Seit 65 Jahren sind Lore und Werner Goller verheiratet. Insbesondere Gollers leitende Position beim Salemer Schiesserwerk hat ihr beider Leben geprägt. Beide stammen aus dem Landkreis Reutlingen, kennen sich bereits seit der Schulzeit.
Von der Schwäbischen Alb an den Bodensee verschlug es sie Ende 1962, als der studierte Bekleidungstechniker eine Anstellung bei der Firma Schiesser in Radolfzell fand. Zusammen mit Frau und Kind wohnte er damals in Stockach. Die Kohle sei knapp gewesen und der Winter kalt, erinnert sich das Paar. Ein Jahr später erblickte ihr Zweitgeborener das Licht der Welt.
Noch einmal zwei Jahre später führte Gollers Berufsweg die Familie nach Salem-Mimmenhausen. Arbeitgeber war erneut der Bekleidungshersteller mit Schweizer Wurzeln. Wenn der rüstige Rentner über sein reiches Arbeitsleben bei dem Textilunternehmen spricht, strahlt er über das ganze Gesicht. Gerne blickt er zurück. Begonnen habe das Mimmenhauser Zweigwerk des Schiesser-Unternehmens im Jahr 1956 in dem heutigen Nebengebäude des Hotel-Restaurants Reck.

Als Goller neun Jahre später die Betriebsleitung übernahm, logierte das Werk bereits in einem Flachbau am Salemer Bahnhof, in dem die Produktion in zwei Schichten ablief. Der ehemalige Betriebsleiter erzählt von Werksbussen, die die Angestellten aus Friedrichshafen, dem Deggenhausertal, Frickingen und Überlingen herbeifuhren.
Die Arbeitskräfte seien vorwiegend Frauen gewesen, die Unter- und Nachtwäsche im Akkord nähten. „Die Belegschaft war zu 97 Prozent weiblich“, erklärt Goller. Insgesamt waren 500 Frauen beschäftigt. Dass so viele Menschen aus der Bodenseeregion gutes Geld bei „seiner“ Firma verdienten, erfüllt den Jubilar mit Stolz. „Ich war mit Leib und Seele bei der Firma Schiesser“, sagt der heute 89-Jährige.
„Ich konnte mich zu 100 Prozent auf meine Frau verlassen“
Möglich sei seine Karriere aber nur gewesen, weil sich seine Frau zuhause um das 1970 erbaute Haus und die mittlerweile drei Söhne gekümmert habe. Sie hatte ihren Beruf als Bürokraft bei der Landespolizei wegen der Kinder aufgegeben. Als der Nachwuchs größer war, übernahm sie vormittags drei Stunden Büroarbeiten in einem Schuhgeschäft.
Zur Mittagszeit hatte sie trotzdem immer für alle gekocht. „Ich konnte mich zu 100 Prozent auf meine Frau verlassen“, hebt der Jubilar hervor. Sie sei viel allein zuhause gewesen in den arbeitsreichen Jahren ihres Mannes, erzählt Lore Goller. Ihr Mann sei auch abends viel unterwegs gewesen. 20 Jahre lang war Goller ehrenamtlicher Richter in Ravensburg und genauso lange im Prüfungsausschuss der Industrie- und Handelskammer Weingarten tätig. Hinzu kam der zeitweilige Vorsitz beim CDU-Ortsverein, dem Männergesangsverein Mimmenhausen oder die Mitgliedschaft im örtlichen Narrenverein.
Gern denkt Goller an den dreijährigen Auslandsaufenthalt ihres Gatten als Leiter des Athener Zweigwerks in Griechenland zurück. Mehrfach habe sie ihn begleitet und die dortige Vier-Zimmer-Wohnung mit Meerblick sowie lange Spaziergänge am Strand genossen. Per Dienstwagen hätten sie am Wochenende die Halbinsel Peloponnes bereist. Auch ihr Ehemann hat nur positive Erinnerungen an die Schiesser-Zeit im griechischen Ausland.
Lauter tatkräftige Menschen hätten mit ihm zusammengearbeitet. Zu seiner damaligen Sekretärin habe er heute noch brieflichen Kontakt. Sogar die dem damaligen Welt-Unternehmen zu Grunde liegende Schweizer Notarsfamilie Schiesser habe er dort getroffen. Jeden Tag seien in dem Athener Werk 300.000 Stück Wäsche produziert und per Lastzug nach Stockach transportiert worden. In Salem seien gerade einmal 20.000 bis 30.000 Wäschestücke täglich genäht worden.
Als er 1993 mit 60 Jahren wieder nach Salem zurückgekehrt sei, habe er schon gesehen, dass sich die Textilindustrie in Deutschland aus Kostengründen nicht halten könne. Trotzdem habe es ihn schwer getroffen, als zuerst das Stockacher und 1997 das Mimmenhausener Werk geschlossen wurde. Auch, wenn er ein Jahr zuvor in den Ruhestand gegangen war. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass du ohne Schiesser leben kannst“, habe seine Frau damals zu ihm gesagt. Doch er habe eine Checkliste erstellt, mit dem, was er noch vorhabe.
Gemeinsam hätten sie ihrem Hobby Campen gefrönt und per Wohnwagen Österreich, die Schweiz und Italien bereist. „Jetzt machen wir es uns zuhause schön“, sagt Goller mit Blick auf seine 90-jährige Frau, die aufgrund von Knieproblemen nur schwer laufen kann. Sie stickt und bastelt, er arbeitet in seiner Holzwerkstatt. Ihr Essen bereiten sie im Teamwork zu. „Wir beide haben es gut und immer zu tun“, finden die Jubilare und wünschen sich noch ein paar gemeinsame Jahre.