„Ich bin 63 Jahre alt.“ Der Satz kommt Olga Lymar noch leicht stockend über die Lippen. Die Ukrainerin lernt derzeit zusammen mit einer Gruppe von geflohenen Frauen und Männern die Aussprache von Zahlen. Außerdem geht es um Sätze, die man in Deutschland beim Einkaufen oder im Alltag sagt. Angeleitet werden sie von Ruth Wenzel. Die pensionierte Deutschlehrerin hatte die Idee zu diesem Angebot, nachdem sie bereits bei der Flüchtlingswelle im Jahr 2015 Asylbewerber aus Syrien unterstützt hatte.
Montags wird das Pfarrzentrum zum Klassenzimmer
Immer am Montagvormittag macht sie das katholische Pfarrzentrum in Salems Ortsteil Mimmenhausen für drei Stunden zu einem Klassenzimmer. Ihr Mann Eugen holt derweil gespendete Brötchen und süße Stückle beim Bäcker um die Ecke ab und bereitet die Kaffeepause vor. Die „Schulklasse“, Frauen und ein Mann, schaut währenddessen konzentriert auf die ausgeschriebenen Zahlen, die Wenzel auf die Folie eines Tageslichtprojektors schreibt. Gefragt wird nach dem aktuellen Datum und später auch nach dem Wetter.

Juliana Antimonova fällt immer wieder ins Englisch
„Heute ist es kalt, neblig und cloudy“, antwortet Juliana Antimonova und muss gleich lachen. Es passiere ihr oft, dass sie, ohne es zu merken, in die englische Sprache wechsele, erklärt die junge Frau. Englisch nutzte sie, als sie noch in ihrer ukrainischen Heimat als Einkäuferin für Schifffahrtsunternehmen arbeitete. Nach ihrer Flucht mit ihrem Mann Sascha und ihrer Tochter vor sieben Monaten wollte sie unbedingt die deutsche Sprache lernen. „Wir wollen uns integrieren und angenehm in Deutschland leben, dafür brauchen wir die Sprache“, erklärt Antimonova ihre Beweggründe, den Sprachkurs von Ruth Wenzel zu besuchen.
Die Kinder lernen die neue Sprache in der Schule
Juliana Antimonova lernt zusammen mit ihrem Mann Sascha Deutsch im Kurs, ihre Tochter geht vormittags in die Hermann-Auer-Grundschule in Neufrach. Für die Kinder sei es lange nicht so schwer, eine neue Sprache zu lernen, wie für die Erwachsenen, meint Antimonova. Ob sie und ihre kleine Familie langfristig in Deutschland bleiben, kann die Geflüchtete noch nicht sagen. „Wir wissen nicht, wie die Situation sich entwickelt“, sagt sie mit einem Anflug von Betroffenheit.

Lena Lohinova und ihre Familie wollen bleiben
Bei Kurskollegin Lena Lohinova sieht das anders aus. Sie unterstreicht: „Wir wollen in Deutschland bleiben.“ Mit einem Lächeln fügt sie hinzu, die Menschen hier seien so freundlich. Zurück in die Ukraine könnten sie auch gar nicht: „Unsere Wohnung ist kaputt“, erläutert die zweifache Mutter die ausweglose Situation. Traurig klingt sie, als sie berichtet, dass ihre Eltern in der Ukraine ausharren und nicht mit nach Deutschland kommen wollten. Erst vor vier Monaten ist Lohinova zusammen mit Mann und zwei kleinen Kindern aus dem ukrainischen Kriegsgebiet geflohen und kann sich dennoch schon ganz gut auf Deutsch verständigen.

Lobend zeigt ihre Lehrerin auf die von der fleißigen Schülerin dicht beschriebenen Arbeitsblätter. „Sie kam später als die anderen in den Kurs und hat ordentlich gebüffelt“, erzählt Wenzel. Es sei immer wieder ein Spagat, die unterschiedlichen Ausgangslagen in Bildung und sprachlicher Vorbildung in den Vorbereitungen für den Unterricht zu berücksichtigen, erläutert Ruth Wenzel.
Wimmelbilder, Obstnamen und Stillarbeit
Damit in den drei Zeitstunden die Aufnahmefähigkeit ihrer ukrainischen Schüler nicht abflacht, wendet sie verschiedenste Methoden an. Mal bringt sie Wimmelbilder mit. Ein anderes Mal hält sie Obst aus einem Korb hoch, um es zu benennen. Zwischendurch gibt es Aufgaben zum selbstständigen Arbeiten. Wenzel und ihr Mann gehen unermüdlich von Platz zu Platz, beantworten Fragen und greifen korrigierend ein.
Auch Hausaufgaben gibt‘s für die Schüler
Nach einer gemütlichen Kaffeerunde werden die Hausaufgaben für das nächste Mal durchgesprochen. Es habe sich als sinnvoll erwiesen, ihren Kursteilnehmern etwas zum Vertiefen des Gelernten mit nach Hause zu geben. Wenzel korrigiert alles, was ihr abgegeben wird. Am nächsten Montag wird sie wieder mit der Frage nach dem Datum einsteigen und ist gespannt auf die Fortschritte ihrer zusammengewürfelten Schülerschaft.