Man kann ein Lied davon singen. Und wer mit dem Barden Reinhard Mey aufgewachsen ist, weiß: Es gab sie in Deutschland schon damals in den 80ern – die bürokratischen Hürden, die sich zu Aktentürmen stapelten. Inzwischen sind die Anforderungen an Unternehmen weiter angewachsen und gerade für den Mittelstand bedeuten sie häufig hohe Belastungen. Wie es damit vor Ort aussieht, darüber ließ sich der Ravensburger FDP-Bundestagsabgeordnete und Koordinator der Bundesregierung für Bürokratieabbau, Benjamin Strasser, bei einem persönlichen Austausch mit der Geschäftsführung der J. Wagner GmbH informieren.

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„Man darf stolz darauf sein, solche Unternehmen hier in der Region zu haben“, zeigt sich Strasser schon während des Rundgangs durch die Produktionshallen beeindruckt. Als einer der Weltmarktführer in der Technik von Oberflächenbeschichtungen spüre man bei aller globalen Präsenz dennoch die regionale Verbundenheit.

Einig ist sich der Abgeordnete mit den Vertretern der Unternehmensführung beim Blick auf das grundsätzliche Problem: „Im Vergleich zu anderen Ländern hat Deutschland einen deutlichen Wettbewerbsnachteil“, stimmt Strasser der Kritik, die er in Markdorf in Sachen politisch gewollter Bürokratie zu hören bekommt, zu.

Von Markdorf in die ganze Welt: Wagner zählt zu den Weltmarktführern bei der Pulverbeschichtung (von links): Michael Müller, Benjamin ...
Von Markdorf in die ganze Welt: Wagner zählt zu den Weltmarktführern bei der Pulverbeschichtung (von links): Michael Müller, Benjamin Strasser, Dietrich Birk. | Bild: Helga Stützenberger

Drei Prozent des Umsatzes nur für die Bürokratie

Auf rund 1,7 Prozent ihres Umsatzes belaufen sich Studien zufolge für deutsche Unternehmen jedes Jahr die Kosten für personellen Mehraufwand. „Diese Kosten können für mittelständische Unternehmen sogar bis zu drei Prozent betragen“, sagt Dietrich Birk, Geschäftsführer des Verbandes Deutscher Maschinen- und Anlagebauer Baden-Württemberg (VDMA). Die Unternehmen würden zunehmend durch Bürokratie ausgebremst, was zu Lasten ihrer Produktivität gehe. „Mit dem verabschiedeten Bürokratieabbaupaket hat die Bundesregierung bereits geliefert“, entgegnet Strasser. Das solle aber nicht das Ende, sondern erst der Anfang sein. Nun müssten die nächsten Schritte im Beseitigen unnötiger bürokratischer Hürden auf EU-Ebene folgen, sagt der Abgeordnete.

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Und wie sieht es nun in Markdorf bei Wagner konkret aus? „Wir sind gerade erst in diesen Prozess gestartet“, sagt Geschäftsführer Michael Müller. Die Wagner Group wolle aber einer der Vorreiter beim eigenen Bürokratieabbau sein. „Wir müssen den Fokus wieder deutlich auf unsere Projekte legen können und nicht darauf, Papier zu produzieren“, so Müller. Mittels eines Bürokratieabbaugesetzes soll nun Abhilfe geschaffen werden: „Wir wollen noch in diesem Jahr einen Gesetzesentwurf vorlegen“, versichert Strasser an diesem Vormittag. Dann könne man im nächsten Jahr schon berichten, wo sich Erleichterungen zeigten. „Wir erleben gerade einen regelrechten Bürokratie-Burnout, unter dem die Unternehmen mehr und mehr leiden“, gibt der Politiker zu. Die Diagnose des Mittelstands als kranker Mann Deutschlands wolle er ins Gegenteil umkehren. Sein Rezept: „Weniger Zettel, mehr Wirtschaft.“

Theoretisch gut gedacht – in der Praxis aber nimmt die Bürokratie jede Menge Zeit und Zettel in Anspruch: Dietrich Birk ...
Theoretisch gut gedacht – in der Praxis aber nimmt die Bürokratie jede Menge Zeit und Zettel in Anspruch: Dietrich Birk unterschreibt die von Wagner-Pressesprecherin Tanja-Christina Musik (rechts) vorbereitete Einverständniserklärung zur Bildnutzung. | Bild: Helga Stützenberger

Am Ende des Austauschs zeigen sich dann aber doch noch ganz konkrete Hürden – und jede Menge Zettel: Etwa bei den Antragsformularen zum Erteilen des persönlichen Einverständnisses zur Veröffentlichung der Fotos, die an diesem Vormittag gemacht werden. „Ohne diese Unterschriften dürfen keine Bilder mehr veröffentlicht werden“, sagt Wagner-Sprecherin Tanja-Christina Musik. So sei das heute mit den Persönlichkeitsrechten. Danach würden die Unterlagen archiviert und unbefristet aufbewahrt. Dies sei aber nur ein Beispiel für die Bürokratisierung. „Solche Dinge nehmen immer mehr unserer Zeit in Anspruch“, veranschaulicht Musik. Und zwischen Zetteln und Zeilen fühlt man sich dann rasch wieder an Reinhard Meys Aktentürme erinnert.