So intensiv wurde die Flotte der Überlinger Segelschule Raschewski vermutlich schon lange nicht mehr gesegelt. Bei bis zu fünf Windstärken und mit insgesamt 65 Seglerinnen waren alle sieben Variantas an Christi Himmelfahrt unterwegs. Am verlängerten Wochenende trifft sich in Überlingen vier Tage lang der Verein „Die Seglerinnen“. In ihm sind ausschließlich Frauen Mitglied. Sie feiern das 40-jährige Bestehen – mit Stadtführung, Mainau-Besuch, Weinwanderung, Party im Segelclub SGÜ. Und natürlich Segeln.
„Fast die Hälfte unseres Vereins ist hier“, freut sich Margaretha Bucher-Schneider aus Überlingen, die die auf 31 Mitglieder stark gewachsene Regionalgruppe Bodensee leitet. „Das ist schon sensationell.“
Mit Frauen zu segeln sei viel harmonischer
Insgesamt zählen „Die Seglerinnen“ derzeit 150 Mitglieder, von Köln über Hamburg oder Berlin bis Zürich, Tendenz steigend. Und warum wird man hier Mitglied? „Mein Mann segelt leider nicht“, sagt Margaretha Bucher-Schneider. Da habe sie sich aktiv nach Mitseglerinnen umgeschaut. Denn gemeinsam mit Frauen zu segeln sei ohnehin viel harmonischer.

Wer mit Männern segelt, kann von Geschlechterklischees erzählen
Über die Törns mit Männern kann wirklich jede der Teilnehmerinnen etwas erzählen. Da sei man dann „eher für die Kombüse zuständig“, sagt eine, oder „höchstens mal für die Fock“. Eine andere zitiert Sprüche wie „jetzt könnte ich mal ‚nen Kaffee vertragen“ oder „hast du keinen Kuchen gebacken“.
Neulich habe sie mit einer Frauencrew in Romanshorn angelegt, berichtet eine Teilnehmerin. Da habe aus der Nachbarkajüte gleich „ein alter Seebär rausgeschaut und gefragt, wo denn unser Skipper ist“.
Eine andere Frauencrew war auf der Schlei unterwegs, hatte bei sattem Wind ein Männerboot überholt. „Am Abend kam dann einer von denen bei uns vorbei geschlichen, um unsere Leinen zu kontrollieren.“ Und wenn „wir lauter erfahrene Seglerinnen sind und es kommt ein Mann an Bord, der eigentlich keine Ahnung hat, dann traut man ihm das Kommando zu“. Die einhellige Meinung dazu: „Das nervt.“
Frauen wählen einen „Skipper of the Day“
Aber irgendwer muss ja auch auf einem Frauenboot das Kommando haben. „Natürlich“, sagt Edith Speck. Doch das löse man demokratisch, indem abwechselnd ein „Skipper of the Day“ gewählt werde. An diesem Tag fiel die Wahl auf sie selbst. Die in Überlingen aufgewachsene und heute in Stahringen lebende 75-Jährige hatte erst mit 60 den Segelschein gemacht. Zum Verein sei sie durch Zufall gestoßen, als sie einmal einem Mitglied im Mantelhafen geholfen habe.
Mitglied kann man auch ohne Segelschein werden
Boot oder Segelschein braucht man übrigens nicht, um Mitglied zu werden. Auch segelunerfahrene Mitglieder seien willkommen, wirbt Bucher-Schneider. Einmal im Jahr gebe es für interessierte Frauen dazu das „Neuensegeln“. Wobei aber die meisten den Sportbootführerschein besitzen, viele auch den Seeküstenschifferschein.
Ingenieurinnen reparieren Motoren und andere Technik
Und so manche Seglerin hat auch ein eigenes Boot. So wie die Überlingerin Andrea Riedmann, Mitarbeiterin der Stadtgärtnerei. Ihre Varianta 65 liegt im Osthafen. „Natürlich darf mein Mann auch mitsegeln“, sagt sie. Doch das Boot gehöre ihr allein und sie kümmere sich auch allein darum. Auch Ingenieurinnen zähle der Verein, die „Motoren und auch sonst alles reparieren können“.
Am Anfang feministische und politische Komponente
Mit an Bord ist an diesem Wochenende auch Mitgründerin Anni Hausladen. Bei einer Mitfahrgelegenheit habe sie 1980 eine andere Seglerin kennengelernt, erzählt die heute 74-Jährige. Schnell seien weitere hinzugekommen, 1983 der Verein entstanden. Der hieß ursprünglich übrigens Feministische Seglerinnen e.V. Denn damals hatte das Frauensegeln durchaus eine politische Komponente.

„Wir waren schon beim Christopher Street Day dabei und bei den Gay Games“, so Anni Hausladen. „Weil wir nur Frauen waren“, habe das Düsseldorfer Finanzamt anfangs nicht einmal die Gemeinnützigkeit anerkennen wollen, erinnert sie sich. „Dabei waren in jedem Karnevalsverein nur Männer.“
Mitglieder zwischen 30 und 88 Jahre alt
Als später eine jüngere Generation das Ruder übernahm – die Mitglieder sind heute zwischen 30 und 88 Jahre alt –, wurde der feministische Namenszusatz gestrichen. „Die 1980er Jahre waren einfach eine andere Zeit.“ Wobei das Thema sich noch lange nicht erledigt habe, wie Michaela Fahner findet. Sie hat mit ihrem Mann eine Segelyacht in Griechenland liegen. Doch wenn sie dann das Anlegemanöver fahre und er die Leinen bediene, „spüre ich immer wieder die Blicke ringsum“. Als Frau stehe man einfach mehr unter Beobachtung. Und so mag es noch eine Weile dauern, bis es ganz selbstverständlich wird, dass Frauen das Kommando haben – so wie an diesem Wochenende.