Die Schriftsteller Jochen Kelter und Hanspeter Wieland waren aktive 68er und ihr politisches Engagement hinterlässt gravierende Spuren in ihrem Leben und Werk. Auszüge daraus stellen sie bei der zweiten und letzten Lesung zu „Literatur und 68 in der Region vor“, der eine lebhafte Diskussion folgt, die abermals Stefan Feucht, Chef des Kreiskulturamts, moderiert.

Kelter wurde 1974 seiner Stelle enthoben

Kelter, damals Lehrbeauftragter an der Uni Konstanz, wurde 1974 im Zuge des „Radikalenerlasses“ seiner Stelle enthoben, „obwohl ich keiner verbotenen Organisation angehört hatte, nie mit dem Gesetz in Konflikt gekommen war“. Zwei Jahre später relativierte das Kultusministerium zwar dieses Beschäftigungsverbot, doch Kelter blieb in der Schweiz. Über die Bundesrepublik sagt er: „Ich sehe dieses Land nur noch von außen“, hält ihm aber dennoch kontinuierlich den Spiegel vor, auch jenen 68ern, die „beim Marsch durch die Institutionen im Arsch der Macht geendet sind“.

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Er liest aus seinem jüngsten Essay-Band „Sprache ist eine Wanderdüne“ den Text „Jetzt mache ich einen Satz“. Darin erinnert Kelter an die Zeit, als er, wegen der neuen Reform-Uni, ins provinzielle Konstanz kam, an die „überschaubare Demo“ gegen die Notstandsgesetze, an „die Zukunft, die nie kam“, an die spätere „Gentrifizierung der Altstadt“. Und in einem Gedicht schreibt Kelter: „Ich habe das Gefühl, ich stehe mit leeren Händen hier nach all der Zeit.“

Wieland: Kapitalismus als die Wurzel allen Übels

Wieland, der seine alte Mao-Bibel hoch „und heute noch in Ehren“ hält, kämpft immer noch gegen den Kapitalismus als die Wurzel allen Übels. Denn er sei eine ungerechte Gesellschaftsform. Seinen kommunistischen Idealen ist er treu geblieben. „Ich bin eine kleine radikale Minderheit.“ Das macht einsam, räumt er ein. Hinzu kommt die Einsamkeit des Schreibenden, so auch beim „Reutemann, Fritz: Poet“, dem Wieland unter diesem Titel ein Denkmal setzt.

68er-Revolte bewirkte Veränderungen

Einig sind sich Kelter und Wieland, dass die 68er-Revolte Veränderungen bewirkte. Kelter: „Dass die Gesellschaft sich öffnen muss, hat fortgelebt.“ Und: „Auch Konstanz hat sich zunächst mal zum Besseren verändert.“ Wieland sieht den „Widerstand als eine sehr positive Entwicklung. Von dem hat eine ganze Generation gezehrt und auch die Zukünftigen können da wieder anknüpfen.“

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Er glaubt nach wie vor, auch in religiösem Sinn: „Es gibt etwas Besseres auf der Welt. Das ist die Revolution und die kommt.“ Kelter ist „nicht religiös“ und skeptisch: „Ich glaube nicht, dass sich von allein was zum Besseren wendet, man muss etwas dafür tun.“ Veränderungen in Kultur und Gesellschaft, die die 68er auslösten, etwa sexuelle Freiheiten, hält Wieland eher für Ablenkungen. Kelter widerspricht: „Die Musik und die Beziehungen zwischen den Menschen gehörten ganz klar dazu.“

Unterschiedliche Ansichten im Publikum

Zuhörer haben ganz unterschiedliche Ansichten. So meint eine Frau, eine Wende zum Besseren sehe sie momentan nicht. „Aber es tut gut, dass es jemand sagt“, dankt sie Wieland. Eine andere, Jahrgang 47, jedoch findet, dass die Welt sich verbessert habe, und stimmt Kelter zu. Sie denke sogar, dass die wesentlichen Auswirkungen von 68 aus „dem ganzen Drumherum“ bestünden. So gebe es heute keinen Generationenkonflikt mehr. „Ich finde toll, dass wir dieser Republik eine Diskussion aufgezwungen haben.“ Ein Gleichaltriger bestätigt, es „gab einen ganz starken Riss“ zwischen Jungen und autoritären Alten. „Wir haben‘s zu Hause nicht mehr ausgehalten.“

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Der frühere Kreiskulturamtsleiter Elmar Kuhn meint, man müsse zwischen Stadt und Land unterscheiden. „In der Region stand der Wandel der Lebensverhältnisse im Vordergrund“, sagt Kuhn und erinnert etwa an die „Jugendzentrumsbewegung“. Doch eine Zuhörerin aus Salem wundert sich, dass es in der „Politik so ruhig ist“, während die Jugendbewegung für Klimaschutz so viele bewege. Und sie fragt: „Wo ist die Revolution?“

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