Ein Storch ohne Ring? Viele Vogelfreunde können sich das gar nicht vorstellen, weil in den vergangenen Jahren praktisch allen Jungstörchen ein Plastikring mit Nummer angelegt wurde. Er dient der Überwachung ihrer Population. Der Weißstorch galt in Baden-Württemberg als so gut wie ausgestorben. In den 70er Jahren wurde mit der Wiederaufzucht begonnen, seitdem war die Beringung ein festes Ritual wie das Durchtrennen einer Nabelschnur bei Babys.

Doch in diesem Jahr gibt es nicht genügend Ringe, um allen Jungtieren eine Nummer zu verpassen. Wir sprachen darüber mit Roland Hilgartner, Direktor am Affenberg, wo eine Storchenstation betrieben wird. Außerdem mit Wolfgang Fiedler, Ornithologe am Max-Planck-Institut für Verhaltensbiologie, früher bekannt unter dem Begriff Vogelwarte Radolfzell.

Wie Affenberg-Chef Roland Hilgartner sagt, stimme es ihn traurig, dass nicht genügend Ringe zur Verfügung stehen. Jeder Storch trug seine eigene Nummer, damit seien „detaillierte Verhaltensbeobachtungen“ möglich gewesen. Man bleibe dennoch im Bilde, was mit der Population passiert, so wie dies bei anderen Vögeln ja auch durch Stichproben möglich sei.

291 Jungstörche im und am Affenberg
In diesem Jahr reichten die Ringe nur für jene Störche, die direkt am Affenberg schlüpften. Das waren laut Hilgartner 116 Jungstörche in 53 Horsten. In den umliegenden Gemeinden gab es insgesamt 175 ausgeflogene Jungstörche, verteilt auf 117 Horste. Zählen konnte man sie, doch haben sie nun eine ungewisse Zukunft vor sich, weil nicht mehr nachvollziehbar, ob sie jemals aus ihrem Winterquartier zurückkommen werden. Sie sind als namen-, beziehungsweise nummernlose Störche unterwegs.
25 Prozent weniger Ringe als bestellt
Wolfgang Fiedler ist für die Bestellung und Verteilung der Ringe in Süddeutschland verantwortlich. „Storchenringe sind aus speziellem Kunststoff, und dieses Jahr gab es in der Tat erstmals Probleme, sie in ausreichender Menge und zu realistischen Lieferzeiten zu bekommen“, bestätigt er. 2400 Ringe standen ihm insgesamt zur Verfügung, davon blieben laut Fiedler 1400 in Baden-Württemberg, das waren etwa 250 weniger als in den Vorjahren. 630 Ringe wurden nach Rheinland-Pfalz und 550 nach Bayern geschickt. „Das waren durchweg etwa 25 Prozent weniger, als die Storchenberinger als Bedarf geschätzt hatten.“ Rückmeldungen über den tatsächlichen Bedarf gebe es noch nicht.

„Das ist aber gar nicht tragisch zu sehen“, findet Fiedler. „Denn wir stellen derzeit ohnehin auf eine Stichprobenberingung um.“ Mittlerweile lebten rund 1500 Paare mit durchschnittlich 2,6 bis 2,8 Jungen in Baden-Württemberg. Fiedler: „Da ist es unsinnig, sie alle markieren zu wollen.“ Änderungen in der Überlebensrate, im Zugverhalten und in anderen Parametern seien feststellbar, wenn mittelfristig nur 20 oder 30 Prozent der Population beringt wird. „Im Vergleich zu anderen Vogelarten ist das immer noch eine traumhafte Datengrundlage.“
„Den ehrenamtlichen Storchenbetreuern geht die Arbeit trotzdem nicht aus.“ Viele Leute seien zwar überrascht, weil die Beringung zur Gewohnheit wurde. Fiedler: „Manche denken sogar, ohne Beringung seien die jungen Störche weniger wert oder würden nicht richtig zum eigenen Ort gehören.“ Die erfreuliche Bestandsentwicklung mache ein Umdenken nötig – oder vielmehr möglich.