Der Jahrestag zum Ende des Zweiten Weltkriegs ist traditionell Anlass für die Kulturkiste Überlingen, mit einem umfangreichen Programm mahnend an die Schrecken des Krieges und insbesondere an die des Nationalsozialismus zu erinnern: Acht Stunden Programm waren in der Rampe in Nußdorf geboten. Und auch eine internationale Premiere stand auf dem Programm. Jürgen Webers neuester Film "Das zweite Trauma – Das ungesühnte Massaker von Sant'Anna di Stazzema" erlebte seine Deutschlandpremiere. Weber war persönlich anwesend. Ebenfalls gezeigt wurden die beiden Produktionen über den Überlinger Stollen und das dazugehörige Konzentrationslager aus den Jahren 1983 und 1995.
Weber war an diesem Tag nicht der einzige gefragte Gast: Grete Leutz war überraschend gekommen. Weber hatte sie für seinen Überlinger Dokumentarfilm "Wie Dachau an den See kam" im Jahre 1995 vor der Kamera. Jetzt, mehr als 20 Jahre später, trafen sie sich erstmalig wieder. "Ja, ich war damals dabei. Ich habe alles gesehen", erklärte sie dem erstaunten Publikum. Und dabei meinte sie nicht den Film von 1995. Leutz ist Zeitzeugin und die Überlingerin erinnert sich ganz genau an den Nationalsozialismus und den Krieg. Und auch an das Überlinger Konzentrationslager. Ihr Elternhaus steht in der Uhlandstraße. Dort sah die damals junge Frau im Jahre 1944, wie die Gefangenen täglich vom Lager zur Arbeit in den Stollen getrieben wurden, und wieder zurück. "Wir haben schon gedacht, dass das kein Zuckerschlecken dort ist."
Eine Erinnerung ist ihr ganz besonders vor Augen geblieben. Sie war damals ganz aufgelöst, fast schon schockiert. Sie musste Kartoffelschalen für die Hühner zum Nachbarn bringen. Da sah sie, wie einer der Gefangenen auf dem Weg vom Stollen bergauf zurück zum Konzentrationslager zusammengebrochen ist: "Da lag der am Boden. Die Bewacher haben ihn mit den Füßen getreten und die Hunde auf ihn gehetzt. Es war direkt hier vor dem Haus." Ein Wachmann der SS sei bei dem leblosen Gefangenen geblieben. Die anderen Wachen hätten wohl seinen Abtransport mit einem Leiterwagen organisiert. "Wahrscheinlich war der schon tot."
Leutz berichtete von den Bombardierungen in Friedrichshafen, als sich der Himmel rot färbte von der brennenden Stadt. Und sie erinnerte daran, als einige Monate später mal wieder Luftalarm in Überlingen war. Der sei zwar wieder aufgelöst worden und sie seien hinaus in den Garten gegangen. Dann seien aber die Flugzeuge gekommen – "und wir sahen, wie die Bomben auf Überlingen fielen".
Leutz: "Das kann man sich nicht vorstellen. Wir waren auf einem anderen Planeten." Sie versucht heute, sich in die Situation von damals zurückzuversetzen, um zu verstehen, was damals passierte. Es sei bekannt gewesen, was in Überlingen passierte. Dass für das zerbombte Friedrichshafen als alternativer Industriestandort ein Stollen in den Molassefels getrieben werden musste: "Da kann niemand sagen, das hätte er nicht gewusst." Einiges ist ihr aber auch noch nicht klar: Die Gefangenen aus dem Konzentrationslager hätten ebenso in der Nußdorferstraße oder im Schilfweg arbeiten müssen. Dort sei jedoch keine Rüstungsindustrie geplant gewesen.
Stollenführung und Gedenkfeier
Eine Führung durch den Goldbacher Stollen mit Oswald Burger findet am heutigen Samstag, 13. Mai, um 13.30 Uhr statt. Dorthin sollte 1944/1945 die Friedrichshafener Rüstungsindustrie ausgelagert werden. Treffpunkt ist am Stolleneingang neben dem Wirtshaus zum Felsen in der Oberen Bahnhofstraße.
Ebenfalls am Samstag, 13. Mai, findet dann um 16 Uhr die Gedenkveranstaltung für die Opfer von Faschismus und Krieg auf dem KZ-Friedhof bei der Birnau statt. Hauptredner ist Richard Detje.
Anschließend bietet sich die Möglichkeit zum Gedankenaustausch und zum Abendessen im Gasthaus Sternen in Uhldingen-Mühlhofen.