Als der Film zu Ende ist und die Leinwand schwarz wird, herrscht Totenstille. Die Neuntklässler des Gymnasiums Überlingen brauchen einen Moment, um wieder in die Gegenwart zu finden und zu verarbeiten, was sie im Dokumentarfilm "Wiedersehen mit Brundibar", dessen Kernthema der Holocaust ist, gesehen haben. Doch dann fassen sie sich, applaudieren, jubeln sogar. Ihr Applaus gilt Regisseur Douglas Wolfsperger, der gekommen ist, um mit den Schülern über den Film zu sprechen.
Der Film begleitet die "Zwiefachen" – eine Jugendtheatergruppe an der Berliner Schaubühne – bei ihrer Arbeit an dem Libretto zur Kinderoper "Brundibár". Die beiden Hauptdarstellerinnen sind Annika Westphal und Ikra-Fatma Latif. Sie spielen aber nicht nur die Rollen in der Oper, sondern reflektieren in Wolfspergers Dokumentarfilm auch den Holocaust – als junge Menschen, die sie sind, in der Hauptstadt eines Deutschlands, in dem Nationalsozialismus immer mehr wieder Thema wird. Auch treffen sie auf Greta Klingsberg, eine Überlebende des Holocaust. Klingsberg hat einst selbst in "Brundibár" mitgespielt. Die Kinderoper stammt von Hans Krása, einem Prager Juden, der nach Theresienstadt deportiert wurde, wo das Stück 55 Mal aufgeführt wurde und wo auch Greta Klingsberg interniert war. Teile dieses Librettos sind auch in dem von den Nazis produzierten Propagandafilm "Theresienstadt" zu sehen, der das angeblich gute Leben im Konzentrationslager Theresienstadt zeigt. Die jungen Berliner Theaterleute fuhren gemeinsam mit Greta Klingsberg nach Theresienstadt – auch das hat Regisseur Wolfsperger festgehalten.
Im Film erzählt Greta den sichtlich betroffenen Mitgliedern der Theatergruppe, wie es damals war. Erinnerungskultur sei ein großes Thema, man könne die Leute nicht zum Trauern zwingen. Und Zeitzeugen würden langsam rar. "Bald ist die Oper auch für mich aus, ihr müsst jetzt fragen", sagt Greta im Film.
Auch die Überlinger Schüler haben Fragen – an Greta Klingsberg, doch die kann der Vorstellung wegen ihres hohen Alters nicht beiwohnen. Doch der Regisseur stellt sich den Fragen: Gleich melden sich einige Schüler zu Wort. Wie es denn zu dem Film gekommen sei, fragt einer. "Die Idee zum Film ist hier in Überlingen entstanden. Ich komme aus der Region. Als ich in der Cinegreth einen meiner Filme vorstellte, sprach mich die Überlinger Lehrerin Heike Kienle an. Sie hatte mit ihrer Klasse das Stück 2005 aufgeführt", erzählt Wolfsperger. "Das Interesse war sofort da, da ich aber sehr viele Projekte hatte, rückte die Idee in den Hintergrund." Er fährt fort: "Als aber die NSU-Morde geschahen und die Thematik des Faschismus wieder aufkam, begann ich mich wieder mit der Idee zu befassen."
Wolfsperger berichtet, dass er die "Zwiefachen" ansprach und mit Annika Westphal und Ikra-Fatma Latif zwei junge Menschen fand, die für die Hauptrollen perfekt waren. Die Dreharbeiten, antwortet der Regisseur auf eine entsprechende Frage eines Überlinger Schülers, hätten sich stark nach dem Spielplan der "Zwiefachen" richten müssen, die Finanzierung sei zäh gewesen, das Thema sei zu "ausgelutscht", habe man ihm bei Anfragen nach einer Förderung gesagt, so Wolfsperger. Nachhaltig beeindruckt hat ihn die Arbeit mit dem Team: "Der Dreh war äußerst intensiv, es bildete sich gleich ein Vertrauensverhältnis zwischen den Hauptdarstellerinnen Annika und Ikra und mir. Ich durfte zu der Zeit meine Tochter nicht sehen, die zwei wurden so was wie ein Tochterersatz für mich." Er habe eine Art Vaterrolle für die Zeit des Drehs übernommen.
Die Trennung von seiner Tochter verarbeitete Wolfsperger unter anderem in dem Film "Der entsorgte Vater" von 2011, der eine bundesweite Debatte zum Thema Familienrecht und Familienrechtsprechung auslöste.
Das Libretto zur Oper
Aninka und ihr kleiner Bruder Pepicek müssen Milch für ihre kranke Mutter besorgen, haben aber kein Geld. Auf dem Markt sehen sie den Leierkastenmann Brundibár, der mit seiner Musik Geld verdient. Sie beschließen, es ihm gleichzutun, werden aber nicht gehört und Brundibár verscheucht die Konkurrenz. Mit der Hilfe dreier Tiere (Katze, Spatz und Hund), die viele andere Kinder aus der Nachbarschaft zusammentrommeln, gelingt es ihnen gemeinsam, den bösen Brundibár zu vertreiben. Als die Kinder nun ihr Lied auf dem Marktplatz singen, werden sie endlich gehört und bekommen Geld. Brundibár hat keine Chance gegen die Übermacht und flieht. Das Stück endet mit einem triumphalen Marsch über Zusammenhalt und Freundschaft. (emb)