Dass es in der Gemeinde ein echtes Wir-Gefühl gibt, zeigte sich schon vor Beginn des Neujahrsempfangs beim Blick in den Saal des ­Kultur|O. Alle der nahezu 500 Stühle waren besetzt. Aber auch nach dem offiziellen Programm spiegelte das üppig bestückte Buffet den Gemeinsinn der Owinger. Denn die Elternbeiräte der Kindergärten und deren Förderverein hatten sich mächtig ins Zeug gelegt, um alle zu verköstigen. Musikalisch flankiert wurden die Beiträge vom Blasmusikensemble des Musikvereins, mit Getränken versorgt wurden die Gäste von der Bürgertracht Alt-Owingen.

Um den Gemeinsinn ging es unter anderem sowohl in der Ansprache von Bürgermeister Henrik Wengert als auch im Festvortrag des Österreichers Christian Felber, der die Gemeinwohlwirtschaft als gerechtere Alternative zum aktuellen, meist auf Ertrags- und Renditemaximierung ausgelegten System darstellte. Es hat in Owingen Tradition, den Besuchern mit einem Gastreferenten zum Jahresauftakt interessante Impulse mit ins neue Jahr zu geben. Auch dieses Mal ist dies gelungen, wie die Resonanz des Publikums zeigte.

Um den Nachwuchs braucht sich die Bürgertracht Alt-Owingen keine Sorgen zu machen: Die Mädchen Elena Schechter (links) und Lotta Endres ...
Um den Nachwuchs braucht sich die Bürgertracht Alt-Owingen keine Sorgen zu machen: Die Mädchen Elena Schechter (links) und Lotta Endres halfen schon kräftig mit. | Bild: Hanspeter Walter

Mit Blick auf die aktuellen Krisen – den Krieg in der Ukraine, die Wirtschafts- und Energiepolitik, die Klimakrise, die Inflation – skizzierte der Bürgermeister die vielfältigen Herausforderungen, vor denen die Gesellschaft stehe. „Kann das alles gelingen?“ fragte Wengert. Wer dies mit einem uneingeschränkten Ja beantworte, verschließe die Augen vor den Dimensionen dieser Aufgaben, betonte er. Wobei er den Bürgern ausdrücklich für ihre Hilfsbereitschaft gegenüber Flüchtlingen dankte.

Welche Verantwortung gerade die Gemeinden für die Daseinsvorsorge ihrer Bürger haben, dies hob Henrik Wengert besonders hervor. „Diese originären Aufgaben lösen die Städte und Gemeinden mit Bravour, prägen so das gesellschaftliche Leben vor Ort und legen damit auch die Grundlage für den volkswirtschaftlichen Wohlstand sowie ein gutes Miteinander in unserer Gesellschaft.“ Nicht ohne darauf hinzuweisen, dass die Kommunen längst die Grenze ihrer Leistungsfähigkeit erreicht hätten, was den politischen Taktgebern nicht immer bewusst sei. Insbesondere wenn per Gesetz neue Standards gesetzt würden, die von den Gemeinden umgesetzt werden müssten.

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„Fast jeder zusätzliche Standard kann für sich betrachtet gut begründet werden“, betonte Wengert: „Es ist die Summe der Standards, die letztlich die laufenden Ausgaben und den Personalbedarf der öffentlichen Hand in einem Maße nach oben getrieben hat, dass die Luft für die Zukunftsgestaltung langsam aber sicher fehlt.“ Als Beispiel nannte Wengert den Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung an Grundschulen, der ab dem Schuljahr 2026/27 gelte. Auch dies sei sicher wünschenswert und im Sinne der Gesellschaft, sagte er. Allerdings mache man die Rechnung dabei ohne Berücksichtigung des jetzt schon eklatanten Fachkräftemangels im Bildungs- und Erziehungsbereich. Hier sei von der Politik eine Entscheidung getroffen worden, „die, und das wage ich zu prognostizieren, flächendeckend nur schwerlich umgesetzt werden kann“.

So kann Demokratie noch bürgernäher werden: Gastredner Christian Felber hatte zu seinem Experiment zehn Gäste auf die Bühne geholt.
So kann Demokratie noch bürgernäher werden: Gastredner Christian Felber hatte zu seinem Experiment zehn Gäste auf die Bühne geholt. | Bild: Hanspeter Walter

Respekt zollte am Ende Jörg Schirm als Vertreter des Gemeinderats dem Bürgermeister sowie der Verwaltung und dankte für die konstruktive Zusammenarbeit. Der nach Markdorf gewechselten bisherigen Hauptamtsleiterin Regina Holzhofer wünschte Schirm alles Gute und hieß ihre Nachfolgerin Adelheid Hug willkommen.

Vision für eine neue Wirtschaft

Er will das Wirtschaftssystem vom Kopf auf die Füße stellen. Um dies zu illustrieren, wagte Gastredner Christian Felber sogar einen Kopfstand auf der Bühne. Sein Konzept der Gemeinwohlökonomie verortete der Österreicher schon bei Aristoteles, der den Gelderwerb nicht als Ziel des Wirtschaftens erkannte, sondern nur als Mittel zum Zweck. Statt das Gemeinwohl als Zweck zu definieren, gelte heute die Gewinn- und Renditemaximierung als Ziel. Dies müsse sich ändern, wenn man mehr Gerechtigkeit wolle und eine Chance für kommende Generationen.

Eine große Ungerechtigkeit sah Felber in der Bewertung verschiedener Tätigkeiten. Wer Geldanlagen betreue, sagte er sinngemäß, solle nicht mehr verdienen als der, der Menschen betreue. Darin wäre sich möglicherweise eine Mehrheit der Gesellschaft einig, vermutete er. Doch durchsetzen könne sich diese Position selbst in einer Demokratie nicht. Daher müsse es mehr Möglichkeiten für Bürger geben, sich auch gegenüber einem Parlament Gehör zu verschaffen. Ein Beispiel basisdemokratischer Meinungsbildung, die gegen Lobbyismus nicht anfällig sei, exerzierte Felber mit zehn Gästen aus dem Publikum durch.

Die Frage war: Das Wievielfache eines Mindesteinkommens sollten Menschen maximal für ihre Arbeit bekommen können? Die Zurufe aus dem Publikum erstreckten von eins bis unendlich. Abstimmen ließ Christian Felber seine zehn Protagonisten in Form ihres Widerstands gegenüber dem jeweiligen Vorschlag. Am Ende schnitten die Extreme am schlechtesten ab, den geringsten Widerstand gab es bei einer Begrenzung auf das Zwanzigfache.