Welchen Wert hat die Altstadtsatzung? Diese Frage stellen mehrere Bewohner der Fischerhäuser Vorstadt. Erst im April diesen Jahres trat eine aktualisierte Fassung des Regelwerks in Kraft, das laut Präambel sicherstellen soll, "dass sich bauliche Maßnahmen jeglicher Art in den historischen Baubestand" einfügen. Doch nun, gerade einmal ein halbes Jahr später, wird die Wirkkraft des Dokuments wieder in Frage gestellt. Anwohner der Gartenstraße wehren sich gegen den geplanten Bau zweier, ihrer Meinung nach viel zu überdimensionierten, Wohngebäude.

Beantragt sind laut Auskunft der Stadtverwaltung zwei Häuser mit drei und sechs Wohneinheiten und gemeinsamer Tiefgarage. Für die Neubauten ist der Abbruch eines Wohngebäudes mit Nebenanlagen notwendig. "Städtebaulich treten die Gebäude von Süden her dreigeschossig in Erscheinung", schreibt die Stadtverwaltung zu den Ausmaßen der geplanten Bauwerke.

Der Entwurf der Interessensgemeinschaft zeigt, wie sich die Blickbeziehungen in der Fischerhäuser Vorstadt verändern könnten.
Der Entwurf der Interessensgemeinschaft zeigt, wie sich die Blickbeziehungen in der Fischerhäuser Vorstadt verändern könnten. | Bild: Ellen Knopp

Dreigeschossig? Widerspricht das nicht der Altstadtsatzung? Dort heißt es gleich in der Präambel: „In den hintergelegenen Bereichen z.B. des Dorfes und der Fischerhäuservorstadt werden diese durch ein- und zweigeschossige Wohn- und Wirtschaftsgebäude ergänzt.“ Auf SÜDKURIER-Nachfrage heißt es von der Stadtverwaltung: "Die zitierte Stelle aus der Präambel beschreibt den Gebietscharakter dieses Quartiers und nicht die planungsrechtlichen Zulässigkeitsvoraussetzungen." Und weiter: "Bauvorhaben im unbeplanten Innenbereich werden städtebaulich nach Paragraf 34 Baugesetzbuch beurteilt, gestalterisch beschreibt hierzu Paragraf 4 der Altstadtsatzung die Grundsätze für die Errichtung von Neubauten."

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Schauen wir also den genannten Paragrafen 4 an. Dort heißt es: "Neubauten sind so zu gestalten, dass sie sich in die umgebende Bausubstanz und den Quartierscharakter harmonisch einfügen." Doch genau das sei nicht der Fall, kritisiert die Nachbarschaft. "Die geplante Kubatur hat eine erdrückende Wirkung auf die Nachbargebäude", heißt es in dem Brief von Anwohner Eric Hueber an Oberbürgermeister Jan Zeitler, Baubürgermeister Längin und die Gemeinderäte. Unterschrieben ist der Brief von 17 weiteren Nachbarn. Ihr Vorwurf: Die Bauten beeinträchtigten das Ortsbild massiv. Während die direkt benachbarten Gebäude eine Höhe von 8,5 und 9,5 Meter hätten, läge die geplante Höhe für die beiden Neubauten bei 15 und 16 Metern.

Ehemaliges Gefängnis dient als Maßstab

Die Stadt erklärt dies mit Paragraf 34 Baugesetzbuch. Dieser kommt zum Tragen, wenn es keinen gültigen Bebauungsplan gibt und gibt vor, dass sich Neubauten in die nähere Umgebung einfügen. Zu eben dieser näheren Umgebung zählt auch das ehemalige Amtsgefängnis, das mittlerweile auch als Wohnhaus genutzt wird und eine Höhe von 17 Metern aufweist. Dieses Gebäude dient nun als Referenz. Für Architekt und Anwohner Thomas Pross ist das nicht nachvollziehbar. "Wenn man historische Solitärbauten als Anhaltspunkt nimmt, dann wäre ja das Münster Maßstab für alle anderen Gebäude in der Altstadt. Das funktioniert nicht."

Das ehemalige Amtsgefägnis, das heute ebenfalls als Wohnhaus genutzt wird, soll als Bezugshöhe für die Neubauten dienen.
Das ehemalige Amtsgefägnis, das heute ebenfalls als Wohnhaus genutzt wird, soll als Bezugshöhe für die Neubauten dienen. | Bild: Deck, Martin

Die Anwohner befürchten, dass mit der Argumentation der Stadt Investoren Tür und Tor geöffnet werden. Das Gebiet befinde sich wegen vieler Generationenwechsel im Umbruch und es seien in den nächsten Jahren mehrere bauliche Veränderungen absehbar, sagt Eric Hueber. Die Wahrscheinlichkeit sei hoch, dass dann auch die anderen Gebäude in die Höhe wachsen und der ursprüngliche Charakter der Fischerhäuser Vorstadt zerstört werde.

Anwohner fordern Bebauungsplan

Um dies zu verhindern, fordern die Anwohner die Aufstellung eines Bebauungsplans, der die Ausmaße von Neubauten klar eindämmt. "Wir wollen auch, dass sich hier etwas entwickelt – aber maßvoll", sagt Hueber. Auch ein hinzugerufener Gestaltungsbeirat (siehe Kasten) habe „im Interesse der Stadt, des Allgemeinwohls und des Eigentümers die Aufstellung eines Bebauungsplanes" empfohlen, teilt die Stadt mit. “Zielsetzung des Bebauungsplans sollten kleinere Baukörper mit zwei Vollgeschossen und steilem Satteldach sein. Die Hangkante und der Böschungsfuß sollten unbebaut bleiben.“

Dennoch wird es vorerst keinen Bebauungsplan für dieses Gebiet geben. Nach zwei zuvor abgelehnten Entwürfen berücksichtige die nun überarbeitete Planung die Interessen des Bauherren, der Öffentlichkeit und der Stadt. Deshalb "war aus städtebaulicher Sicht die Aufstellung eines Bebauungsplanes nicht mehr zwingend erforderlich", teilt die Verwaltung mit.

Bis Ende des Monats können die Nachbarn noch Einwendungen gegen das Bauvorhaben vorbringen.