Die Hoffnung, wieder auf dem Schlossplatz zu stehen, hatten Meredith Melville-Jones und Michael Newling fast aufgegeben. Denn: Ihre Heimat Australien war knapp zwei Jahre in Covid-Isolation. Mehr als 700 Tage konnten sie nicht nach Meersburg reisen, wo sie seit 2008 regelmäßig die Winterzeit verbringen.

Ihre erste Ferienwohnung war damals am Schlossplatz. Einen Tag nach ihrer Ankunft war dieser verschneit. Für sie glich die Szenerie einer Weihnachtskarte. „Ein Kindheitstraum wurde wahr“, sagt Meredith Melville-Jones. Sie ist Rektorin in Sydney, er ist Fotograf. Normalerweise sind sie über Weihnachten in Meersburg. „In Sydney würden wir Garnelen und andere Meeresfrüchte essen. Hier holen wir uns einen Truthahn in Stetten“, sagt Michael Newling. Familie und Freunde haben schon mit ihnen Weihnachtsfeste in Meersburg verbracht. Drei Jahre waren sie nicht hier.

In den Sommerferien ins kühle Deutschland

Dezember und Januar sind in Australien die langen Schulsommerferien. Davor ist viel zu tun. „Um Ruhe, Frieden und Stille zu finden, kommen wir nach Meersburg“, sagt Meredith Melville-Jones. Die Stadt hat sie mit Burg, Neuem Schloss, Häuschen, Gassen, Bodensee und Alpenblick verzaubert. Außerdem reizt sie die Kälte. Der Januar bringt in Australien die höchsten Temperaturen. Schneit es mal nicht in Meersburg, sind sie ein wenig enttäuscht.

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Kontakt mit der deutschen Kultur hatten sie bereits in Kindheitstagen. Sie lernte Deutsch in der Schule und hatte eine deutsche Freundin. Michael Newling erinnert sich an Bausätze für Häuser, die er als Kind bekam und zusammensetzte. In der Meersburger Innenstadt fühlte er sich 2008 spontan in diese Zeit in den 50er-Jahren zurückversetzt. „Ich weiß nicht, wo ich die Bausätze her hatte. Aber es war schön, als Erwachsener quasi die Häuser zu finden“, sagt der 71-Jährige.

Erster Flug von London nach Friedrichshafen

Den Ausschlag, Deutschland erstmals zu bereisen, gab eines ihrer Kinder. Michael Newling hat drei Söhne aus einer früheren Beziehung. Gemeinsam haben sie nochmals zwei. Jedenfalls stand bei einem der Söhne eine Deutsch-Prüfung bevor. „Wir wollten, dass er Deutsch um sich herum hört“, erklärt Meredith Melville-Jones. Sie informierten sich, welche Airline von London nach Deutschland fliegt. Zu jener Zeit gingen noch Flüge mit Ryanair nach Friedrichshafen. „Es brauchte nicht lang, um von dort Meersburg zu finden“, erzählt Michael Newling.

Jetzt waren sie drei Monate in Europa. Erstmals erlebten sie die närrischen Tage mit. „Wir wussten von der Fastnacht. Wir haben sie früher durch eine Webkamera mitverfolgt“, sagt Meredith Melville-Jones. Die Gemeinschaft in diesem Ausmaß mitzuerleben, hat sie dann aber doch überrascht und beeindruckt. Die 62-Jährige feierte als Hemdglonker und Biene mit. Ihr Partner hielt die Veranstaltungen fotografisch fest und teilte seine Bilder in den Meersburger Facebook-Gruppen.

Mittendrin bei der Meersburger Straßenfasnet

Zunächst waren sie unsicher, ob sie an der Fasnet teilnehmen können. Australier sind aufgrund ihrer eigenen Historie mit den Aborigines – Meredith Melville-Jones spricht von den First Nations – vorsichtig, was kulturelle Aneignung betrifft. Doch die Vermieterin versicherte, dass die Straßenfastnacht für alle gedacht ist und stellte die Kostüme zur Verfügung. „Der Sonntag war großartig“, sagt Michael Newling. Bei Kaiserwetter lockte der Umzug zum Narrenbaumstellen. Ebenso genossen sie den Rathaussturm am Schmotzigen. Lediglich auf die Termine am Rosenmontag mussten sie verzichten, da die Rückreise ab Zürich anstand.

Auf Tuchfühlung mit der Meersburger Fastnacht. Meredith Melville-Jones posiert als Biene verkleidet mit ein paar Narren.
Auf Tuchfühlung mit der Meersburger Fastnacht. Meredith Melville-Jones posiert als Biene verkleidet mit ein paar Narren. | Bild: Michael Newling

Einen Tag nimmt der Weg zurück in die Heimat in Anspruch. Sechs Stunden von Zürich nach Doha in Katar, 14 Stunden von Doha nach Sydney. „Wer in Australien lebt, hat keine andere Wahl“, sagt Meredith Melville-Jones. Und: Einer der fünf Söhne lebt in London, ein weiterer in Barcelona. Das Paar hat somit einen engen Bezug zu Europa. Meersburg fungiert als Basis, um die Kinder in den Metropolen in Großbritannien und Spanien zu besuchen, oder die Söhne kommen nach Deutschland. Gemeinsam werden Touren in die Region unternommen.

Der erste Weg führt jedoch nach Meersburg. „Nachschauen, ob alles noch da ist“, sagt Michael Newling. Danach geht es in den Supermarkt und zum Bäcker. Gemüse, Obst und Brot schmecken anders. Beim Brot legen sie sich fest: Das ist in Deutschland besser als in Australien. Was sie während ihrer Aufenthalte vermissen? Das gute asiatische Essen von zu Hause. „Sydney ist eine junge Stadt und bietet einen guten Mix. Asiatische Kulturen haben einen großen Einfluss“, sagt Newling.

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Im Frühling oder Sommer nach Meersburg zu kommen, können sich Meredith Melville-Jones und Michael Newling nicht vorstellen. Was den Einheimischen in der Winterpause manchmal zu wenig ist, ist den zwei Australiern gerade Recht. „Wir fügen uns still und heimlich ein und erleben Meersburg“, sagt die 62-Jährige. Mit Immobilien haben sie mehrmals geliebäugelt. Die Stille in der Nacht sei besonders. „Meersburger Träume sind tief und bunt“, schwärmt sie. Eine Weile können die Urlauber nun nur von Meersburg träumen. Sie meldet sich aus Doha. „Wir sind sehr traurig“, heißt es in der Textnachricht.

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