Schon als Sechsjähriger erzählte Klaus Wagner seinem Vater, dass er mal im alten Bahnhof in Grasbeuren leben möchte. Wagners Vater war ein in Bermatingen ansässiger Viehhändler und während der gemeinsamen Fahrten mit dem Laster zur Weide in Uhldingen-Mühlhofen berichtete der Schuljunge von seinen Träumen, wenn es an dem markanten Gebäude vorbeiging.
Inzwischen ist der einstige Haltepunkt, umgeben von grüner Landschaft, schon lange sein Heim. Ende der 90er-Jahre hatte er eine zweizeilige Anzeige in dieser Zeitung entdeckt und heraus gelesen: Das ist der Bahnhof. Er kaufte Haus und Grund und zog gemeinsam mit seiner Familie ein. „Ich habe vom ersten Tag an gedacht: Hier bin ich zu Hause“, sagt Klaus Wagner heute.
Gewächshäuser bieten Raum für Kunst
Heute ist im April 2020. Wagner wohnt nach wie vor gerne in dem typischen Bahnhof, mitten im Wald nahe des Killenweihers, eingebettet zwischen der Bahnstrecke und der Kreisstraße 7782. Gelegentlich fährt ein Zug vorbei, öfter mal ein Auto oder anderes Gefährt. Zum Gespräch hat man sich im Garten zusammengefunden: Klaus Wagner, seine Lebensgefährtin Sonja Siems und Riesenschnauzer Pablo.
Der Mindestabstand von eineinhalb Metern ist in Zeiten von Corona gewahrt. Fast ließe sich das Virus vergessen, in dieser Idylle. Lediglich die körperliche Distanz und die Tomaten-Gewächshäuser vor dem Tor zur Bahnhofsanlage erinnern an die Corona-Krise.

Wagner und Siems haben überlegt, wie sie derzeit Kunst zu den Menschen bringen können. Die Lösung waren die Mini-Gewächshäuser, in denen Werke von Sonja Siems zu bewundern sind und Ausschnitte aus der Arbeit von Klaus Wagner. Wer die Bilder sehen möchte, kann einfach vorbeigehen. Ausgestellt ist zum Beispiel das Werk „Kreuzwege“ von 2014. Besonders ist es, weil Siems die Leinwand kurzerhand umgedreht und von hinten bemalt hat. Auch die Leisten der Leinwand sind somit Teil des Kunstwerks.

Sonja Siems ist aber nicht nur Künstlerin, sondern auch Pädagogin und Förderschullehrerin. Da sie aktuell nicht in Heidelberg unterrichten kann, ist sie in Grasbeuren. Von dort betreut sie ihre Schüler digital und arbeitet in ihrem Zweitatelier. Auch findet sich ihre Privatgalerie „SiemsHoch3“ in dem gemauerten Bau.

Klaus Wagner ist Theaterpädagoge und hatte in seinem Leben schon viele Rollen. Zum Beispiel ist er ebenfalls gelernter Koch. Im Bahnhof und im umgebauten „Wartsaal„ sind Theater, Tanz, Kunst und Kultur möglich. Künstler haben die Option, sich vor kleinem Publikum auszuprobieren, oder es gibt Workshops, wie etwa im freien Tanzen.
Wagner und Siems sprechen Menschen an, die ihnen auffallen, oder es melden sich Interessierte. Der Wartsaal lässt sich auch mieten. Feste Öffnungszeiten oder ein festes Programm gab es bisher nicht. Selbst Eintritt haben sie nach eigenen Angaben nie erhoben, sondern die Leute dazu eingeladen, etwas beizutragen, beispielsweise etwas Kulinarisches.
Es ist eben ihr Zuhause, das sie da öffnen – für die Kultur. Wegen des Corona-Virus beschränkt sich diese Öffnung momentan auf die Gewächshauskunst. „Ein Großteil der Künstler ist darauf angewiesen, auf die Menschen zuzugehen“, sagt Klaus Wagner. Diesen Weg sollen die Kunstwerke schaffen.
Bilder wirken über die Entfernung
„Es sind Bilder, die auf die Entfernung durch die Folie wirken und vom Format her passen“, führt Sonja Siems aus. Es handelt sich um Acrylfarbe auf Leinwand. Alle Bilder sind mit speziellen Sprays fixiert und damit eigentlich wetterfest. Aber: „Es ist auch ein Wetterexperiment. Ich gehe da mit, wenn die Natur etwas mit den Bildern macht“, sagt die Künstlerin. Es sei ein Prozess, findet sie.
Die Mini-Ausstellung fällt jedenfalls auf. Die Bilder von Siems und die Einblicke in Wagners Arbeit bringen viel Farbe in den Corona-Alltag. Sie lassen erahnen, was sich hinter dem Tor verbirgt. Ist die Schau etwa ein Vorbote auf eine Öffnung des Bahnhofs für ein weiteres Publikum? Die Beiden schließen das nicht aus. Bahnhof, Wartsaal, Umgebung: „All das bietet sehr viel“, sagt Sonja Siems. Ihr gefällt, dass man „mit allen Sinnen hier sein kann“.
