gefummel mit dem Bändel aufhört. Corona scheint nun zwar vorbei zu sein, einen Friseurtermin benötige ich dennoch nicht. Nicht mehr – das liegt aber nicht an der Pandemie.