An Wahlabenden, die natürlich immer eine, teils lange, Vorgeschichte haben, kann sich innerhalb weniger Minuten das Leben der Kandidaten und ihrer Familien völlig ändern. Das war in Meersburg vor acht Jahren so, als der heutige Amtsinhaber Martin Brütsch, der als Drittplatzierter in den zweiten Wahlgang gestartet war, nach der Auszählung des letzten Wahlbezirks erstmals und endgültig vorne lag. Auch am 22. Januar 2017 ist rund 50 Minuten nach Schließung der sechs Wahllokale alles vorbei: der Amtsinhaber geschlagen, Herausforderer Robert Scherer durch einen Erdrutschsieg mit 70,2 Prozent der Stimmen neuer Bürgermeister.
Doch dieses Mal liegt der spätere Sieger von Beginn an weit vorn. Einer der Helfer vom TuS Meersburg, die vor dem Rathaus Glühwein ausschenken, glaubt zwar schon, in den letzten Tagen in der Stadt eine Tendenz Richtung Scherer wahrgenommen zu haben. Doch dass es so eindeutig für den bisherigen Uhldinger Bauamtsleiter laufen wird, hätte wohl keiner zu unken gewagt – am wenigsten Scherer und seine Frau Tina selbst.
Gegen 17.50 Uhr betreten sie den Ratssaal, beide angespannt. Ebenfalls sehr ernst sieht Martin Brütsch aus, der punkt 18 Uhr den Ratssaal betritt, begleitet von seiner Lebensgefährtin Heike Hüber. Die ersten Gemeinderäte sind schon da, vor allem natürlich die Mitglieder des Gemeindewahlausschusses, dessen Vorsitzender CDU-Fraktionsführer Peter Schmidt ist. Langsam trudeln Bürgermeisterkollegen aus der Umgebung ein, der Allererste ist Rupert Metzler von Hilzingen, früher FDP-Gemeinderat in Meersburg, der seine Partnerin Elke Bass mitgebracht hat, Vorsitzende der FDP im Kreis Konstanz.
Dann kommen Frank Lemke aus Daisendorf, Scherers Chef Edgar Lamm aus Uhldingen-Mühlhofen mit Frau Christina, Daniel Heß aus Stetten mit seiner Monika, Volker Frede aus Hagnau, Manfred Härle aus Salem, der sich gleich neben Brütsch setzt, Georg Riedmann aus Markdorf und auch Oberbürgermeister Ulrich Burchardt aus Konstanz sowie Landrat Lothar Wölfle. Es sieht so aus, als rechneten doch einige damit, dass die Wahl bereits in der ersten Runde entschieden werden könnte. Brütschs zweiter Herausforderer Alexander Schmidt ist hingegen nirgends zu sehen.
Gleich nach der Auszählung des ersten, kleinen, Wahlbezirks Baitenhausen liegt Scherer mit 58,3 Prozent vorne. Das sagt noch nicht viel aus, nach der Auszählung des zweiten Bezirks Wein- und Kulturzentrum springt Scherer auf 70,9 Prozent, erstmals gibt es Beifall. Scherer verzieht keine Miene: "Abwarten" meint er. "Aber lieber so als anders." Nach dem vierten Wahlbezirk liegt Scherer bei 70,3 Prozent und sagt: "Das Thema ist noch nicht durch", nach dem fünften ist Frau Tina immer noch verhalten: "Wir warten's ab." Doch Scherer lächelt erstmals kurz. Seine Frau sagt: "Ich zittere jetzt auch", Scherer gesteht: "Ich werde ruhiger."
Gegen 18.50 Uhr ist klar, Scherer überlegener Sieger. Beifall brandet auf, sofort bildet sich eine Schlange von Gratulanten. Darunter sind auch Scherers alter Handballfreund Thomas Bleile und Frau Kerstin. Sie sind an diesem Tag extra 500 Kilometer aus Siegen angefahren, um den Wahlabend mit Scherers zu erleben und vom Ergebnis natürlich hellauf begeistert. Genauso geht es Edgar Lamm: "Das ist super." Allerdings: "Ich verliere einen sehr guten Ortsbaumeister." Aber im Gemeindeverwaltungsverband würden sie ja weiter kooperieren. "Ich freue mich auf die Zusammenarbeit mit dem neuen Bürgermeister" sagt Lamm, aber betont: "Ich bin auch mit Dr. Brütsch gut ausgekommen." Kollege Heß nennt das Resultat nur bass erstaunt: "Hammer!" Und ergänzt: "In jeder Beziehung."
CDU-Urgestein Werner Endres räumt ein, er sei von einem engen Zweikampf zwischen Brütsch und Scherer ausgegangen und meint zu Brütschs Niederlage weise: "Nur ein Mensch, der in der Lage ist, eine Niederlage einzustecken, wird auch wieder gewinnen." Auf der Rathaustreppe überreicht Peter Schmidt Tina Scherer im Namen der Stadt Blumen in den Meersburger Farben Gelb und Blau. Scherer, der die ersten Minuten nach seinem Triumph kaum etwas sagen kann, nimmt das Mikrofon, dankt seinen Wählern und verspricht den vor dem Rathaus in Eiseskälte Versammelten: "Ich freue mich, die nächsten acht Jahre mit Ihnen zusammenzuarbeiten." Dann lädt er alle zu einem "kleinen Umtrunk" in den Ratskeller ein, während die Stadtkapelle Festliches, Marschmusik und natürlich das Badnerlied spielt.
Martin Brütsch akzeptiert Niederlage: „Ich bin natürlich nicht wirklich glücklich“
Bürgermeister Martin Brütsch war sichtlich enttäuscht. Schon nach dem ersten, noch nicht sehr aussagekräftigen Ergebnis des kleinsten Wahlbezirkes „Baitenhausen“ hatte er deutlich zurückgelegen. Nach Auszählung des ersten großen Bezirkes im „Wein- und Kulturzentrum“ war klar, dass es keinen zweiten Wahlgang geben würde und er die Wahl bereits im ersten Durchgang verlieren würde.
Als das Endergebnis feststand, zeigte sich Brütsch als fairer Verlierer und gratulierte seinem Nachfolger. „Ich bin natürlich nicht wirklich glücklich“, gestand er seine Niederlage ein. „Das deutliche Ergebnis ist für mich enttäuschend, aber der Wähler ist souverän und wollte jetzt jemand anderen im Amt. Das muss ich akzeptieren.“ Was er in Zukunft machen wird, weiß er noch nicht. „Ich habe mich voll auf den Wahlkampf und mein Amt konzentriert und muss das erst einmal verarbeiten. Und bis zum 31. März bin ich auch noch Bürgermeister. Ich werde die Sitzungen führen wie bisher und die Übergabe vorbereiten. In den Sitzungen werde ich mit dem Rat besprechen, welche Punkte wir noch gemeinsam abarbeiten. Beim neuen Haushalt werde ich mich natürlich zurückhalten.“ Einen „Plan B“ habe er nicht: „Ich habe acht Jahre einen guten Job gemacht, aber der Bürger hat anders entschieden.“ (up)