In Deutschland gilt das medienrechtliche Prinzip der Staatsferne: Der Staat darf nicht gleichzeitig Presse sein. Andernfalls würde die in der Verfassung verankerte öffentliche Kontrolle durch Medien ausgehöhlt.
Im Überlinger Gemeinderat zeigte sich bei der Debatte ums Amtsblatt „Hallo Ü“ in exemplarischer Weise, wohin es führt, wenn Staat gleich Medien macht: Der Gemeinderat als Organ der Legislative erteilt auf Antrag der Stadtverwaltung (Exekutive) einem einzelnen kritischen Gemeinderat ein Schreibverbot und schränkt damit die Meinungsvielfalt ein.
Freilich begrenzt nur aufs Amtsblatt; über welche unabhängigen Publikationen Biniossek künftig seine Meinung platziert oder zumindest anbietet, bleibt ihm natürlich unbenommen. Dennoch beschreibt der Gemeinderat damit ein Verständnis von Gewaltenteilung, wie es die Väter des nunmehr 70 Jahre alten Grundgesetzes sicherlich nicht gemeint haben.
Biniossek wird in dem neuen Redaktionsstatut namentlich nicht benannt, aber jedem am Ratstisch war klar, dass ihm und seinen Beiträgen die Offerte galt. Politisch könnte der Schuss nach hinten losgehen. Jedenfalls war es mutig vom Gesamtgremium, diesen Schuss zehn Tage vor der Gemeinderatswahl gegen einen Einzelnen abzufeuern. Denn am 26. Mai befinden die Wähler – und nicht ihre Vertreter im Rat – darüber, wie viel kritische Meinung ihnen im Gemeinderat lieb ist.
Biniossek kandidiert wieder, diesmal nicht für die Linke, sondern für BÜB+, die erklärtermaßen das fortsetzen möchte, was Biniossek in seiner Amtszeit konsequent einforderte: Mehr Transparenz bei politischen Entscheidungen, und weniger Hinterzimmerdebatten.
Wenn die BÜB+ im nächsten Gemeinderat den Fraktionsstatus erlangen sollte, wäre sie vom neuen Redaktionsstatuts nicht betroffen und dürfte wie jede andere Fraktion im Staats-Medium Hallo Ü weiterhin veröffentlichen. Ob es dazu kommt, liegt in der Hand der Wähler. Mit dem Ausschluss Biniosseks jedenfalls lieferte die Mehrheit des Gemeinderats ihrem Kollegen kurz vor dem Wahlsonntag noch einmal eine Steilvorlage.