Das Münster in Überlingen besitzt etwas, das manch andere große Kirche nicht hat: Zwei Orgeln stehen in dem gotischen Gotteshaus – eine große auf der Empore, eine kleine im nördlichen Seitenschiff. Letztere stammt aus der Zeit Mozarts – ein spätbarockes Juwel, gebaut um 1761. In den vergangenen Monaten wurde sie aufwändig restauriert, um das Juwel für die kommenden Jahrzehnte zu rüsten. Im Sommer soll die Marienorgel wieder voll spielbar sein, hofft Melanie Jäger-Waldau, Organistin und leitende Musikerin am Münster. Für den Orgelsommer (ab 28. Juli), so hofft sie, steht das feine Werk für die Interpreten bereit, die auf beiden Instrumenten spielen.
Vieles musste neu gemacht werden
Momentan sieht es nicht danach aus. Orgelbauer Hermann Weber aus Leutkirch im Allgäu hat die Pfeifen ausgebaut, ebenso die Registerzüge. Die zahlreichen Besucher sehen scheinbar nur einen leeren Kasten, dessen inneren Organe entnommen wurde. Doch täuscht der Eindruck, wie Orgelinspektor Georg Koch erklärt. Der Singener ist Kollege von Jäger-Waldau und begleitet die komplexe Sanierung als Gutachter seit der ersten Stunde. Tatsächlich hat Weber bereits wichtige Teile der alten Orgel ausgebaut und ersetzt. Das Pedal ist neu, ebenso das hochwertige Manual sowie der rückwärtige Kasten, in dem die Basspfeifen stehen. „Vieles musste neu gemacht werden“, erläutert Koch. Die ersetzten Teile wirken wie alt, Form und Maß entsprechen den historischen Vorgaben.
Die Sanierung der 260 Jahre alten Orgel erwies sich als Büchse der Pandora. Dachten Kantorin und Pfarrgemeinde anfangs noch an eine schlichte Reinigung und Instandhaltung, so wurde der Aufwand mit jeder Klappe höher, die man anhob und dabei neue Schäden entdeckte. Die Ursache dafür liegt nicht in der Substanz des 18. Jahrhunderts, die sei in Ordnung, berichtet Koch. Zu schaffen machen dagegen die gut gemeinten Reparaturen der Neuzeit, also der 1970er Jahre. „Die Restaurierung damals ist verunglückt“, sagt der Sachverständige Koch. Zum Beispiel wurden alte Registerzüge aus Holz ausgebaut und durch Duplikate aus Plastik ersetzt. Oder es wurden Holzplatten als Verbundmaterial benutzt, was für ein historisches Instrument eine handwerkliche Sünde darstelle. „Man wusste es damals nicht besser“, sagt Koch. In den letzten Jahren habe sich der Erfahrungsschatz um die historischen Instrumente deutlich erweitert.
Überlingen als musikalisches Zentrum
Melanie Jäger-Waldau blickt nach vorne. Die Kirchenmusikdirektorin lobt die feinen Register der kleinen Orgel, die bald wieder spielbar sein wird. Sie und ihre Kollegen spielen regelmäßig auf dem Instrument mit den zierlichen Tasten und dem Kurzpedal, was den Interpreten zur Flexibilität zwingt. Für kleine Gottesdienste und Taufen setzt sie sich regelmäßig an die Marienorgel. Als Spielerin ist sie dann näher an der Liturgie als von der Empore aus.

Überlingen war bereits im späten Mittelalter ein musikalisches Zentrum, vergleichbar nur der Aktivität an der Bischofskirche in Konstanz. Zwei Orgeln bedeuteten nicht nur Luxus; sie erleichterten vor allem die musikalische Praxis der vielen Musiker, die hier tätig waren. Bis heute sind an der Südwand zwei Nischen erkennbar, über die eine längst verschwundene Schwalbennest-Orgel mit Luft versorgt wurde. Die Vertiefungen in der Mauer beweisen, wie früh sich die alte Reichstadt ein Pfeifeninstrument leisten konnte, wo andere Kirchen noch unbegleitet singen mussten.
Das Ende ist in Sicht
Hermann Weber, der die Pfeifen der Orgel ausgebaut hat, gilt als exzellenter Handwerker. Georg Koch zeigt beim Ortstermin die Elemente, die dieser Orgelbauer gefertigt hat. Den Blasebalg zum Beispiel. Oder die Windlade – immerhin der Kern jeder Orgel. Sie wurde von Weber komplett entkernt und neu aufgebaut. Die Herausforderung dabei: Für jede Orgel muss er eine maßgeschneiderte Lösung austüfteln. Jedes Instrument ist ein Einzelstück, es gibt keine Serie und damit kein Ersatzteillager, aus dem sich die Werkstatt bedienen kann. Inzwischen sehen Handwerker und Musiker Licht. Nach dem ersten Schrecken ist die Generalsanierung auf der Zielgeraden.
Auf einen Moment freut sich die Münsterkantorin bereits jetzt: Wenn sie zum ersten Mal das Register „Subbass“ ziehen wird. Die Register sind Reihen von Pfeifen mit gleicher Klangfarbe. „Dieser Bass bringt die Bänke in Schwingung“, erläutert Jäger-Waldau begeistert. Das schaffe nur dieses Register auf diesem kleinen Instrument. Worauf sie sich jedes Mal freut.