Natalia Solntseva unterrichtet derzeit 20 Kinder. Schülerinnen und Schüler zwischen zehn und 16 Jahren, die allesamt aus der Ukraine kommen – so wie ihre 23-jährige Lehrerin – und nun am Markdorfer Bildungszentrum (BZM) eine Vorbereitungsklasse besuchen. Dort sollen sie aber nur so lange bleiben, bis sie am Regelunterricht ihrer deutschen Mitschüler teilnehmen können.
„Ich gebe Englisch, Geografie, Geschichte“, erklärt Natalia Solntseva. Darüber hinaus soll sie die jungen Ukrainer auch mit dem politischen System der Bundesrepublik vertraut machen. Kein leichtes Unterfangen, zumal selbst die Anfangsgründe des Systems der politischen Beteiligung doch einiges an Vorwissen, an Begrifflichkeit verlangt.
Große Niveauunterschiede
Natalia Solntsevas Hauptaufgabe ist das Vermitteln der deutschen Sprache. „Meine Schüler sind auf einem sehr unterschiedlichen Niveau“, so die Lehrerin. Teils verfügen sie bereits über Deutschkenntnisse. Mitgebracht aus der Ukraine, wo diese Schüler Gymnasien besuchten oder an privaten Sprachkursen teilgenommen haben. Bei anderen ist demgegenüber wenig Wissen über deutsche Grammatik oder Satzkunde vorhanden – und auch der Wortschatz nur sehr begrenzt.

Ganz normale Kinder
„Es sind ganz normale Kinder“, sagt Natalia Solntseva und lächelt. Es ist ein nachsichtiges Lächeln. Das die junge Frau mit einem Mal etwas älter wirken lässt. 20 Kinder jede Woche 20 Stunden lang zu unterrichten, ist schon unter den üblichen Bedingungen keineswegs leicht. Zur Herausforderung wird es jedoch vor dem Hintergrund, dass in der Heimat der geflüchteten Kinder und Jugendlichen ein Krieg tobt. Ein überaus grausam geführter Krieg, an den sie tagtäglich erinnert werden.
„Nein“, sagt die junge Lehrerin und schüttelt den Kopf, „eine psychologische Betreuung gibt es nicht für die Kinder. Weshalb Natalia Solntseva sich sicher ist, „dass das später zwangsläufig zu einigen psychischen Problemen führen wird“. Zumal derzeit alles, die Ängste, der Schrecken, verdrängt werde. Und selbst bei ihren Gesprächen mit den Eltern begegne ihr immer nur Schweigen. Außer wenn es sich um die unmittelbar die Schule betreffenden Dinge dreht. „Da wirkt noch der Einfluss der ehemaligen Sowjetunion nach“, erläutert Natalia Solntseva, „der hemmt das Mitteilungsbedürfnis.“
Freundschaften ohne Grenzen
Natalia Solntseva freut sich darüber, dass sich immer mehr Freundschaften entwickeln. Freundschaften der jungen Ukrainer untereinander, auch Freundschaften der jungen Ukrainer mit nichtukrainischen Kindern und Jugendlichen aus den Regelklassen. Und es ist sogar zu Freundschaften zwischen jungen Ukrainern und jungen Russen gekommen. „Ohne dass wir Lehrer oder die Schulleitung da Einfluss drauf genommen haben“, berichtet Natalia Solntseva.

Ganz ohne Anordnung von oben, bar aller „Friedensgebote“ seien diese Bande geknüpft worden. Längst nicht alle ihre ukrainischen Schüler gehen in Vereine, etwa, um dort Sport zu treiben. Sport wird bei ihnen trotzdem groß geschrieben – ebenso wie Computerspiele. Das erfährt Natalia Solntseva jeden Montagmorgen, wenn sie die Kinder und Jugendlichen nach dem Wochenende fragt. Was sie da unternommen haben.
Schwierige Zukunft
Die Zukunft ist kein Thema. „Da ist ja alles offen“, erläutert die ukrainische Lehrerin, warum ihre Schüler kaum Pläne schmieden. Jene 16-Jährige in ihrer Lerngruppe, die schon jetzt weiß, dass sie in Deutschland ist, bis sie 18 Jahre alt ist – und danach zurück in ihre ukrainische Heimat will, um dort zu studieren -, die sei eine Ausnahme.
Wie ihre eigene Zukunft ausschaut? „Da habe ich noch keine Idee“, erklärt die 23-Jährige, „vielleicht auf Magister weiterstudieren.“ Was sie jedoch sicher weiß: „Ich bin wütend“, wenn sie an ihre völlig zerstörte Heimatstadt Mykolajiw denkt, an den alltäglichen Kriegsterror, an die vielen, vielen zivilen Opfer. Eine Zukunft in ihrer Heimat ist in jedem Falle mit großen Problemen verbunden.