Passionierte Weinliebhaber geben sich auf dem Weingut die Klinke in die Hand – an diesem Tag auch prominente Politiker. Am Tisch versammelt bei Winzer Manfred Aufricht ist nahezu alles, was Rang und Namen hat bei der regionalen CDU: der Europaabgeordnete Norbert Lins aus Ravensburg, der Generalsekretär des Landesverbands Manuel Hagel aus Ehingen, der Bundestagsabgeordnete Lothar Riebsamen, der Kreisvorsitzende Volker Mayer-Lay, der Kreisvorsitzende der Jungen Union Dominik Mattes und Gaberiele Bentele, Ortsvorsitzende in Deggenhausertal und Beisitzerin im Kreisvorstand.
Die lokalen Granden der CDU sind nicht zur Weinverkostung zu ihrem „einfachen Mitglied ohne Amt und Würden“, wie Aufricht sich selbst bezeichnet, gekommen. Der Mann, der mit seiner Qualitätsoffensive dem Bodenseewein bundesweit einen Namen verschaffte, hat ein ernstes Anliegen und eine große Sorge.
Gefahr für Weinberge und die Bilderbuchlandschaft
Das geplante Endlager für hoch radioaktive Abfälle bei Benken in der Schweiz liege gerade mal 40 Kilometer Luftlinie entfernt, die Weinberge am See und die Bilderbuchlandschaft für Feriengäste in der direkten Westwinddrift des Lagers. Das berge riesige Gefahren, Existenzen seien dadurch bedroht. Allein die Existenz des Endlagers sorge für eine theoretische Wertminderung. „Wir sehen das als großes Problem“, appelliert Aufricht an seine Repräsentanten: „Das müssen wir doch nicht gutheißen.“
Aufricht sieht Zeit zum Widerstand gekommen
Für den Winzer ist die Zeit zum Widerstand gekommen. Er erinnert die Parteifreunde eindringlich an die „großen Risiken“ des Endlagers und sieht darüber hinaus eine Chance für die CDU, sich mit einem brisanten Thema ins Gespräch zu bringen und zu profilieren, schreibt er dem jungen Generalsekretär und den Abgeordneten ins Stammbuch. „Warum macht denn unsere Landes-CDU nicht einen Schuh da draus? Denkt mal darüber nach!“
Kritik an "Kuschelpolitik" des Ministerpräsidenten
Von der Landesregierung habe er hier noch nichts gehört, befindet Europaabgeordneter Norbert Lins, und meint vor allem den Ministerpräsidenten. Winfried Kretschmann habe lange eine regelrechte „Kuschelpolitik“ gegenüber der Schweiz betrieben, klagt Lins, obwohl die Eidgenossenschaft von Europa nur profitiere und sich gleichzeitig darüber mokiere.
Generalsekretär Hagel: "Landes-CDU hat noch keine Position zu Benken"
Doch echte Begeisterung über die von Aufricht empfohlene Agenda will am Tisch nicht so recht aufkommen. Generalsekretär Manuel Hagel hat sich im Vorfeld informiert, rekapituliert kurz den Entscheidungsprozess der Schweizer und macht sich eifrig Notizen. „Nein, bisher hat die Landes-CDU noch keine Position zu Benken“, antwortet der gelernte Bankfachwirt auf Nachfrage, der seit 2016 Stratege der Partei ist. „Inzwischen ist die zweite Etappe der Suche gerade abgeschlossen“, resümiert Nagel.
"Idealer Zeitpunkt, sich noch einzumischen"
Für den Generalsekretär ein idealer Zeitpunkt, um sich noch einzumischen. Noch bestehe eine Zwei-Drittel-Chance, dass das Endlager an einen der beiden entfernteren Standorte komme. Von einer Kleinen Anfrage aus dem Landtag an das Umweltministerium erhofft sich Hagel Genaueres über mögliche Auswirkungen auf die Wasserströme, die Gefahren beim Umpacken des Atommülls, das Risiko von Überflügen sowie den Einfluss der Windrichtung. Aus den Antworten könne die CDU „weitere Maßnahmen destillieren“ und Aktionen des Ministeriums erfragen.
Riebsamen: Sicherste Lagerung in Nordschweizer Tonschichten
Auf Aufrichts Frage, warum nicht die großen Granitmassive herhalten müssen, verweist Lothar Riebsamen darauf, dass die Zentralschweiz schon untersucht worden sei. Die drei Nordschweizer Tonschichten gälten bei den Experten inzwischen jedoch einvernehmlich als sicherste Lagerung. Riebsamen weist darauf hin, dass exakt die gleichen Schichten unter Teilen der Schwäbischen Alb und des Hegaus verlaufen. Wobei jener das Glück hat, durch Vulkanismus belastet zu sein.
Aufricht: "Warum kommt der Müll nicht nach Sibirien?"
Dass Deutschland bei seiner Suche nach einem Endlager noch weiter zurückliegt, bringt Winzer Aufricht zum grenzüberschreitenden Denken in größeren Dimensionen. „Warum bringt man den ganzen Atommüll nicht nach Sibirien, wo es Regionen gibt, in denen keine Menschen wohnen?“ Eine Antwort bekommt er auf diese Frage allerdings nicht.
Das atomare Endlager
Die Pläne der Schweiz sind nicht ganz neu, schließlich läuft die systematische Suche nach einem atomaren Endlager dort seit mehr als 20 Jahren. Im Februar 2011, fünf Wochen vor Fukushima, veranstaltete die hiesige CDU einen Informationsabend im Überlinger Kursaal, um sich von den Eidgenossen die Sache mit der Standortsuche und der geplanten Lagerung erklären zu lassen. „Überwältigt von den Informationen“ waren die Veranstalter damals nach eigenen Worten und sahen im Vorgehen einen Beleg für „Schweizer Perfektion und Präzision“. Vor Jahresfrist appellierte nun der Überlinger Atomkritiker Thomas Weber, der als einer von drei Deutschen dem Technischen Forum Sicherheit des eidgenössischen Nuklearsicherheitsinspektorats (Ensi) angehört, an die Bürger, die letzte Chance zu Einwendungen zu nutzen. Damals endete die zweite Etappe der Sondierungen und die sechs zuvor diskutierten Standorte wurden auf drei reduziert: die drei, die sich in unmittelbarer Nähe der deutschen Grenze befinden. Das dem Bodensee nächstgelegene ist Benken bei Schaffhausen. Bis 2029 läuft die dritte Etappe der Untersuchungen zur technischen Machbarkeit und ab 2048 soll das Endlager nach heutigen Vorstellungen bestückt werden.