Wo andere sich alleine nicht hinwagen, da wird es für Simone Pfeiffer und ihren Mann Peter erst richtig spannend. Die Neugier auf andere Kulturen und Menschen treibt die beiden Überlinger seit vielen Jahren regelmäßig in die entlegensten Gebiete des Globus. "Wir sind vor allem auf Asien spezialisiert und haben inzwischen fast alle Länder bereist", sagt Simone Pfeiffer, die als Verwaltungsangestellte beim Polizeirevier in Überlingen tätig ist. Ihr Mann arbeitet als technischer Angestellter bei Puren und hatte bei ersten beruflichen Reisen nach China Feuer gefangen. Sparsam halten sie ihre Urlaubstage für die großen Reisen zusammen, die meist weit mehr als einen Monat dauern – wie ihre jüngste Expedition ins Nagaland, eine von den dortigen Stämmen und ehemaligen Kopfjägern selbst verwaltete Region im Grenzbereich zwischen Myanmar, Indien, Bangladesh und China.

Mehrere Meter machen schon die klassischen Reiseführer in den Regalen aus. Doch die genügen den beiden Entdeckungsreisenden aus Überlingen lange nicht. "Wir gehen meistens dahin, wo noch niemand war", betont Simone Pfeiffer: "Ich stelle die Route selber zusammen, organisiere das und dann gehen wir los." Sie wagen etwas, was andere kaum zu träumen wagen. Entsprechend sensibel und dünnhäutig ist das Überlinger Paar geworden. "Man kuckt dann schon genau hin", sagt Simone Pfeiffer: "Sind die Leute wirklich interessiert? Oder wollen sie das Land nur abhaken?"
Bevor die Pfeiffers zu ihrer jüngsten großen Unternehmung ins Nagaland aufbrachen, arbeitete Simone Pfeiffer eine fast 500-seitige Monographie "Naga Identitäten. Zeitenwende einer Lokalkultur im Nordosten Indiens" durch, um den Menschen dort gut vorbereitet entgegentreten zu können. Derlei detaillierte Informationen hatten Marco Polo und andere Entdecker vor Jahrhunderten nicht, ansonsten scheinen die Überlinger den einstigen Forschungsreisenden im Geiste verwandt zu sein. "In Myanmar waren wir regelmäßig", berichtet Pfeiffer, "und haben uns dort vor allem auf dier ethnischen Minderheiten spezialisiert". Kein Wunder, dass sie inzwischen bei den Autoren von Reiseführern gefragte Informationsquellen sind.

Doch wenn die Pfeiffers reisen, wollen sie nicht nur nehmen, sie wollen auch etwas geben. "Ich versuche immer, vorher Kontakt aufzunehmen mit Menschen an unserem Reiseziel und frage nach Dingen, die dort benötigt werden", erklärt Simone Pfeiffer. Und damit schlägt sie einen weiteren Bogen nach Überlingen. Es fehle an Brillen im Nagaland, hatte Simone Pfeiffer erfahren und die Augenoptikerin Patrice Skopan im Einkaufszentrum La Piazza darauf angesprochen. Die sammelte ebenso abgelegte Brillen von Kunden wie der Kollege Marcus Schlegel. Für die Reise ins Nagaland kamen so einige hundert Sehhilfen zusammen.
Die Anreise wäre für andere schon eine eigene Herausforderung: zwei Flugetappen nach Bangkok und Mandalay im Herzen Myanmars, eine Bootsfahrt und schließlich mit dem Jeep sechs Stunden in die Berge, um dann mit Motorrädern einzelne zerstreute Dörfer aufzusuchen – und das mit fast hundert Brillen und vielen Medikamenten als "Mitbringsel" im Gepäck. Die Anprobe bei Menschen, die keinerlei Sehhilfen kennen, war schließlich eine eigene Herausforderung, die gleich mehrerer Dolmetscher bedurfte. "Die verschiedenen Naga-Stämme haben unterschiedliche Sprachen", sagt Simone Pfeiffer. So mussten die Aussagen der Menschen von U Kyaw und Soe Min Aye zunächst in das Birmanische, dann ins Englische übersetzt werden.

"Not so clear!" oder "Clear!" konstatierten die neuen Brillenträger in der "Sprechstunde" und manch einer staunte nicht schlecht über den neuen Anblick der Welt. So gewannen die Überlinger auch das Vertrauen der Menschen und konnten einiges über die Rituale und Gepflogenheiten in Erfahrung bringen. Auch über die Hintergründe der einstigen Kopfjagd ihrer Vorfahren. Am Ende gaben die Gastgeber den Simone und Peter Pfeiffer die besten Grüße an die "German Naga" mit auf den Weg und dankten für die klarere Weltsicht.
Mehr Informationen im Internet: www.explorations-travel.com
Das Reiseziel
Die Nagastämme bewohnen die südöstlichen Ausläufer des Himalaya im Grenzgebiet von Indien und Burma. Bis vor etwa hundert Jahren als Kopfjäger gefürchtet und von den Bewohnern der Ebenen gemieden, entwickelten sie in ihrer Abgeschiedenheit eine einzigartige materielle Kultur und orale Tradition. Durch die britische Kolonialherrschaft und die baptistische Missionierung, erfuhr die Kultur der Naga ab Mitte des 19. Jahrhunderts einen starken Wandel. Nach 1947 wurden die Nagaberge gegen den Willen ihrer Bewohner in den neuen indischen Staat integriert. Die Folge war ein blutiger Krieg, der unter Ausschluss der Weltöffentlichkeit mehr als fünfzig Jahre lang tobte. Erst seit einigen Jahren sind die Gebiete für Ausländer wieder zugänglich. (hpw)
Quelle: "Naga Identitäten. Zeitenwende einer Lokalkultur im Nordosten Indiens."